Von Sylvia Schomburg-Scherff
Schon bald nachdem der aus Genua stammende Seefahrer Christoph Kolumbus (1451-1506) auf seiner Suche nach einem westlichen Seeweg nach Indien den Atlantik zwischen 1492 und 1504 viermal in westlicher Richtung überquert und dabei „Westindien“ für Europa entdeckt hatte, begann die Eroberung und Unterwerfung der von „Indianern“ (Kariben und Arawak) bewohnten Inselwelt. Im 16. und bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts waren es vor allem Spanier, die sowohl die Großen Antillen Hispaniola (heute: Haiti und Dominikanische Republik), Puerto Rico, Kuba und Jamaika als auch die Kleinen Antillen Dominica, Trinidad, Aruba, Bonaire und Curacao in Besitz nahmen und kolonisierten. Bereits nach wenigen Jahrzehnten spanischer Gewaltherrschaft war die einheimische Bevölkerung infolge der brutalen Unterwerfung, der aus Europa eingeschleppten Infektionskrankheiten und der unmenschlichen Zwangsarbeit in den Goldminen und auf den Plantagen fast gänzlich ausgerottet.
Nach und nach ließen sich in der Karibik, vor allem auf den Kleinen Antillen, Engländer, Franzosen und Niederländer, aber auch Dänen und Schweden nieder, um dort durch Anbau und Export tropischer Luxusprodukte wie Kaffe, Kakao, Tabak und Zucker ihr Glück zu machen. Es gelang ihnen, einige Inseln zu erobern und das spanische Monopol zu durchbrechen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam es dann zum Wettstreit der europäischen Kolonialmächte. Jamaika wurde britisch, der Westteil von Hispaniola (heute: Haiti) französisch. Viele Inseln wechselten mehrfach den Besitzer. Die Zeit bis zu den Pariser Friedensschlüssen von 1814 und 1815 war durch schwere Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Großbritannien bestimmt, denn die Inseln über dem Wind waren vor allem als „Zuckerinseln“ wertvoll geworden, und die beiden Kolonialmächte kämpften um ihren Besitz.
Da die einheimische Bevölkerung bereits kurz nach Beginn der Kolonisierung durch die Spanier so gut wie ausgerottet war, benötigten die Kolonialherren andere Arbeitskräfte für ihre Plantagen. Man fand sie in den Bewohnern Westafrikas. Der transatlantische Sklavenhandel begann, in dessen Verlauf nach vorsichtigen Schätzungen 11 Millionen Afrikaner lebend nach Amerika verschleppt wurden, davon etwa 40% in die Karibik. Die Brutalität dieses Handels stand der Grausamkeit des Plantagenalltags in nichts nach.
In den Augen der Europäer hatten Afrikaner gegenüber den verbliebenen Indianern einen erheblichen Vorzug, der ihre Versklavung rechtfertigte. Letztere waren zum Christentum bekehrt worden, erstere waren „Heiden“. Als solche hätten sie, wie die Europäer folgerten, keine Religion, besäßen deshalb auch keine Moral, keine Kultur, keine Menschlichkeit. Weil sie daher ihrer inneren Natur nach wie Tiere seien, könne man sie auch wie Tiere ausbeuten.
Um ihre Herrschaft über die Sklaven zu installieren und aufrechtzuerhalten, versuchten die Besitzer, neu auf die Inseln gebrachte Afrikaner systematisch ihrer persönlichen, sozialen und kulturellen Identität zu berauben. Sklaven erhielten von ihren Herren neue, demütigende Namen. Sie durften keine formal anerkannten Sozialbeziehungen eingehen, keine Ehen schließen, keine Familien gründen. Es war ihnen nicht erlaubt, sich zu versammeln, ihre Religion auszuüben, zu trommeln und zu tanzen. Sklaven, die miteinander verwandt waren, der gleichen ethnischen Gruppe angehörten oder dieselbe Muttersprache hatten, wurden voneinander getrennt. In der Phantasie der Herren waren die afrikanischen Sklaven nicht nur kaum menschliche, sondern auch sozial tote Wesen.
Die meisten Afrikaner wurden auf den großen Zuckerplantagen als Feldsklaven eingesetzt. Sie mussten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bei glühender Hitze in Kolonnen den Boden umgraben, pflanzen und Zuckerrohr schneiden. Daneben gab es Sklavengruppen, die auf die Verarbeitung des Zuckerrohrs, auf das Pressen in Zuckermühlen und das Kochen in Siedehäusern spezialisiert waren. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal. Während der Zuckersaison, die etwas sechs Monate im Jahr dauerte, musste alles gleichzeitig und unter großem Zeit- und Arbeitsdruck geschehen. Das Zuckerrohr musste geschnitten, gemahlen, gekocht, geschlagen und das halbkristalline Produkt zum Trocknen in Formen gegossen werden. Männer und Frauen arbeiteten in Schichten, die den ganzen Tag und einen Teil der Nacht einnahmen. Während der Arbeit drohten erhebliche Gefahren. In den Mühlen konnte es passieren, dass die Finger übermüdeter Sklaven zwischen die Walzen gerieten. Ein Haumesser lag immer bereit, um den Arm abzuhacken, der unweigerlich mit hineingezogen wurde. Im Siedehaus herrschten unvorstellbarer Lärm und so große Hitze, dass die hier Tag und Nacht arbeitenden Sklaven beinahe bei lebendigem Leib geröstet wurden.
