WER WILL SCHON AUSSEHEN WIE EIN HUND?

Meißeln, Feilen und Schwarzfärben der Frontzähne bei den Batak in Sumatra / Indonesien

Von Achim Sibeth

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Karo-Frauen mit Ohrschmuck padung-padung, Indonesien, Sumatra, Karo-Hochfläche, um 1910. Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum, Historisches Fotoarchiv. Fotograf unbekannt

Das Meißeln, Feilen und Schwarzfärben der Frontzähne war bei mehreren ethnischen Gruppen Indonesiens früher üblich. Dieser Brauch ist unter anderem von den Bewohnern der westlich vor Sumatra liegenden Inseln Siberut und Mentawai sowie den Toraja auf Sulawesi bekannt. In diesen Regionen wurde diese „Zahnbehandlung“ fast oder ganz aufgegeben, auf Bali ist Zahnfeilung hingegen bis heute weit verbreitet.

Auch bei den Karo- und Toba-Batak wurden früher Zähne gemeißelt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts ließen nur noch wenige Batak diese schmerzhafte Prozedur im Geheimen (Heyting 1897: 295) über sich ergehen – nicht mehr jedoch während einer großen Initiationszeremonie, zu der die ganze Verwandtschaft eingeladen wurde. Hintergründe und Ablauf dieser Zeremonie haben die Batak inzwischen vergessen. Wir sind daher auf Berichte von Missionaren, Reisenden oder Kolonialbeamten angewiesen.

Eine der frühesten Darstellungen stammt vom Frankfurter Museumsgründer Bernhard Hagen (1884). Zu seiner Zeit waren das Meißeln und Schwarzfärben der Zähne bei den Karo noch weit verbreitet. Da Hagen als Kolonialarzt an der Ostküste nur wenig Einsicht in die Kultur der Karo bekam, blieben ihm religiöse und soziale Hintergründe verborgen. Den „Operateur“ beschreibt er als „Zahnkünstler“, nicht jedoch als religiösen Spezialisten guru pande kiker . Den speziellen Termin und Zweck der Zahnbehandlung realisierte er ebenfalls nicht. Hagen hatte offensichtlich das Zahnmeißeln nicht als Initiationsritus begriffen. Und so beschreibt er das Zahnmeißeln als „gesetzlich nicht vorgeschrieben“, als „traditionelle Geschmacksache, die im Belieben des Einzelnen steht“ (1884: 219). Nur bei den Frauen sei eine einheitliche Behandlung der Frontzähne üblich. Eher zufällig würden bei beiden Geschlechtern die Eckzähne mitbearbeitet. Anders war es jedoch bei den Toba, die sich neben den Schneidezähnen auch die Eck- und ersten Backenzähne abmeißeln und feilen ließen. „Wer sich die Zähne noch nicht hat abschlagen lassen, wird verhöhnt wegen seiner Hunde-, Tiger- oder Bärenzähne.“ (Winkler 1925: 31).

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Große Ohrgehänge padung-padung. Silber. Karo-Batak. Slg. Rautenstrauch-Joest-Museum Köln. Foto: A. Sibeth

Bei den Karo beginnt die Zahn-Zeremonie erkiker mit einem Festmahl im Haus des Dorfchefs. Jungen und Mädchen sind in beste Stoffe gekleidet. Sie sitzen in der Hausmitte in zwei Kreisen nach Geschlechtern getrennt. Nach dem Essen laufen die Initianden im Gänseschritt, die Mädchen voraus, zum Badeplatz. Anhaltendes Gewehrfeuer, mit dem böse Natur- und Ahnengeister ( hantu, begu ) vertrieben werden sollen, begleitet sie auf ihrem Weg. Die Mädchen haben zuvor ihre schweren Silber-Ohrgehänge padung-padung für die rituelle Reinigung ( erpangir ) am Badeplatz abgelegt. Nach der Reinigung an den nach Geschlechtern getrennten Badeplätzen gehen alle unter erneutem Gewehrfeuer zurück ins Dorf. Dort wurde in der Zwischenzeit auf dem Dorfplatz mit Matten und Kopfkissen der Platz für die Zahnmeißelung vorbereitet.


