AUS DER ZEIT DER SKLAVEREI

Alte Mafa aus Nordkamerun erzählen

Von Godula Kosack

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Im Schatten dieses Baumes vor dem Gehöft des Sklavenhändlers Malaguza warteten Sklaven auf ihren Abtransport. Noch heute müssen diesem Baum regelmäßig Bieropfer gebracht werden, damit die Nachkommen des Malaguza in Frieden leben können. Foto: G. Kosack

Im nördlichen Mandaragebirge sind die Erinnerungen an die Zeit der Sklaverei noch lebendig. Der innerafrikanische Sklavenhandel überlebte den transatlantischen und fand in manchen Gegenden erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Ende. Die Mafa, die Jahrhunderte lang die Sklavenjagden der Mandara zu befürchten hatten, atmeten auf, als die deutsche Kolonialverwaltung im Jahre 1912 den Sklavenhandel verbot und ahndete. Ich suchte in den 1980er Jahren Mafa-Frauen und Männer aus Guzda und benachbarten Dörfern auf, die diese Zeit noch erlebt hatten. Nur wenige Sklaven kehrten als freie Menschen in ihre Dörfer zurück. Über das Schicksal der Menschen, die verkauft oder verschleppt wurden, können die Mafa deshalb nur wenig berichten. Die jüngeren Leute wissen kaum mehr, dass die Generation ihrer Großeltern vom Sklavenraub und -handel bedroht war. Die Alten schwiegen darüber, denn die Zeiten waren zu schwer und zu unrühmlich, auch für viele Mafa, als dass ihrer gerne gedacht würde.

Der neunzigjährige Zlakena, der Älteste aus dem Dorfviertel Guzda-Gura, erzählt, wie die Menschen zur Zeit der Sklaverei lebten:
Von meinem Vater hörte ich, dass zu seiner Zeit die Sklaverei viel praktiziert wurde. Für eine Person wurde ein langes Messer mit einem Ledergriff und einem Schmuckanhänger aus Garn daran bezahlt. Eisengegenstände waren damals, als die Schmiede das Eisen noch selber aus dem Flusssand verhütteten, viel mehr wert als heute. Dazu gab es ein Stück Natron, eine etwa 3 cm dicke und 90 cm große Platte, und ein Tongefäß voll Steinsalz, etwa 2 kg. Andere ließen sich in Hirse auszahlen, wenn sie diese für ihre Familie brauchten. Darüber hinaus konnte man sich auch ein Gewand geben lassen. Diese Gewänder aus Baumwolle waren sehr kostbar, denn damals wuchs die Baumwolle nur an Bäumen, nicht an Sträuchern wie heutzutage, und der Ertrag war gering. Die Sklaven wurden an die islamisierten Mandara oder Fulbe verkauft, die sie dann irgendwohin weiter verkauften.

Es ist jetzt vielleicht achtzig Jahre her, dass man in meiner Gegenwart Sklaven verkaufte. Als wir noch klein waren, gingen wir nicht so ohne weiteres spazieren, denn wir hatten Angst, dass man uns im Busch (d.h. außerhalb des Dorfes) heimlich einfangen und als Sklaven verkaufen würde. Ich habe erlebt, wie die Tochter des Halbbruders meines Vaters heimlich von ihrem Vater Gedayè verkauft wurde. Eines Tages trug er ein Gewand der Muselmänner, und die Leute fragten: „Woher hast du dieses Gewand?" Mein Onkel antwortete: „Das habe ich einfach so bekommen." „Aber wo ist denn deine Tochter?" Auf diese Frage schwieg er. Mein Vater rief alle Leute des Dorfviertels zusammen. Sie gingen zum Hause Gedayès, ergriffen ihn und fesselten ihn an Händen und Füßen. „Wir lassen dich erst wieder frei, wenn du uns erklärst, wohin du deine Tochter gebracht hast. Sonst bleibst du hier auf der großen Felsplatte in der Sonne liegen!" Da bekannte Gedayè: „Ich habe sie den Mandara gegeben. Wohin sie sie gebracht haben, kann ich nicht sagen." Die Leute, unter ihnen mein Vater, waren empört: "Bei dir herrscht keine Hungersnot, und dennoch verkaufst du jemanden! Warum?" Sie schlugen ihn zu Boden und droschen auf ihn ein. Dann banden sie ihn wieder los und verlangten: „Geh und hol deine Tochter zurück!" „Aber die haben mir doch nicht gesagt, wohin sie sie bringen wollten! Wo soll ich sie denn suchen? Die Mandara haben sie irgendwohin mitgenommen!" Er musste alles, was er für seine Tochter bekommen hatte abgeben, nur das Schlagmesser und die Kappe der Muselmänner ließen sie ihm.

