Von Emanuel Sevrugian
Obgleich Marcel Proust gegen die Methode polemisierte das Werk aus der Biografie zu erklären, gilt der kunsthistorische Brauch die Vita dem Werk voranzustellen. Daher seien im Folgenden sehr verkürzt einige biografische Daten der beiden Künstler der Ausstellung, des Antoine-Khan als Fotografen und seines Sohnes André als Maler, angegeben.
Antoine Sevruguin wurde 1840 als Sohn des in zaristisch-russischem diplomatischen Dienst stehenden Vasil de Sevruguin und seiner aus Tiflis stammenden Ehefrau in der russischen Botschaft zu Teheran geborenen, ebenso seine Brüder und drei seiner Schwestern. Es mag sein, dass schon der kleine Antoine in der großen Bibliothek seines Vaters Vasil mit jener Bilderflut konfrontiert wurde, die ihn später zu der für ihn charakteristischen enzyklopädischen Arbeitsweise bestimmte. Sein Vater Vasil verstarb früh infolge eines Reitunfalls. Seine junge Witwe, von korrupten zaristischen Beamten um Nachlass und Pension gebracht und von dem aufdringlichen Nachfolger ihres verstorbenen Mannes bedrängt, verließ mit ihren Kindern fluchtartig die Teheraner Botschaft und kehrte nach Tiflis zurück. Zwei von Antoines Brüdern, Emanuel und Kolia, konnten nach Absolvierung der armenischen Perch Proschian-Schule Anstellung in einem Handelshaus finden. Der mehr musisch begabte Antoine aber verweigerte sich einer bürgerlichen Laufbahn und wollte Kunstmaler werden. Obwohl talentiert – einige seiner Bilder wurden später von der russischen Botschaft in Teheran angekauft – faszinierte ihn das neue Medium der Photographie, mit dem er mehr Möglichkeiten sah seine künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen, das aber auch eine Perspektive zu sein schien seine Angehörigen finanziell zu unterstützen. Um seine Vision von einer enzyklopädischen Photodokumentation Persiens zu verwirklichen, überredete er seine beiden Brüder ihre Ersparnisse für dieses Unternehmen einzusetzen.
Ein solches Vorhaben war im 19. Jahrhundert nicht nur ein technisches Wagnis – man musste eigene Zelte als „Dunkelkammer“ für die Zubereitung der diversen technischen Prozeduren mitführen – sondern auch ein gefährliches Unterfangen, da weite Landstriche außerhalb der großen Städte von räuberischen Nomaden und Banden beherrscht wurden. Schon in Persisch-Aserbeidschan, der ersten Reiseetappe, begannen sie mit der Photodokumentation von Land und Leuten, mit Szenen aus dem Volksleben der Dörfler, dem Stammesleben der Nomaden und mit Aufnahmen der Landschaft und der Monumente. In Täbris trafen sie auch den Kronprinzen Muzaffer ad-Din, den späteren Schah, dem Antoine ein in persischer Schrift verfasstes Manuskript zur Fotografierkunst widmete, das sich heute im Teheraner Staatsarchiv befindet.
Die nächste Reiseetappe führte nach Kurdistan, wo es den Brüdern gelang mit verschiedenen Stammesfürsten Freundschaften zu schließen und dadurch ungefährdet die wohl erste Photodokumentation dieser Region zu erstellen. Diese dauerhaften Beziehungen zu den Stammesfürsten bewährten sich noch Jahrzehnte danach, als die Brüder schon längst in Teheran etabliert waren, wie eine Gruppenaufnahme kurdischer Stammesfürsten im Garten des Hauses Sevruguin zeigt.
Die Brüder kehrten schließlich in ihre Geburtsstadt Teheran zurück, wo sie ein bald florierendes Photoatelier eröffneten. Begünstigt wurde das Unternehmen durch die Protektion von Nasr ad-Din Schah (1848-1896) der selbst ein passionierter Fotograf war. Unter Verleihung des Khan-Titels wurde Antoine zum Hoffotografen ernannt. Diese Stellung behielt er auch unter den folgenden Schahs bis zu seinem Tod im Jahre 1933. In Teheran heiratete Antoine Louise Gourgenian, die aus einer alten und angesehenen Teheraner Familie stammte. Aus dieser Ehe entstanden drei Söhne, darunter der spätere Kunstmaler André (Darvish) und vier Töchter. Auch nach seiner Familiengründung folgte Antoine alljährlich seiner Leidenschaft: den Photoexpeditionen in die entferntesten Provinzen Persiens, auch mit Abstecher in den Irak.
