Von Eva Ch. Raabe
In einem der Magazine des Frankfurter Museums der Weltkulturen steht die aus Gips und Pappmaché gefertigte, lebensgroße Figur eines Papua aus Neuguinea. Es handelt sich um das letzte dem Museum noch verbliebene Beispiel solcher Schaupuppen, wie sie von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen deutschen Völkerkundemuseen ausgestellt waren, jedoch in den meisten Fällen bei Neugestaltung der Dauerausstellungen einer als moderner empfundenen musealen Präsentation weichen mussten. Einerseits lässt sich die Bedeutung und Verwendung dieser Figuren ganz allgemein mit der Zusammenfassung historischer Fakten umreißen, andererseits verbinden sich aber mit den unterschiedlichen Einzelfiguren auch ganz unterschiedliche Entstehungs- und Präsentationsgeschichten. Als Kustodin der Abteilung Ozeanien war ich vom individuellen Schicksal der Papuafigur besonders angerührt; denn ich stellte fest, dass gerade diese Darstellung eines Neuguineaners in besonderer Beziehung zum Frankfurter Museum steht.
Schaupuppen in der Museumspräsentation
Die Schaupuppen kamen zu einer Zeit in Mode, da es kein Fernsehen gab, Überseereisen für die meisten Menschen unerschwinglich waren und Expeditionen in tropische Regionen als zu beschwerlich oder gar lebensgefährlich angesehen wurden. Mit den naturalistisch gestalteten Schaupuppen konnte man das Ferne und Exotische in der eigenen Heimat nachempfinden. Ganz anders als neutrale Modellpuppen oder Gestelle ohne Gesichter konnten sie, ausgestattet mit entsprechenden Trachten, Schmuck und anderen kulturspezifischen Utensilien, das Bedürfnis der Museumsbesucher nach Exotik umfassend befriedigen. Am Beispiel der ethnographischen Schaupuppen des Freiburger Museums für Natur- und Völkerkunde umreißt Gerhards (2003: 313 ff.) die Entwicklungsgeschichte der naturalistischen Kostümfigurinen in ethnologischen Museen: Vorläufer waren unter anderem die neapolitanischen Monumentalkrippen mit ihren Darstellungen von Mohrenkönigen und Beduinenhirten oder die orientalisch ausstaffierten Wachsfiguren in den Kabinetten des Adels. Lebensgroße Schaupuppen wurden auch in den Weltausstellungen genutzt, um zum Beispiel Bekleidung zu präsentieren oder Reisebilder nachzustellen. Den völkerkundlichen Museen in Europa und Nordamerika boten solche naturalistischen Schaupuppen die Möglichkeit, Ausschnitte aus dem Leben fremder Kulturen lebhaft und dramatisch zu inszenieren und so mit der Attraktion der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblichen Völkerschauen in den zoologischen Gärten, auf Messen oder Weltausstellungen mitzuhalten.
Die Herstellung und der Vertrieb ethnographischer Figuren wurden zu einer Spezialität der Firma Umlauff in Hamburg, die als „Naturalienhandlung, Muschelwaarenfabrik“ und „Zoologisch-Ethnographisches Museum“ begann und später den Handel mit Ethnographica immer mehr zu einem bedeutenden Geschäftszweig ausbaute (Thode-Arora 1992: 143 ff.). Der mit einer Schwester des Tierhändlers Carl Hagenbeck verheiratete Firmengründer Johann Friederich Gustav Umlauff pflegte Geschäftsbeziehungen mit den Firmen der Familie Hagenbeck. Diejenigen seiner Söhne, die nach Johann F. G. Umlauffs Tod die Firma übernahmen, setzten die engen Beziehungen zwischen den beiden Familienunternehmen stets weiter fort. Besonders Heinrich Umlauff spezialisierte sich auf den ethnographischen Zweig der Firma, auf das „Weltmuseum“. Er ließ sammeln oder erwarb Stücke auf Auktionen, stattete Völkerschauen aus, kaufte aber auch Ethnographica aus den Hagenbeck'schen Völkerschauen, die dann wiederum zur Ausstattung der Ausstellungsfiguren und -szenen dienten (Thode-Arora 1992: 149).