Mit Hilfe von Peitschen und anderen Folterwerkzeugen wurden die Sklaven einer eisernen Disziplin unterworfen. Wer gut arbeitete, wurde belohnt, zum Kolonnenführer befördert, erhielt bessere Kleidung, Nahrung und Wohnung. Wer aufsässig war, wurde zum einfachen Feldsklaven degradiert, ausgepeitscht, gefoltert oder getötet.
Außerdem gab es die Gruppe der Haussklaven. Sie bestand überwiegend aus Frauen, die als Köchinnen, Näherinnen, Wäscherinnen, Putzfrauen, Serviererinnen, Ammen und Kinderfrauen alle häuslichen Arbeiten im Herrenhaus erledigten. Männliche Haussklaven verrichteten handwerkliche Tätigkeiten, waren Kutscher und Gärtner. Da diese Sklavengruppe in engem räumlichem und sozialem Kontakt zu den weißen Herrschaften stand, war sie der Willkür ihrer Besitzer in stärkerem Maße als die Feldsklaven ausgesetzt, übernahm jedoch – zumin-dest nach außen hin – auch stärker Elemente der Kultur ihrer Herren wie Sprache, Kleidung, religiöse Vorstellungen.
Die Lebens- und Arbeitsumstände auf den karibischen Plantagen waren für die Sklaven miserabel, die Krankheits- und Sterberate hoch, die Geburtenrate niedrig. Die Plantagen fraßen förmlich die Sklaven. Massenunterkünfte, schlechte Ernährung und medizinische Versorgung, Überarbeitung und harte Bestrafung mit tödlichem Ausgang führten dazu, dass die Sklavenbevölkerung stetig abnahm und nur durch immer neue Importe von Menschen aus Afrika auf-rechterhalten werden konnte. Wie war es den Sklaven möglich, unter diesen Umständen über-haupt zu überleben?
Von Anfang an leisteten die in die Karibik verschleppten Afrikaner trotz drakonischer Strafen heftigen Widerstand gegen ihre Versklavung. Zum alltäglichen, verdeckten Widerstand gehörte es, sich dumm zu stellen, nicht die Wahrheit zu sagen, langsam zu arbeiten, Krankheit vorzutäuschen oder zu sabotieren – Verhaltensweisen, die die weißen Herren dem schlechten Charakter der Sklaven zuschrieben und für minderwertige Rassenmerkmale hielten. Offene Formen des Widerstands waren Selbstverstümmelung, Selbsttötung und die Tötung Neugeborener, denen das Los des Sklavenlebens erspart bleiben sollte. Dieser offene Widerstand wurde mit Hunderten von Peitschenhieben, Brandmarkung auf der Stirn und Deportation bestraft. Beleidigende und tätliche Angriffe auf Weiße hatten ohne Ausnahme Folterung und Hinrichtung zur Folge. Wollten Sklaven offene Gewalt vermeiden, griffen sie nicht selten zu Gift. Vor allem alte, erfahrene Afrikanerinnen, die über ein großes Heilpflanzenwissen verfügten und auf den Plantagen als Heilerinnen arbeiteten, waren als Giftmischerinnen gefürchtet. Ein anderes Mittel, die weißen Besitzer zu schädigen, war Brandstiftung. Sklaven setzten häufig die aus Holz gebauten Herren- und Lagerhäuser oder die Zuckerrohrfelder in Brand, obwohl sie, wenn sie entdeckt wurden, selbst mit dem Tod durch Verbrennen rechnen mussten.
Die in westindischen Gerichtsakten am häufigsten verzeichnete Widerstandsform war die Flucht aus der Sklaverei (frz. marronage). Sklaven entfernten sich für kürzere Zeit unerlaubt von der Arbeit, um Verwandte und Freunde zu besuchen (petit marronage), flohen endgültig von der Plantage in unzugängliche Regionen, z.B. in die Berge oder Sümpfe (grand marronage) oder mit Booten auf Nachbarinseln (marronage maritime). Je nach Dauer und Häufigkeit der Flucht bestand die Strafe wieder eingefangener Sklaven in Peitschenhieben, der Amputation eines Fußes oder der Hinrichtung.
