Von Wolfgang Lieberknecht
In Deutschland gibt es auch im Gedenkjahr für Sklaverei keine öffentliche Debatte über die nur wenige Generationen zurückliegende größte Zwangsverschleppung der Weltgeschichte. Warum? In einer Broschüre der Siemens-Stiftung vermutet Prof. Jürgen Osterhammel. “Nicht nur der national-historische Anlass fehlte und fehlt, sondern auch die Gewohnheit, Geschichte anders denn als Nationalgeschichte aufzufassen“. Wenn die Menschenrechtskommission der UNO die Sklaverei zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt und Sklavenhändler- und Sklavenhalternationen zu Reparationsleistungen verpflichtet werden sollten, so ist dies nach seiner Auffassung für Deutschland ohne Bedeutung. „Deutschland betrifft das alles nicht. Es hat für andere Untaten zu büßen und zu haften.“ Es fehle also der Stachel von Gedächtnis und Erinnerung, die das öffentliche Geschichtsinteresse und zum Teil auch die Aufmerksamkeit der Historiker leite.
Natürlich war bei der Gründung des deutschen Reiches der, von den Europäern zu verantwortende Sklavenhandel schon weitgehend abgeschafft. Aber Deutsche waren als Europäer in den vergangenen Jahrhunderten an den Aktivitäten der verschiedenen europäischen Sklavenhandelsnationen beteiligt, zum Teil in zentraler Rolle schon beim Beginn des transatlantischen Sklavenhandels und auch als Sklavenhalter in der Karibik und in Südamerika. Und mit Brandenburg-Preußen war auch ein deutscher Staat als Sklavenhändler aktiv. Als große Wirtschaftsmacht Europas konnte Deutschland während der Sklavenhandelszeit immer auch von den Geschäften der europäischen Wirtschaftspartner profitieren. Und es hat – wie die meisten anderen europäischen Länder – auch keine Bewegung zur Abschaffung des Sklavenhandels hervorgebracht, obwohl die Schrecken der Sklaverei in den europäischen Kolonien in Amerika bekannt waren und Kleist ihnen mit der Erzählung „Die Verlobung in Santo Domingo“ ein Stück gewidmet hat. Es gibt also gute Gründe, auch hierzulande nach der historisch-moralischen Verantwortung für den Sklavenhandel zu fragen und nach den nötigen Konsequenzen.
Süddeutsche Handelshäuser, wie die Fugger und die Welser, spielten in den Zeiten der wirtschaftlichen Expansion und Vernetzung in Europa seit dem 14. Jahrhundert neben italienischen Unternehmen eine zentrale Rolle. Sie erreichten über die Gewährung politischer Kredite einen großen Einfluss auf das politische Geschehen im damaligen „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“.
Als sich nach 1500 abzeichnete, dass die eng mit süddeutschen Handelshäusern verbundenen Habsburger auch Spanien erben werden, witterte Jakob Fugger und andere Kaufleute die große Chance, von der Expansion nach Amerika zu profitieren. Mit riesigen Krediten finanzierten unter anderen die Fugger und die Welser 1519 die Wahl des spanischen Königs zum Kaiser Karl V. Die Fugger und andere wurden mit Verträgen an der Nutzung der amerikanischen Kolonien beteiligt und erhielten zur Absicherung und Tilgung ihrer Kredite die Kupfer- und Quecksilbervorkommen Spaniens zur Ausbeutung. Zudem flossen die Produkte aus dem transatlantischen Sklavenhandel in das Handelsnetz der Fugger. Die spanischen und portugiesischen Kolonien wurden von den Europäern gemeinsam genutzt, wenn sich auch die kaufmännisch erfahrenen süddeutschen und italienischen Handelshäuser zunächst auch aufgrund ihres Warenangebotes den weitaus größten wirtschaftlichen Vorteil aus den spanischen Kolonien sicheren konnten.
Das deutsche Handelshaus der Welser aus Augsburg begann 1523 im heutigen Haiti (früher ein Teil von Santo Domingo) mit dem Anbau von Zuckerrohr und der Produktion von Zucker, dem ersten kolonialen Massenprodukt des Weltwirtschaft. Als sie zudem für vier Jahre von Karl V. das Monopol für den Sklaventransport nach Westindien vertraglich zugesichert bekamen, begannen sie auch mit der Kolonialisierung Venezuelas. „Wir geben euch Erlaubnis, dass ihr oder wer eure Vollmacht hätte, 4000 Negersklaven (aus Afrika), davon wenigstens ein Drittel weiblichen Geschlechts, nach den genannten Inseln (Haiti und Puerto Rico) und dem Festland bringen und dort verteilen könnt“, heißt es in dem Vertrag.