Antoine gehörte zur ersten Generation von Fotografen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Fotografie in Persien als Hauptberuf betrieben. Im Laufe der Jahre wurde seine Sammlung so bekannt, dass in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn 20. Jahrhunderts die meisten guten Bildpublikationen in Europa aus dem Atelier Sevruguin stammten. Europäische und amerikanische Forschungsreisende und Touristen in Persien jener Zeit versorgten sich mit Abzügen aus diesem Atelier, oft in ganzen Alben zusammengestellt, wobei die Käufer bei Veröffentlichungen nicht selten ihren eigenen Namen angaben. Gelegentlich wurde der Name des Fotografen auch in falscher Form veröffentlicht, was dazu führte, dass spätere Fotohistoriker zu den unterschiedlichsten Vermutungen hinsichtlich seiner Nationalität kamen; nicht selten wurde er für einen Franzosen gehalten.
Die legendäre Sammlung des Ateliers war schon zu Lebzeiten des Fotografen international bekannt, wovon Goldmedaillen und Ausstellungspreise, unter anderem die Goldmedaille von 1897 in Brüssel, die Goldmedaille von 1900 in Paris etc. Zeugnis geben. Um 1900 bemühte sich sogar das British Museum – allerdings vergeblich - um den Ankauf der Sammlung. Sein Werk war bekannt, weniger bekannt war jedoch die Person des Fotografen. Die Frage, weshalb die Persönlichkeit des Fotokünstlers bis zu seiner Wiederentdeckung seit den 1980er Jahren so lange im Dunkeln bleiben konnte, beantwortet die Korrespondentin der „New York Times“ mit dem Hinweis auf den „Eurozentrismus“: wäre Antoine Europäer gewesen, wäre dies nicht passiert.
Eine eigene abenteuerliche Vita hatten auch die ursprünglich sich auf mehr als 7000 Originalplatten und auf eine unübersehbare Zahl von vintage prints belaufende „Sammlung Sevruguin“, deren erhaltene Reste sich heute in vielen Ländern, Museen und Privatsammlungen befinden. Während der Verfassungskämpfe in Persien 1908 wurden Haus und Atelier Sevruguin verwüstet, die Glasplatten zertrümmert. Dennoch gelang es Bruder Emanuel und Sohn André in mühevoller Kleinarbeit noch an die 2000 Platten zu retten und zu restaurieren.
Das Leben ging weiter und das Atelier florierte mehr denn je. Der kaiserliche Hof und das aufkommende Bürgertum ließen sich im Atelier Sevruguin fotografieren und Antoine sammelte nebenher fotografische Eindrücke des städtischen Lebens: von Bettlern und Derwischen bis hin zu Kleinhändlern und dem Kaiser mit seinem Hofstaat. Doch schon zwei Jahrzehnten nach der Katastrophe von 1908 ereilte die Sammlung ein anderer und nun scheinbar endgültiger Schlag. Im Zusammenhang mit dem Aufbau der Diktatur der neuen Pahlavi-Dynastie wurde auf Befehl Reza Schahs (1925-1941) die gesamte Fotosammlung von Gendarmen abgeholt um vernichtet zu werden, da der Schah keine Bilder des vormodernen Persien verbreitet wissen wollte. Die Sammlung wurde in das Polizeipräsidium gebracht, wo man aber offenbar dem Vernichtungsbefehl nicht im vollen Umfang nachkam. Die Tochter des Fotografen, Mary Sevruguin-Badni, konnte den verbliebenen Rest heimlich auslösen. Diesen übergab sie der amerikanischen Presbyterian-Mission mit der Auflage den Verkaufserlös für wohltätige Zwecke zu verwenden. Wie aus den Protokollen der Smithsonian Institution zu entnehmen ist, gelangten diese Reste der Sammlung über Umwege schließlich nach Washington, wo sie heute der Öffentlichkeit und zu Forschungszwecken zur Verfügung stehen.
Eins der Kinder Antoine-Khans, André, hatte offenbar die künstlerischen Gene des Vaters geerbt. Schon in jungen Jahren zeigte sich sein großes künstlerisches Talent. Aquarelle, die er als Kind gemalt hatte, fanden – in Unkenntnis des Urhebers – gelegentlich ihren Weg in moderne Auktionskataloge. Ein Aquarell des Mausoleums von Tus wurde sogar in Burgers „Großer Kunstgeschichte“ von 1917 als Farbtafel abgebildet.