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Vor dem Verkauf an die Mandara wurden Sklaven mit diesem Stein "gefesselt". Der Fuß wurde durch das Loch gesteckt, dessen Gewicht so schwer auf dem Fuss lastete, dass er anschwoll. Somit war das Fluchtrisiko minimiert. Foto: G. Kosack

Mein Vater Tekulèf erzählte mir auch, wie seine Großmutter als Sklavin ins Haus kam: „Mein Großvater Vèzèw war eine wichtige Persönlichkeit im Dorf. Oft kamen Leute mit Sklaven zu ihm, damit er sie für sie verkaufte. Eines Tages brachten ihm drei Männer ein Mädchen. Vèzèw sagte ihnen den Erlös, den er für sie erhalten würde, zu. So ließen die Männer das Mädchen bei Vèzèw. Dieser legte sich auf die Felsplatte unter dem Ebenholzbaum und schaute dem Mädchen nach, wie es eine seiner kleinen Töchter auf den Rücken gebunden, die Schafe in die Ebene trieb. Er schaute auch zu, wie das Mädchen mit seinen Frauen auf dem Felde arbeitete. Er stellte fest, dass sie sehr hart arbeitete, viel mehr als alle anderen auf dem Felde. Sie legte die Zweige für das Brennholz und das Unkraut für das Vieh zur Seite. Wenn sich die anderen im Schatten eines Baumes ausruhten, dann machte sie aus den Zweigen und dem Unkraut Bündel und trug sie eilig nach Hause, wo sie das Gras den Ziegen und den Rindern im Stall vorwarf. Darauf kehrte sie schnell zum Feld zurück. Sie arbeitete also weiter, ohne sich mit den anderen Frauen und Mädchen ihres Alters auszuruhen. Sie beeilte sich bei der Arbeit so, dass sie zwischendurch nicht einmal den Rücken streckte. Vèzèw, auf einem Felsen ausgestreckt, beobachtete dieses Mädchen lange Zeit in aller Ruhe. Er war verblüfft über die Behändigkeit, mit der das Mädchen, das er verkaufen sollte, alle Aufgaben erledigte. Er wollte sie nicht mehr zu den Mandara bringen, sondern sie als seine Frau behalten.

Er hatte bereits große Reichtümer angehäuft, die ihm die Sklavenhändler dafür bezahlt hatten, dass er ihnen Sklaven vermittelte. Vèzèw war also in der Lage, dieses Mädchen zu kaufen. Als eines Tages die Männer zu ihm kamen, ging er ohne zu zögern ins Haus und holte, was für eine Sklavin zu zahlen war. Die Männer waren zufrieden und dankten Vèzèw. Dieser sagte zu dem Mädchen: "Du bleibst jetzt hier als meine Frau bei meinen anderen Frauen." Die junge Frau arbeitete weiterhin hart auf dem Felde. Einige Zeit später brachte sie ihr erstes Kind zur Welt - einen Jungen. Das war eine großartige Geburt für Vèzèw, denn nun konnte er als Vater eines Sohnes zu den Ahnen eingehen. Die vier Mitfrauen aber neideten ihr die Geburt des Sohnes und hassten sie, denn sie hatten nur Töchter geboren: Sie nannten sie 'Sklavin der Familie'. Doch da ihr Mann sie bewunderte und überaus liebte, duldete er nicht, dass man von ihr so sprach und auf sie herabblickte. Die Frau lebte also bei ihrem Mann in Gura, ohne zu wissen, woher sie gekommen war. Sie kannte den Weg zu ihrem Geburtsort nicht, denn man hatte sie nachts von dort weggebracht.

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Ihr Vater war der berüchtigste Sklavenhändler der Mafa, ihre Mutter wurde ihm als Sklavin gebracht. Foto: G. Kosack

Es gab Leute, die waren auf Sklavenraub spezialisiert. Hamajè, ein Mandara, war ein berühmter Sklavenhändler. Er war der Chef einer großen Räuberbande, die in der ganzen Gegend ihr Unwesen trieb. Häufig tauchten irgendwo Reitertrupps von Hamajès Leuten auf. Sie waren mit langen Lanzen und Buschmessern bewaffnet. Um jemanden einzufangen, umringten sie eine kleine Gruppe von Leuten und verfolgten sie zu Pferde. Wenn jemand entkommen wollte, schleuderten sie ihre Lanzen oder Messer nach ihm. Angstgepeinigt warfen sich die Verfolgten auf die Knie und ließen sich auf das Pferd zerren. Wer sich nämlich widersetzte, wurde mit einer Lanze durchbohrt oder mit einem langen Messer geköpft. Allabendlich kehrte jeder Mann Hamajès mit einer Ausbeute von ein, zwei oder gar drei Sklaven auf seinem Pferd oder in Ketten gelegt und am Pferd festgebunden zu Hamajè zurück. Die Mafa in den Bergen lebten etwas geschützter. Denn die Leute Hamajès konnten mit ihren Pferden nicht die Terrassen erklimmen. Wenn sie dennoch einen Berg hinauf kamen, um einen Menschen zu verfolgen, bewaffneten sich die Bewohner dort mit ihren Pfeilen, um sich zu verteidigen. In diesen Kämpfen verloren die Leute Hamajès oft, und sie mussten unverrichteter Dinge zurückehren. Am schlimmsten betroffen waren die Bewohner der Ebene. Viele von ihnen retteten sich in die Berge und versteckten sich in den Höhlen.