Geflohene Sklaven bildeten in Rückzugsgebieten freie Lebensgemeinschaften, die sowohl die Form loser, nur kurze Zeit zusammenlebender Gruppen als auch mächtiger, Tausende von Angehörigen umfassender und Generationen oder Jahrhunderte überdauernder Gemeinwesen annehmen konnten. Diese Gemeinschaften stellten ökonomisch wie militärisch eine Bedrohung für die Kolonisten dar und ließen die Grenzen des kolonialen Machtgefüges erkennen. Erstaunlich häufig mussten die Weißen mit ihren früheren Sklaven Verträge schließen, die diesen Freiheit und territoriale Integrität garantierten. Im Gegenzug sollten alle Feindseligkeiten gegen die Plantagen eingestellt, künftig Fliehende zurückgebracht und die Weißen bei ihrer Jagd nach Flüchtigen unterstützt werden.
Die schwarze Frau war an allen diesen Formen des alltäglichen Überlebens- und Widerstandskampfes beteiligt. Als Sklavin hatte sie in der Plantagengesellschaft vor allem zwei Aufgaben zu erfüllen: wirtschaftliche und sexuelle. Auf den Feldern hatten sie die gleiche schwere körperliche Arbeit wie die Männer zu leisten. Auf Schwangerschaft, Stillen und die Pflege von Säuglingen wurde keine Rücksicht genommen. Im Herrenhaus war sie der Willkür ihrer weißen Herrin und ihres Herrn ausgeliefert, der sie zusätzlich auch sexuell ausbeutete. Dennoch trug sie die Hauptverantwortung für das Überleben der Sklavengemeinschaft. Als Mutter und Ehefrau war sie die Stütze des privaten, häuslichen Lebens. Gerade ihre Bemühungen, die Sklavenfamilie gegen alle Widrigkeiten zusammenzuhalten, trugen zur Solidarität und Stabilität ihrer Gemeinschaft bei. Darüber hinaus war sie die Bewahrerin afrikanischer Traditionen. Besonders ältere Frauen hatten als Heilerinnen, Magierinnen, Seherinnen oder Priesterinnen wichtige medizinische und religiöse Aufgaben. Sie inspirierten nicht selten Revolten und verliehen den Kämpfenden übernatürlichen Mut. Als Geschichtenerzählerinnen und Sängerinnen trugen sie zur Erhaltung und Veränderung afrikanischer Märchen und satirischer Lieder bei und stärkten damit den Freiheits- und Überlebenswillen ihrer Gruppe.
Um zu überleben, mussten Sklaven der Verzweiflung entgegenwirken und ihr Gefühl für Würde erhalten. Überleben in Würde war eine äußerst positive Reaktion auf die Sklaverei. Indem die afrikanischen Sklaven, zunächst ohne dass es ihre Besitzer bemerkten, eine eigene Kultur, eine eigene Sprache, ein eigenes Familien- und Gemeinschaftsleben, eine eigene Religion entwickelten, leisteten sie gleichzeitig Widerstand gegen die Sklaverei und passten sich den Verhältnissen an. Auf diese Weise errichteten sie einen Schutzwall gegen Apathie und Verzweiflung, schufen einen Raum für Solidarität und Selbstachtung und wirkten den Entmenschlichungsstrategien ihrer Besitzer entgegen.
Es ist nicht leicht, zu einer angemessenen Definition der karibischen Sklavengesellschaft zu gelangen. In der kolonialen Ideologie war die Sklavengesellschaft ein auf Gegensätzen aufgebautes, statisches Sozialgebilde, das auf der Trennung zwischen Weißen und Schwarzen, Freien und Sklaven basierte. Dieses Bild war jedoch eine Karikatur der Realität. In der Praxis war die Gesellschaft dynamisch und komplex. Freie und Versklavte waren von einander abhängig. Sie standen in einer symbiotischen Wechselbeziehung, die geprägt war von einer Mischung aus Furcht, Haß, Sex, widerwilligem Respekt und gelegentlicher Zuneigung. Die sich herausbildende kreolische Gesellschaft wurde geformt in einer Atmosphäre des Konflikts und des Widerstands, aber auch der reziproken Assimilation aller Schichten der Bevölkerung.
Es brauchte fast ein ganzes Jahrhundert, um die karibische Sklaverei zu beenden. Nach jahrelanger Revolution wurde Haiti 1804 freie Republik. Großbritannien ließ seine Sklaven auf den Westindischen Inseln 1834-38 frei. Frankreich und Dänemark folgten 1848, die Niederlande 1863. In Puerto Rico fand die Sklaverei 1873 ihr Ende, Kuba schaffte sie erst 1886 ab.
Afrika in Amerika. Ein Lesebuch zum Thema Sklaverei und ihren Folgen (1992), Hamburgisches Museum für Völkerkunde.
Bush, Barbara (1990), Slave Women in Caribbean Society 1660-1838, Kingston.
Mintz, Sidney (1992), Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt, New York: Campus.
Schomburg-Scherff, Sylvia (1999), Die Spinne im Herrenhaus. Karibische Romane als Identitätserzählungen. Eine ethnologische Perspektive, Berlin: Reimer.
PD Dr. Sylvia M. Schomburg-Scherff, Institut für Historische Ethnologie, Universität Frankfurt/Main, Feldforschung in Dominica, Westindien.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008