Obwohl auch er wie sein Vater in jungen Jahren gedrängt wurde einen sicheren Beruf zu ergreifen, beharrte er darauf Maler zu werden; unterstützt wurde er dabei von seinem Onkel Emanuel. Schließlich erlaubte ihm die Familie ein Malereistudium an der Ecole des Beaux Artes in Paris. Dieser hoffnungsvolle Anfang wurde jedoch bald durch den ersten Weltkrieg unterbrochen. Von jeglicher finanzieller Unterstützung der Familie abgeschnitten fanden er und einige der Mitstudenten die einzige Lösung in der Fremdenlegion. Im Frontfeuer wurde er verwundet. Wiederhergestellt unternahm André auf abenteuerlichen Wegen die Rückkehr in das Teheraner väterliche Haus, wo ihn jedoch die Einberufung zum russischen Militär erwartete. Anfangs weigerte er sich, erneut zum Militär zu gehen. Erst als die Kunde des Völkermordes an den Armeniern durch die jungtürkische Regierung nach Teheran gedrungen war, meldete er sich bei der russischen Kommandantur. Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde er den Kosaken unter General Bicherakov zugeteilt. Im ersten Weltkrieg waren ungeachtet der persischen Neutralität türkische und russische Truppen in Nordwestpersien und Kurdistan eingedrungen. Auch bei diesen Kämpfen wurde André mehrfach verwundet.
Obwohl das Kosakenleben den jungen André fasziniert hatte, kehrte er bei Ausbruch der russischen Revolution nicht mit seiner Truppe nach Russland zurück, sondern zu seiner Familie nach Teheran. Im väterlichen Haus nahm André die Malerei wieder auf. In diesem Zeitabschnitt von etwa 1919 bis zu den frühen 1920er Jahren entstanden zahllose Ölmalereien, Aquarelle und Tuschezeichnungen. Dieses Frühwerk ist heute in aller Welt verstreut, erhalten haben sich etwa zwei Dutzend schwarz-weiß Fotos der Tuschezeichnungen.
Seit den frühen 1920er Jahren entwickelte der Künstler in Anlehnung an den altpersischen Malstil der Safawidenzeit in fast zehnjähriger Zurückgezogenheit, unter Verzicht auf materielle Interessen sowie gesellschaftlichen Vergnügungen, seinen eigenen Malstil aus einer Synthese altpersischer und moderner Malweisen. In dieser Schaffensperiode lud er Meister der Vortragskunst ein, die das Epos des Ferdousi vortrugen und damit sein monumentales Werk zu Ferdousis Schahname geistig unterstützen. In diesem Jahrzehnt bis etwa 1934 schuf er 416 Gemälde zum Königsbuch des Ferdousi, ferner Bilder zu Omar Chayyam, Hafez, zu Baba Taher und anderen Dichtern. Sein Stil wurde für die Anfang des 20. Jahrhunderts erstarrte persische Miniaturmalerei richtungweisend und schulbildend. Mit Recht schreibt Mohammed Beheshti: „Darvish ist der letzte alt-persische Maler und zugleich der erste moderne Maler“ und weiter: Darvish habe ein neues Kapitel der autochthonen persischen Malerei eröffnet.
Zwei bestimmende Ereignisse im Leben des Künstlers fallen in diese Zeit: Seine Heirat mit Mania Djagarbekian und die Geburt seines Sohnes Emanuel. In jenen Teheraner Jahren gehörte André auch dem legendären Freundeskreis um Sadeq Hedayat, Bozorge Alawi und anderen an. Dieser Intellektuellenkreis gilt als Pionier des iranischen Modernismus. Es sind diese Freunde, die ihn wegen seiner zurückgezogenen Lebensweise und seiner lebensphilosophischen Einstellung „Derwisch“ nannten; eine Bezeichnung, die er in der anglisierten Form „Darvish“ als Künstlername beibehielt. Die erste Grossaustellung seiner Werke unter dem Patronat des persischen Ministerpräsidenten fand 1934 in Teheran statt. Mit einem Schlag war seine Name in Teheran bekannt, er wurde mit Ordensauszeichnungen für kulturelle Verdienste, Ehrungen und Lobpreisungen der Presse überschüttet, aber ohne jeglichen finanziellen Erfolg; soweit bekannt wurde keines seiner Bilder verkauft.