Die Figuren sollten die unterschiedlichen Menschentypen veranschaulichen und wurden meist nach Fotografien von Menschen aus den verschiedenen Weltregionen angefertigt. Bei entsprechender Nachfrage wurden sie nicht nur einmal hergestellt, sondern mehrfach, um sie - je nach Bedarf bekleidet oder unbekleidet - verschiedenen Museen zum Kauf anzubieten. Obwohl sie in den Ausstellungen als Prototypen einer Bevölkerungsgruppe präsentiert wurden, waren sie doch in vielen Fällen auch das Abbild eines individuellen Menschen. Gerhards (2003) zeigt am Beispiel der Freiburger Schaupuppen, wie einzelne Figuren nach individueller Vorlage modelliert und ausgestattet wurden: Jede der Freiburger Figuren bzw. Figurengruppen hat eine eigene ‚persönliche’ Entstehungsgeschichte, die aber meist aufgrund ihrer anonymisierenden Präsentation vom Museumspublikum nicht wahrgenommen wurde.
Museumsgründer Bernhard Hagen und sein Freund Kubai
Auch die Frankfurter Neuguinea-Figur stammt von der Firma Umlauff und wurde offenbar mehrfach angefertigt; zumindest im Freiburger Museum gab es eine identische Figur. Da das Archiv des Frankfurter Museums im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, lässt sich die Herstellungs- und Erwerbsgeschichte der verschiedenen Ausstellungsfiguren nicht mehr rekonstruieren. Die Figur des Neuguineaners bildet jedoch eine Ausnahme, da es im Archiv des Freiburger Museums noch Dokumente gibt, die Hinweise auf Herstellung und Ankauf geben. Die Museumsmitarbeiterin Margarete Brüll (1995: 137-139) beschreibt den Weg vom fotografierten lebenden Menschen bis zum Museumsstück folgendermaßen: Als der Tropenarzt und spätere Gründer und Direktor des Frankfurter Völkermuseums Bernhard Hagen zwischen 1893 und 1896 als Arzt der Astrolabe-Bay-Kompanie in Bogadjim (damals Stephansort) arbeitete, betrieb er dort auch ethnographische Studien und machte fotografische Aufnahmen von Land und Leuten. Von einem der Dorfältesten, Kubai genannt, nahm er nicht nur ein Portrait im Festschmuck auf, sondern fotografierte ihn auch stehend mit einem Speer in der Hand vor dem Haus des dort ansässigen deutschen Missionars. Einem Briefwechsel zwischen dem Händler Umlauff und dem Freiburger Museumsleiter Hugo Ficke kann man entnehmen, dass die Statue zunächst von einem Bildhauer namens Franke nach den Fotos von Kubai modelliert wurde. Dieses Modell diente dann Umlauff zu der Ausführung in Pappmaché, die er Ficke zum Kauf anbot (Brüll 1995: 138 u. Anm. 126).
Auf welchem Weg ein Exemplar der Figur in das damalige Frankfurter Völkermuseum gelangte, ob eine solche Statue gekauft wurde oder ob Umlauff sie Hagen zum Dank für die Fotovorlagen überließ, konnte aufgrund des zerstörten Museumsarchivs bisher nicht geklärt werden. Fest steht jedoch, dass sie zumindest seit 1906 in den Ausstellungen des Völkermuseums zunächst im Gebäude Münzgasse 1, dann ab 1908 im neuen Domizil Palais Thurn und Taxis präsentiert wurde. Die meisten ethnographischen Ausstellungen dieser Zeit zielten auf eine Darstellung kultureller Entwicklungsstufen ab. Im Menschenbild des kolonialzeitlichen Europas stand die eigene westliche Zivilisation auf der höchsten Stufe, außereuropäische Kulturen auf unterschiedlich entwickelten Stufen darunter, wobei der Stand technischer Entwicklung meist als Maßstab für kulturellen Fortschritt diente. Entsprechend wurde auch in der Frankfurter Ausstellung jede dort präsentierte Kultur, gemessen an ihrer Wirtschaftsweise, in ein hierarchisches Schema eingeordnet, dessen Entwicklung, beginnend mit steinzeitlichen Jäger- und Sammlerkulturen, über die der Hirtennomadenvölker, Pflanzer und Ackerbauern bis zu den Hochkulturen verlief (Kurzer Wegweiser 1911; vgl. dazu Gerhards 2003: 332). Als Exponate in solchen Ausstellungen waren Modellfiguren wie die des Papua zwar immer auch ein Bestandteil kolonialzeitlicher Ideologien, im Einzelnen unterschied sich die Art ihrer Präsentation jedoch durchaus.