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Zwei Meißel mit Holzetui. Karo-Batak. Foto: A. Sibeth. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Hier breitet nun der rituelle Spezialist seine Werkzeuge aus und stellt die notwendigen Ingredienzien zusammen. Aus magisch wirksamen Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteilen bereitet er die Medizin tawar . Er schneidet aus geschälten Ästen des Zitronenbaumes daumenlange Stücke, die den Initianden bei der Zahnmeißelung als Beißholz dienen und die Kiefer auseinander halten sollen (Guillaume 1903). Für den Farbbrei, mit dem die Zähne nach dem Meißeln und Feilen schwarz gefärbt werden, verwendet er verkohltes Harz des badja -Baumes. Zum Abmeißeln der Zähne benutzt er scharf zugeschliffene Meißel aus Eisen, einen handlichen Schlägel aus Holz oder Knochen sowie eine Metallfeile. Letztere wurde von den Küstenmalaien übernommen und ersetzt die früher verwendeten kleineren Meißel beziehungsweise Schleifsteine.

Beim Meißeln der Zähne werden jeweils kleine Stücke der Schneidezähne von den Seiten her abgesprengt, bis die Zähne die gewünschte Form aufweisen. Bei jungen Männern bleibt von den oberen Schneidezähnen ungefähr die Hälfte stehen, während die unteren Schneidezähne fast bis auf das Zahnfleisch zurückgestutzt werden. Bei Frauen werden auch die oberen Schneidezähne fast vollständig abgemeißelt (Hagen 1884: 220). Die Zahnstümpfe werden mehrfach mit dem badja -Ruß bestrichen. Dieser bedeckt bloßliegende Nerven, verschließt geöffnete Zahnhälse und färbt die Zahnstümpfe schwarz. Manche Männer lassen sich die Außenseite der oberen Schneide- und Eckzähne mit eingelegten Gold- oder Silberstreifen beziehungsweise Perlmuttstückchen verzieren. Darunter eingebrachte magische Ingredienzien wehren Geister ab und lassen Giftanschläge unwirksam werden (a. a. O.: 221).

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Schlaghammer (aus Holz, Knochen) und Schleifstein. Karo-Batak. Foto: A. Sibeth. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Für die Karo war das Meißeln der Frontzähne eng mit ihrer Furcht vor Unwetter, Blitz und Donner verbunden. Man sollte bei Unwetter seinen Mund geschlossen halten und ungemeißelte Zähne nicht zeigen, da sonst der pelian den Blitz genau dorthin leiten würde (Neumann 1933: 531 ff.). Man stellte sich den pelian als Tier-Geist mit großen Zähnen vor, der bei Gewitter aus der Erde herauskommt. Eine mögliche Ähnlichkeit zu diesem pelian sollte daher vermieden werden. Mit dem Begriff pelian versuchten die Karo früher offensichtlich die eher seltenen Erde-Wolke-Blitze zu erklären. Dies sind Blitze, die ihren Ursprung nicht in den Wolken, sondern auf der Erde haben und sich zu den Wolken hin verästeln.

Bei den Toba heißt die Zahn-Zeremonie manggalontik ipon und findet im Geheimen statt, zum Beispiel irgendwo außerhalb des Dorfes, kombiniert mit einem Festessen, zu dem ein Schwein und Hühner geschlachtet werden (Guillaume 1903: 14). Lesen wir, was der Missionsarzt Winkler über die Behandlung von Zähnen bei den Toba schreibt:

„Gewöhnlich werden in Ober- und Unterkiefer je 8 Zähne gekürzt, die 8 Schneidezähne, die 4 Eckzähne und die 4 ersten Vorderbackzähne. Man nennt das verblümt: pasaë duru , den Feldrain reinigen. Abgesehen davon, daß manche aus Mangel an Mut sich die Zähne nur ein klein wenig gleichmäßig abfeilen lassen, wendet man 2 verschiedene Methoden an: entweder schlägt man die Zähne des Ober- und Unterkiefers nahe am Zahnhals quer durch, so daß nur kurze Stümpfe, sogenannte Fliegenköpfe, übrig bleiben – diese Methode fand früher allgemein bei den Frauen ihre Anwendung – oder man schlägt die vordere Wand der oberen Schneide- und Eckzähne bis nahe an den Pulpakanal hinweg, wonach die Kronen dieser Zähne ebenfalls, jedoch weniger als bei der ersten Methode, durch Abfeilen gekürzt werden, und zwar so, daß sie einen ebenmäßigen Rand bekommen. Diese zweite Methode wurde ursprünglich nur bei den Männern, jetzt aber gewöhnlich auch bei den Frauen angewandt ... Es gibt in jeder Landschaft nur einige wenige Leute, die die Kunst des Zähneabschlagens berufsmäßig und gegen Bewirtung und Bezahlung betreiben ...“