Einer Einladung der Ferdousi-Gesellschaft in Indien folgend reiste André mit all seinen Bildern zu einer Ausstellung durch mehrere indische Städte. Hier erfolgte nicht nur der künstlerische, sondern auch der finanzielle Durchbruch. Bedeutende Künstler wie die Nestorin der indischer Kunstgeschichte Professor Stella Kramarisch, der Museumsdirektor Percy Brown und andere erkannten die Bedeutung seines Werkes. Ein Großteil der Bilder wurde verkauft, unter anderem 100 Gemälde an den Nizzam von Hyderabad, der einen eigenen „Darvish-Saal“ im Museum von Heyderabad einrichten ließ.
Nach diesem Erfolgen wollte Darvish sich auch dem europäischen Publikum stellen. So übersiedelte er mit seiner Familie nach Wien als ständigem Wohnsitz. Seine erste Ausstellung in der „Neuen Galerie“ fand große Resonanz. Nun luden ihn auch renommierte Galerien ein; unter anderem die Galerie Gurlitt in Berlin, die Galerie Royale in Brüssel und die Greatorix Gallery in der Londoner Bond Street. London brachte den größten finanziellen Erfolg. Es berichtete nicht nur die ansonsten konservativ–zurückhaltende Presse, sondern auch die BBC. Sicherlich trug auch der Umstand bei, dass durch die meisterhaften Nachdichtungen des Omar Chayyam durch Edward Fritzgerald (1859) die Chayyam Dichtungen in angelsächsischen Ländern in breiten Schichten bekannter waren als dies in Kontinentaleuropa der Fall war.
Nach der Londoner Ausstellung waren von den mehr als 700 Bildern, mit denen Darvish ursprünglich seine erste Teheraner Ausstellung begonnen hatte, nur noch wenige Bilder übrig. Nach Wien zurückgekehrt nahm der Künstler seine Arbeit auf, um in der, ihm eigenen disziplinierten Arbeitsweise neue Werke für eine geplante Ausstellung in Amerika vorzubereiten. Diese Bilder befassten sich zum Teil mit persischen Dichtungen. Als Novum entstanden jetzt auch großformatige Ölgemälde zur armenischen Geschichte und Sagenwelt, daneben Landschaften, Genrebilder und Stillleben. Wie stets in seinem Leben arbeitete und lebte er für seine Kunst, ungeachtet der weltpolitischen Vorgänge um ihn herum. Aber die Amerikareise wurde durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges vereitelt, schlimmer noch: in den letzen Kriegsjahren fiel fast das gesamte in Wien geschaffene Werk und sein Atelier den Bombenangriffe anheim. Kriegsbedingt floh die Familie unter Verlust der gesamten Habe in die vom Bombenterror verschont gebliebene Stadt Ravensburg und übersiedelte nach Kriegsende nach Stuttgart.
Trotz aller Verluste in seinem Leben – der schmerzlichste und tiefgreifendste war der Tod seiner Frau Mania 1984 – blieben Arbeitskraft und Einfallsreichtum des Künstlers bis ins hohe Alter erhalten. Die Züge seiner Frau hatte er oft, wohl unbewusst, bei seinen Frauengestalten der kleinformatigen Chajjam Serie wiedergegeben. Ihr, die die Stuttgarter Kunstakademie besucht hatte und selbst Batik-Meisterin war, verdankte er in seinem Spätwerk manche Anregung.
Geistig hellwach konnte der Künstler noch an seinem 102ten Geburtstag 1996 die anwesenden Journalisten mit lebensphilosophischen Ansichten und Chayyam Versen in Erstaunen setzen. Noch im gleichen Jahr verstarb Darvish in Stuttgart und wurde im Heidelberger Bergfriedhof beigesetzt.