Die Europäer, die Sklavenhaltergesellschaften schon seit vielen Jahrhunderten überwunden hatten, formten in der Folgezeit in Amerika despotische Sklavenhaltergesellschaften, die höchstens noch mit der Antike zu vergleichen sind. Geleitet von europäischem Startkapital und Organisationsmacht kreierten Europäer auf gewaltsam angeeignetem Boden und mit Hilfe einer kleinen, weißen, europäischen Siedlerschicht und einer großen Zahl aus Afrika herbeigeschafften Sklaven diese neuzeitlichen Sklavenhaltergesellschaften.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die europäische Welt vom gemeinsamen Interesse an diesen, von ihr bewusst projektierten Gesellschaften in Brasilien, der Karibik und dem südlichen Teil Nordamerikas zusammengehalten. Allein die halbe Million Sklaven auf Santo Domingo erwirtschaftete in der Zeit der französischen Revolution auf 8000 Plantagen zwei Drittel des französischen Außenhandels.
Deutsche waren auch als Landsknechte in spanischen Diensten bei der Unterwerfung der Indianer und ihrer Versklavung beteiligt. Als Söldner sicherten sie die Macht der reichen holländischen Pflanzer und Zuckerbarone oder die der dänischen oder holländischen Forts mit ihren Sklavenverliesen in Westafrika. Der Nürnberger Michael Hemmersam diente in Elmina und war an der Eroberung von Axim beteiligt. Der erste Kommandeur des dänischen Forts Frederiksborg war Jost Cramer aus Lindau und sein Nachfolger Henning Albrecht aus Hamburg. Bei der Gründung der schwedischen Guineakompanie war der Ritter Carloff aus Rostock eine zentrale Figur. Er war vorher bereits im Dienst der WIC und leistete später den Dänen ähnliche Dienste. Sie finanzierten und profitierten auch als Aktionäre der Sklavenhandelsgesellschaften, wie der Hauptpastor der deutschen Petrikirche in Kopenhagen, Balthasar Münter (1735-1793).
Außerdem gab es große deutsche Sklavenhändler. Allen voran die in den Schlössern Ahrensburg und Wandsbeck residierende Familie Schimmelmann. Heinrich Carl Schimmelmann, Heereslieferant Friedrichs des Großen, nutzte die kriegsbedingte Geldnot Dänemarks aus und erwarb 1763 die königlich dänischen Zuckerrohrplantagen auf St. Croix, St. Thomas und St. Jan. Er wies seinen Statthalter Lobeck an, für deren Betrieb „die erforderlichen Neger anzukaufen“. Er errichtete in Ahrensburg Kattun- und Branntweinfabriken. Hier produzierte er das, was er in Afrika für Sklaven eintauschen konnte und was ihn so befähigte, an dem von großen, europäischen Unternehmern, vor allem Schiffsreedern und Bankiers, ersonnen Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und Amerika teilzunehmen. Er konnte von allen drei Phasen des Sklavenhandels profitieren, als Fabrikant aus dem Absatz von Branntwein und Waffen in Afrika, als Sklavenhändler aus dem Ankauf und Verkauf von Afrikanerinnen und Afrikanern und als Plantagenbesitzer aus der Arbeit der Sklaven und dem Verkauf von Zucker in Europa. St. Thomas wurde unter seiner Regie zum Hautumschlagplatz für afrikanische Sklaven in der Karibik, zugleich war er in seiner Zeit einer der größten Sklavenhalter. Als während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges die anderen europäischen Nationen keine Sklaven lieferten, konnte er als Teil des neutralen Dänemarks sein Sklavengeschäft auch in die Kolonien der anderen europäischen Mächte ausdehnen. Deshalb, so schrieb er, müsse das Unternehmen „beständig einigen Vorrat an Negern auf einer wohlfeil zu kaufenden Plantage vorrätig“ halten. Aufhängen, Hände oder Beine amputieren, Schläge, Folter mit glühenden Zangen, das waren einige der Maßnahmen des drakonischen Strafregiments (allerdings nicht nur) in den dänischen Besitzungen gegen Sklaven, die fliehen wollten oder Widerstand leisteten.
Ein anderer deutscher Sklavenhändler stammte aus Elsfleth an der Weser. Ludwig Römer (1714–1776), der 14 Jahre lang als Oberkaufmann in dänischen Diensten in Guinea tätig gewesen war, gehörte zu den wenigen, die sich der Schuld bewusst wurden, die sie durch die Ausübung ihres grausamen Gewerbes auf sich geladen hatten. Er kritisierte in einem Buch die Europäer, alles eingeführt zu haben, was in Afrika böse ist, vor allem die Gewehre, deren Verkauf an die küstennahen Häuptlinge schlimmste Unmenschlichkeiten und Verwüstungen hervorgerufen hätten.