Daldor, Mutter des Dorviertelchefs in Guzda-Modzof, erzählt:
Damals herrschte Hunger. Viele Väter verkauften ihre Kinder. Eine Mahlzeit bestand aus fünf Hirsekörnern für jeden. Viele sind verhungert. Mein Vater hat eine Frau verkauft, die er irgendwo aufgegriffen hatte. Andere haben mehrere Personen verkauft. Für einen Sklaven bekam der Verkäufer fünf Schüsseln Hirse oder vier Ziegen. Mein Bruder hatte für einen Sklaven, den er auf der Straße aufgegriffen hatte, vier Ziegen bekommen. Er empfand keine Schuld, denn er hatte den Sklaven verkauft, weil er keine Hirse mehr hatte. Andere Leute verkauften jemanden, obwohl sie noch Hirse im Speicher hatten. Mein Vater versteckte uns Kinder in den Höhlen der Berge aus Angst, dass jemand uns einfangen könnte. Wenn die Mandara auf ihren Pferden irgendwo auftauchten, ging ein Signal (Drrrrrr) durch das Land. Alle Leute flüchteten sich in die Höhlen. Dort blieben wir bis zu drei Tagen, bis eben die Mandara wieder fort waren. Ich war ein Mädchen im heiratsfähigen Alter, als die Sklaverei endlich vorbei war.

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Civèds Kusine war als Kind in die Sklaverei verkauft worden, und sie fürchtete sich davor, als Sklavin eingefangen zu werden. Foto: G. Kosack

Von dieser Zeit weiß auch Cived, eine Frau von etwa 85 Jahren, zu berichten:
Ich weiß von vielen Leuten, die in die Sklaverei verkauft wurden: Väter veräußerten ihre Kinder in Notzeiten, und andere wurden mit Gewalt geraubt. Der Bruder meines Vaters verkaufte seine Tochter. Sie war etwa in meinem Alter, vielleicht zehn Jahre alt, denn sie ging schon den Busch, um Holz zu sammeln. Der Vater hatte mit den islamischen Händlern gesprochen und dann zu seiner Tochter gesagt: „Komm mit mir!" Er brachte sie zu einem Händler, der sie sogleich festnahm. Ihr Vater bekam Salz, zwei Rinder und drei schwarze traditionelle Gewänder für sie. Ich hatte damals großes Mitleid mit meiner Kusine, aber ich wagte nicht, es zu zeigen oder gar zu weinen, denn sonst hätte man mich vielleicht auch als ungezogenes Kind verkauft. Denn die faulen und ungezogenen Kinder wurden vor allem verkauft. Aber mein Onkel hatte seine Tochter verkauft, obwohl sie sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Ein Vater verkaufte lieber seine Tochter, weil sie ohnehin von den Eltern weggeht, wenn sie heiratet. Der Preis für eine Sklavin war höher als der Brautpreis. Durch den Verkauf eines Sohnes würde die Familiengröße verringert. Die Mädchen und die verheirateten Frauen trugen damals ein Halsband aus Hühnerfedern. Das sollte eine Schwangerschaft vortäuschen, denn eine Schwangere konnte nicht verkauft werden. Die Tradition verpönte den Verkauf einer Schwangeren, wusste man ja nicht einmal, ob sie einen Sohn oder eine Tochter trug. Ich selber bekam ein solches Halsband von meinem Vater umgehängt und später auch von meinem Ehemann, wenn ich weggehen wollte. Dann musste ich viel trinken und essen, damit der Bauch anschwoll und die Schwangerschaft glaubhaft wurde. Ich lebte ständig in der Furcht, in die Sklaverei verkauft zu werden.

Ndèlmè, ein Alter aus Madzof erinnert sich:
Die Sklaverei wurde mit der Ankunft der Weißen in Mora und Mokolo beendet. Die Weißen verboten den Sklavenhandel und die Stammeskriege vom Augenblick ihrer Ankunft an. Selbst die Männer Hamajès kamen nicht mehr, um Sklaven zu jagen und sie nach Madagali zubringen. Die Sklavenjagd war verboten, und wer dagegen handelte, wurde ins Gefängnis geworfen. Die Leute hatten also kein Problem mehr mit der Sklaverei. Dafür gab es schwere Hungersnöte, weil die Heuschrecken die ganze Hirse und die anderen Nutzpflanzen vernichteten. In jener Zeit verhungerten viele Leute.

Der vollständige Text ist nachzulesen bei Godula Kosack 1992: Aus der Zeit der Sklaverei - alte Mafa erzählen, Paideuma 38: 177-194.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008