Seit Kriegsende hatte Darvish - vielleicht aus seiner lebensphilosophischen Einstellung heraus - eine gewisse Verweigerungshaltung hinsichtlich öffentlicher Ausstellungen eingenommen. Solcherart „Verweigerung“ sind bekanntlich bei Künstlern und Schriftstellern nicht selten. Jedenfalls kamen seither Ausstellungen ohne seine Initiative oder persönlichen Beteiligung zustande. So etwa 1947 in Stuttgart, 1958 in Teheran. Bei der Brüsseler Weltausstellung 1958 hatte man, ohne Wissen und Zustimmung des Künstlers eines seiner schwächeren Werke ausgestellt, das dennoch eine Medaille der Weltausstellungskommission einbrachte. Auch einer Einladung des persischen Kultusministeriums und der Teheraner Akademie 1961/62, eine Ausstellungstour durch persische Städte, verbunden mit der Verleihung einer Professur an der Akademie, verweigerte er sich. Diese Ausstellungstour kam dennoch zustande, da seine tatkräftige Frau Mania dieses Angebot aufgriff. Diese so erfolgreiche Tour mit Ausstellungen in der Teheraner „Academy of Fine Arts“, in Abadan in der „Iranian Oil Company Hall“, in Agha Jari, Masjed Soleyman und anderen Städten führten zu zahlreichen öffentlichen und privaten Ankäufen. 1976 erfolgte eine kleine Ausstellung in der Galerie „Sevrugian & Bahls“, die sein Sohn Emanuel zusammen mit dem renommierten Rechtsanwalt Dr. Bahls in Heidelberg betrieb. Hier wurden unter anderem seine größeren Ölgemälde zur Bibel erstmals gezeigt. Auch bei 1988, 1996 und 1997 in der New Yorker „Gorky Gallery“ in der 5th Avenue veranstalteten Ausstellung wurden Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden, sowohl Ölgemälde wie Gouache-Malereien aus amerikanischen Privatbesitz gezeigt.
In Teheran hatte die Musikpädagogin und Kunsthistorikerin Lydia Berberian in den 1970er Jahren mit mehreren Dia-Vorträgen zum Werk von Darvish das Publikum mit neueren Entwicklungen seines Schaffens, den umfangreichen Hafez und Sajat-Nowa Serien, bekannt gemacht. Seit der letzen Teheraner Ausstellung von 1961/62 waren vierzig Jahre vergangen als durch die Initiative der Kunsthistorikerin Yvette Tatjarian und mit Unterstützung der Teheraner Organisation für Kulturerbe 2002 eine Ausstellung im „Golestan Palace Museum“ veranstaltet wurde, die bei Publikum und Presse erneut größte Resonanz fand. Tatjarian berichtete im März 2003 in einer mehrteiligen Sendung des Yerewaner Fernsehens über das Werk von Darvish. Zu erwähnen wären auch die bemerkenswerten wissenschaftlichen Arbeiten von Tatjarian zum Werk von Antoine und André Sevrugian.
Darvish gehörte zu den ersten Mitgliedern der Armenischen Künstlervereinigung, die 1922 in Tiflis gegründet wurde, sein Ausweis trägt die Nummer 83. In Wien wurde er 1936 vom „Zentralverband bildender Künstler Österreichs“ und in Stuttgart ab 1947 vom „Verband Bildender Künstler Württembergs“ aufgenommen, deren Ehrenmitglied er zuletzt war.
Darvish hinterließ ein immenses Werk das sowohl hinsichtlich der Themen wie der Techniken eine sehr große Spannweite aufweist. An dieser Stelle kann hierauf nicht näher eingegangen werden. Bezeichnend für seine Kreativität ist es auch, dass er neben der Ölmalerei an Aquarell-Gouachmalerei mit unterschiedlichsten Techniken wie Enkaustik, Batik, Siebdruck und mancherlei Bildträgern wie Leinen, Tuch, Karton Papier, Perlmutt und Keramik arbeitete. Viele seiner Ölmalereien, insbesondere Landschafts- und Genrebilder, waren ursprünglich als Freilichtmalerei entstanden, im Spätwerk arbeitete er vorwiegend mit seinen Skizzenbüchern oder mit Erinnerungsbildern seiner ausgedehnten Orientwanderungen. So unterschiedlich seine Themenbereiche auch sind, ob Bibel- und Historienmalerei als Ölgemälde, ob die der Phantastik zugehörigen Werke, wie die Serien der Hexensabbate und Opiumraucher oder die mehr als 200 Marinebilder, ob Illustrationen zu persischen und armenischen Dichtern, ob im akademischen Stil oder seiner eigenen Stilnomenklatur geschaffen, sie zeigen durchgehend die charakteristischen Merkmale seiner Handschrift: die üppigen Farben, oft in symbolischen Nuancierungen und die Dynamik der Bewegungen, die in ihren Stilisierungen mitunter in Abstraktion übergehen ohne die Grenze zur Ungegenständlichkeit zu überschreiten.