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Porträt eines Mannes mit abgeschlagenen Zähnen und Perlmutteinlagen. Indonesien, Sumatra, Karo-Batak. Köln: Rautenstrauch-Joest-Museum, Historisches Fotoarchiv. Unbekannter Fotograf


Und weiter ist bei ihm zu lesen:
„Bei der ersten Methode wird stets der Pulpakanal der abgeschlagenen Zähne bloßgelegt, bei der zweiten Methode geschieht das auch öfters, doch nur bei stärker nach vorn hervorstehenden Zähnen. Die Öffnung des Kanals wird in manchen Landschaften mit einer kleinen stiftförmigen Gold-, Silber- oder Messingplombe geschlossen. Bei den nach der zweiten Methode bearbeiteten Zähnen wird diese Füllung zuweilen zu einer kleinen Kreuz- oder Sternfigur ausgestaltet und manchmal wird außerdem noch ein einfacher oder ein aus 2 Fäden zusammengedrehter Gold-, Silber- oder Messingdraht über die Kaufläche der oberen Schneidezähne gelegt, dessen Enden beiderseits an den Eckzähnen befestigt werden ... Reichlich eine Woche lang ist der Mund so verschwollen, daß die Leute ihren Reis nur als Brei essen und kaum lächeln oder sprechen können.“
Winkler hat uns auch Beobachtungen zum Thema Kinderzähne überliefert:
„Mit den Zähnen beschäftigt sich die ... Gedankenwelt in besonders lebhafter Weise. Damit die Milchzähne möglichst bald und gut zum Durchbruch kommen, muß man darauf achten, daß die Kinder nicht in dem Raume unter dem Hause herumkriechen. Unter dem Hause kann ja nichts wachsen, der tondi die Lebensseele des Hauses würde auf dem Kinde lasten, die Leute droben im Hause würden über das unten herumspielende Kind hinwegschreiten, wie man über eine Kindsleiche hinwegschreitet, um sich von ihr loszusagen; außerdem wurden dort die Plazenten der Neugeborenen und die Leichen der Kinder begraben. – Die Spitze des Reisstampfers ... muß ab und zu wieder stumpf gemacht werden, weil sie sich durch längeren Gebrauch mehr und mehr zuspitzt; dies darf aber nicht geschehen zu einer Zeit, in der man ein Kind erwartet, sonst bleibt das Kind ohne Zähne, nach anderer Aussage bekommt es einen ‚stumpfen’ Kopf. Um den Durchbruch der Wechselzähne zu fördern, muß man die ausgefallenen Milchzähne auf das Wandbrett werfen mit dem Ruf nach einem neuen schönen Zahn als Ersatz. – Man darf des Abends nicht von Zähnen sprechen; würde man in der folgenden Nacht davon träumen, so würde der Ausfall eines Schneidezahnes den Tod einer Tochter, der Ausfall eines Eck- oder Backenzahnes den Tod eines Sohnes verkünden ...“

Übel wollende Ahnengeister begu bedrohen eine bataksche Familie vor allem in der Zeit von Schwangerschaft und Geburt. Winkler berichtet:
„Gewisse begu töten mit Vorliebe die Frau im Wochenbett; darum gilt es, alles zu vermeiden, was diese begu anlocken könnte. Die wichtigste Vorbeugungsmaßregel ist die, daß man sich möglichst schon vor der Heirat die Zähne abschlagen und schwärzen läßt. Ist die Frau in guter Hoffnung, so darf sie auf der Straße keinen Menschen ansehen, der lange weiße Zähne hat wie ein begu ; er könnte ja wirklich ein begu sein und der Frau auf dem Rückweg in ihr Haus folgen. In der Stunde der Geburt darf kein erwachsenes Familienmitglied, das ungekürzte und ungeschwärzte Zähne hat, in der Nähe der Wöchnerin weilen. Seine Anwesenheit würde die begu herbeilocken, und sie würden ihr Opfer schnell zu finden wissen ... Entsprechend der Überzeugung, daß allerlei Mängel und Gebrechen durch magische Handlungen beseitigt werden können, gibt der datu zuweilen einer Jungfrau, die vergeblich auf einen Freier wartet, den Rat, sich die Zähne abschlagen zu lassen ...