Auch Joachim Nettelbeck aus Kolberg in Hinterpommern, ein erfahrener Seemann und preußischer Schiffskapitän, der auf Sklavenschiffen in Afrika und Amerika in niederländischen Diensten unterwegs war, gesteht zu: „Aber eben so wenig kann auch verleugnet werden, dass die erste Veranlassung zu all diesem Elende von den Europäern herrührt, welche durch ihre eifrige Nachfrage den Menschenraub bisher begünstigt und unterhalten haben.“ Er erklärt in einer Autobiografie, was man tun müsse, um die „Ware“ nicht zu verlieren: „So muss man auch von dem Moment, da sie in das Schiff geladen werden, die Segel aufziehen, weil sonst die armen Leute eine solche Liebe für ihr Vaterland empfinden, dass sie, daraus zu weichen, vor Verzweiflung sterben möchten, welches auch verursachet, dass etliche wohl gar sich in das Meer stürzen, andere den Kopf an das Schiff stoßen, oder den Atem anhalten, um zu ersticken, desgleichen etliche vor Hunger sterben, und nichts essen wollen. So bald sie aber ihr Land nicht mehr sehen, fangen sie an, sich unter einander zu trösten, vornehmlich wenn man ihnen mit Instrumenten vorspielet.“ Er drückt 1822 seine Freude über die Abschaffung des Sklavenhandels aus, an dem er 50 Jahre vorher beteiligt war: „Vor fünfzig Jahren galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe, wie andere, ohne dass man viel über seine Recht- oder Unrechtmäßigkeit grübelte. Wer sich dazu brauchen ließ, hatte Aussicht auf einen harten und beschwerlichen Dienst, aber auch auf leidlichen Gewinn.“
In vielen Werken über die Geschichte Brandenburg-Preußens wird nicht einmal erwähnt, dass der große Kurfürst im Sklavenhandel aktiv war. Aufgrund der im Vergleich zu anderen europäischen Großmächten geringen Macht hatte er zwar einen kleinen Anteil, aber auch er und sein Staat hatten keine Skrupel. Im 17. Jahrhundert war die brandenburgische Marine ausreichend groß, um eigenständig am transatlantischen Sklavenhandel teilzunehmen. Die Brandenburger hatten in Westafrika eine Festung gebaut, die sie als Sklavengefängnis nutzen konnten. Sein Berater Raule erwirkte von der Dänisch-Westindischen-Guineischen Kompanie das Recht für Brandenburger, sich auf St. Thomas niederzulassen und Geschäfte zu betreiben. Die Insel diente fortan den Brandenburgern u.a. als Stützpunkt und „Zwischenlager“ für die von ihnen aus Afrika antransportierten Menschen. Der Handel mit Sklaven wurde zur Haupteinnahmequelle und das Fundament der im Besitz des Kurfürsten Friedrich Wilhelm befindlichen Brandenburgisch-Afrikanischen Kompanie.
Die Schilderungen des schwäbischen Arztes Johann Peter Oettinger über eine Reise in der Hochzeit des brandenburgischen Sklavenhandels 1693 von seinem Einsatz auf einem Sklavenschiff auf der Reise von der westafrikanischen Festung Großfriedrichsburg in die Karibik, lassen erahnen, wie es in diesem Geschäft zuging: „Einige Tage nach meiner Ankunft trafen schon die ersten Sklaventransporte aus dem Inneren des Landes ein, während gleichzeitig die für den Tauschhandel bestimmten Waren vom Schiffe herbeigeschafft wurden. Sobald eine genügende Anzahl der unglücklichen Opfer beisammen war, wurden sie von mir untersucht, die Gesunden und Kräftigen gekauft. Die angekauften Sklaven mussten dann zu 20 und 30 hinknien. Die rechte Schuler derselben wurde mit Palmöl bestrichen und mittels eines Stempels, der die Initialen C AB C (Churfürstlich-Afrikanisch-Brandenburgische Compagnie) trug, gebrannt; hierauf wurden die also gezeichneten in den für sie bestimmten Unterkunftsräumen streng bewacht. Waren etwa 50 oder 100 Sklaven beisammen, so wurden sie zu zweien oder dreien aneinander gekoppelt und unter Eskorte zur Küste getrieben.“ Einige seien, so der Arzt, widerstands- und willenlos gefolgt, andere hätten geheult und getanzt, namentlich Frauen, die „Luft mit herzzerreißendem Geschrei erfüllt“. Nachdem das Schiff mit 738 Sklavinnen und Sklaven beladen war, ging Oettinger an Bord: „Doch welch ein Schauer überkam mich beim Betreten der Räume, in denen die unglücklichen Opfer untergebracht, beim Einatmen der schrecklichen Atmosphäre, in der dieselben zu leben gezwungen waren.“ Wie das Vieh werden sie behandelt, beschreibt der Arzt.. „Schon während meines Landaufenthaltes waren zehn der Unglücklichen gestorben und während der nächsten Tage erlag eine ebenso große Zahl der Brechruhr.“ Oettinger berichtet auch von Versuchen der Afrikaner sich aufzulehnen und der grausamen Bestrafung nach dem Scheitern dieser Versuche.
Sollte man nicht in Deutschland wie in Frankreich einen „Gedenktag an Sklaverei und Sklavenhandel“ einführen und wie dort die Behandlung des Themas in den Schulen zum Pflichtpensum bestimmen; besser noch wäre ein europaweiter Gedenktag? Gebe uns das nicht auch ein Fundament für die auch hierzulande nötige öffentliche Aufarbeitung des Themas und auch die Basis für den nötigen transatlantischen Öffentlichkeitsraum zur gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte und zur länder- und kontinentübergreifenden Suche nach den Konsequenzen?
Wolfgang Lieberknecht, Koordinator von Black&White - Verein für afrikanisch-europäisch-amerikanische Verständigung e.V. (homepage: www.blackandwhite-schwarzundweiss.de).
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008