Obwohl Antoine-Khan als Fotograf und sein Sohn André als Maler erfolgreiche Einzelausstellungen vorweisen konnten, waren sie bisher doch nie gemeinsam gezeigt worden. Diese Idee brachte der Vorsitzende des „Kuratoriums Weltkulturdenkmal Kloster Lorsch“, Ernst-Ludwig Drayß ein, als er 2005 das Werk beider Künstler kennen lernte. Ein solches Vorhaben - zwei so ähnliche und doch so verschiedene Kunstgattungen wie Malerei und Fotografie zusammen zu präsentieren - bedeutet für jeden Kurator eine besondere Herausforderung. Die erfahrene Kuratorin Ulrike Krasberg ergriff diese schwierige Aufgabe und konnte sie, zusammen mit ihren Mitarbeiter/innen in glänzender Weise durchführen, worauf nicht zuletzt die einhellige Publikums- und Presseresonanz weist.
Es liegt auf der Hand dass gerade ein solches Unterfangen wie die Frankfurter Ausstellung die Unterschiede beider visuellen Medien besonders hervortreten lässt, was sich auch bei der Beurteilung seitens der Betrachter erkennen lässt. Je nach eigener Psyche und Sozialisation werden Besucher sich mehr zu dem einen oder dem anderen visuellem Medium hingezogen fühlen. Ausstellungsbesucher fragen immer wieder, wie der Fotograf Antoine-Khan angesichts des strengen islamischen Bilderverbots überhaupt arbeiten konnte. Tatsächlich scheint dies umso paradoxer, da Antoine oft sogar islamische Geistliche fotografiert hat, nicht zuletzt das Gruppenfoto aller höheren Geistlichen Teherans die im kaiserlichen Palast zur Audienz geladen waren. Diese blicken meist erwartungsvoll und keineswegs grimmig in die Kamera. Unter der Geistlichkeit war die Frage der menschlichen Abbildung im Foto zunächst umstritten. Das „Foto“ wurde aber schließlich vom Bilderverbot ausgenommen: Das Foto sei nicht „geschaffen“, sondern eine Duplizierung der Wirklichkeit. Dagegen sei das gemalte Bild des Menschen „geschaffen“ und letzteres komme nur dem Schöpfer zu. Die weitergehende Frage, wieso es dennoch eine ruhmreiche Persische Malerei des 16. und 17. Jahrhundert gab, würde zu weit reichenden kulturhistorischen und religionssoziologischen Betrachtungen führen, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
Trotz der Unterschiedlichkeit beider Medien weisen die beiden Künstler zwei gemeinsame Merkmale auf: Einmal die große Spannweite ihrer Werke – bei Darvish stellt man mehr als sechs unterschiedliche Werksabschnitte fest – zum anderen die Vielschichtigkeit ihrer Schöpfungen. Beide Merkmale führten dazu, dass die Deutungen ihrer Werke entsprechend unterschiedliche Lesearten zulassen, wie aus den jeweiligen Veröffentlichungen hervorgeht.
Die Frankfurter Ausstellung zeigt mit 97 Exponaten beispielhaft Werke beider Künstler, wobei zu bedauern ist, dass, bedingt durch die räumlichen Beschränkungen des Museums, von beiden Künstlern nur eine punktuelle Sicht geboten werden kann. Obwohl diese Einschränkung für beide Künstler in gleicher Weise gilt, ist sie beim malerischen Werk vielleicht gravierender da aus den unterschiedlichen Werksabschnitten nur Exponate aus dem zweiten, dritten und fünften Abschnitt gezeigt werden konnten. Es bleibt zu hoffen, dass bei weiteren Ausstellungen die Exponate in größeren Zusammenhängen dargestellt werden können.
Weiterführende Literatur
Avedissian, Onnig (1959): Peintres et sculpteurs Armeniens : de 19eme siecle a nos jours precede d'un apercu sur l'art ancien. Le Caire : Amis de la Culture Armnienne
Meiselas, Susan (1977): Kurdistan in the Shadow oh History. New York
Lyle, Rexer: A Persian Pioneer in a Western Art. New York Times 13. 5. 2001
Browne, E.G. (1910): The Persian Revolution of 1906-1909. Cambridge.
Burgers Handbuch der Kunstgeschichte (1917), Bd. „Kunst der islamischen Völker“. Taf III. Berlin
Beheschti, Mohammed (1960): „Darvish – Führer der modernen Malerei in Persien“. „Iran-Nummer“ des Institutes für Auslandsbeziehungen Stuttgart
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008