Bei der Feierlichkeit des Zähneabschlagens wurde den Göttern und Ahnengeistern ein Opfer dargebracht und desgleichen dem tondi der Verwandtschaft als der Vertretung der Vorfahren mütterlicherseits ... Nicht unwesentlich für das Verständnis der Anschauungen der Batak über die Sitte der Mutilation ist schließlich auch die Kenntnis ihrer Beziehungen zu dem Gebrauche des Betels und des badja -Rußes, die ihrerseits selber für den Verkehr der heiratsfähigen jungen Leute beiderlei Geschlechts untereinander von großer Bedeutung sind. Ohne die Einführung durch ein Betelpriemchen kann ein junges Mädchen mit Jünglingen nicht gesellschaftlich verkehren, man sagt aber, daß ungekürzte Zähne gerade bei einem Betelkauer sehr hässlich, ‚wie vom Hund beleckt’ aussehen.“ (alle Zitate Winkler 1925: 30–37).

Winkler, dessen Buch eine reiche Quelle für alle Aspekte des religiösen und sozialen Lebens der Toba ist, beschreibt detailliert, dass der Prozess des Abmeißelns als Gelegenheit begriffen wird, in die Zukunft der „Delinquenten“, ihrer Familien, aber auch anderer Dorfbewohner zu sehen. Für die Interpretation des künftigen Schicksals ist vor allem die Richtung relevant, in die der erste abgeschlagene Zahnsplitter fliegt, und der Ort auf dem er landet. Lebensdauer, künftige finanzielle Lebensbedingungen, aber auch Zahl und Geschlecht möglicher Nachkommen können daraus vorhergesagt werden. Verschiedene Opfergaben an die Ahnen, aber auch Geschenke an den religiösen Spezialisten, den Dorfchef oder an die Eltern können notwendig werden. Spezielle Speiseopfer, goldene Ohrringe oder rituell wichtige Hüfttücher ( ulos ) müssen übergeben werden, um das vorhergesagte Schicksal abzuwenden beziehungsweise positiv zu beeinflussen (s. Winkler 1925: 185).

Alle Aspekte des Zahnmeißelns sind deutliche Belege dafür, dass in vorchristlichen Zeiten – also vor dem Beginn der Christianisierung durch die Deutsche Rheinische Mission nach 1864 – das Zahnmeißeln „eine religiös begründete Geschlechtsweihe“ (Winkler 1925: 40) war, ohne die Heirat und Familiengründung unmöglich waren. Die Zeremonie markiert den rituellen Übergang (Initiation) in die Gruppe der heiratsfähigen Erwachsenen. Geschlechtsreife und Heiratsfähigkeit werden hiermit augenfällig dokumentiert. Dass das Meißeln und Schwarzfärben der Zähne seit fast 100 Jahren nicht mehr üblich ist, ist der Übernahme des Christentums, dem damit verbundenen Kulturwandel, dem vermehrten Kontakt mit Angehörigen anderer ethnischer Gruppen und sicher auch geänderten Schönheitsidealen geschuldet.

Weiterführende Literatur

Guillaume, H. (1903): Beschrijving van het tandenveilen (erkiker) bij de Karo-Bataks. In: Mededeelingen van wege het Nederlandsch Zendeling-Genootschap. Rotterdam. Bd. 47: 1–14
Hagen, Bernhard (1884): Die künstlichen Verunstaltungen des Körpers bei den Batta. In: Zeitschrift für Ethnologie. Berlin Bd. 16: 217–225
Heyting, (1897): Beschrijving der Onderafdeeling Groot-Mandeling en Batang-Natal. In: Tijschrift van het Koninklijk Aardrijkskundig Genootschap. Amsterdam. Bd. 14: 209–320
Neumann, J. H. (1933): Aanteekeningen over de Karo-Bataks. In: Tijdschrift voor Indische Taal-, Land- en Volkenkunde. Batavia. Bd. 79: 529–571
Winkler, Johannes (1925): Die Toba-Batak auf Sumatra in gesunden und kranken Tagen. Ein Beitrag zur Kenntnis des animistischen Heidentums. Stuttgart (Neuauflage im Druck)


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008