Eine Postkarte des Frankfurter Völkermuseums von 1906 zeigt die Figur inmitten von Sammlungsobjekten von der Nordostküste Neuguineas als „Papua von der Astrolabe-Bai, Deutsch-Neuguinea“, im Frankfurter Museumsführer „Kurzer Wegweiser durch die Sammlungen des Städtischen Völkermuseums“ wird sie als „Modellfigur eines Papua-Mannes“ erwähnt (1911:22). Während die Neuguinea-Figur also in Frankfurt offenbar namenlos präsentiert wurde, war sie in Freiburg zumindest zum Zeitpunkt ihres Erwerbs und ihrer Installation in den Ausstellungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch nicht der anonyme Prototyp des neuguineanischen Menschen. In seinem Angebotsschreiben an Ficke im Jahr 1904 sprach Umlauff nicht von der Figur eines Neuguineaners, sondern formulierte ausdrücklich: „Die Figur stellt Kubai einen vornehmen Krieger vom Stamme Bagajantam vor u. sie ist nach dem Urtheile des Herrn Dr. Hagen sehr gut gelungen“ (zit. nach Brüll 1995: 145, Anm. 126). Entsprechend wurde die Neuerwerbung auch als „Statue des Kubai. Häuptling aus Deutsch-Neuguinea, im Festschmuck“ im Freiburger Tagblatt angekündigt (zit. nach Brüll 1995: 138).
Die Figur stellt also nicht irgendeinen Wilden aus den deutschen Schutzgebieten dar, sondern einen vornehmen, einen edlen Wilden. Diese Sichtweise wurde höchstwahrscheinlich auch durch Bernard Hagens Schriften und Aussagen geprägt. Hagen publiziert seine Porträtaufnahme von Kubai mit der Unterschrift „Mein Freund Kubai, ein ‚Tamo koba’ von Bogadjim“ (1899, Taf. 24). Im dazugehörigen Text beschreibt Hagen Schmuck und Tracht bei den Papua am Beispiel von Kubais Ausstattung. Um diese im Detail zu erklären, müsse man sich, so Hagen (1899: 171) „einen Mann, aus den ‚oberen Zehntausend’ herausgreifen, einen Begüterten ... “ Ein solcher sei der „... abgebildete, freundlich lächelnde Kubai, einer der Hauptleute der Ansiedlung Bogadjim.“
Hagen gefiel es in Deutsch-Neuguinea. In einem Vortrag (o. J.: o. S.) schwärmt er vom wundervollen Küstenpanorama mit den Worten: „Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, dass alles, was das Auge ringsum erblickt, von der höchsten Spitze an, die in den blauen Äther hinaufragt, bis herab zu dem blendend weissen Sandgürtel, welcher die wunderbar tiefblaue See umschliesst, überlagert ist von einer glänzend grünen Decke dichten, schweren Urwaldes. Blau-weiss-grün, das sollten die Farben von Neu-Guinea sein!“
Ebenso wie das Land gefiel ihm auch dessen Bevölkerung. Er spricht von den Papua als schlanken, sehnigen, wohlproportionierten Gestalten, die zwar noch in der Steinzeit lebten, deren geistig-moralisches Leben aber deshalb nicht „ebenso niedrig einzuschätzen“ sei. Damit beginge man „einen schweren Irrtum“; denn der „urteilsfähige Betrachter, der nicht mit vorgefassten Meinungen unter die Tamos tritt, wird erstaunt sein über die Begabung und die geistigen Anlagen derselben, und über den socialen Standpunkt, den sie sich trotz der gänzlichen Unbekanntheit mit den Metallen erworben haben.“ Nach Hagens Meinung sind die Papua intelligente und gute Menschen, nicht roh und grausam, wie oft andernorts beschrieben. „Ich denke“, so bemerkt Hagen in seinem Vortrag, „ wir wollen lieber nicht untersuchen, wer grausamer und roher verfahren ist, der Melanesier gegen den Weissen oder umgekehrt, das Resultat könnte sehr leicht zu unseren Ungunsten ausfallen!“
Selbstverständlich sieht auch Hagen als Europäer seiner Zeit Neuguinea als koloniales Wirtschaftsgebiet, wie viele seiner Zeitgenossen bezeichnet auch er die Bewohner der Insel als „Arbeitsmaterial“ (o. J.; o. S.). Doch eines ist ganz deutlich: Während seines Aufenthaltes und seiner Tätigkeit im damaligen Stephansort hat Hagen im Kontakt von Mensch zu Mensch die einheimische Bevölkerung in sein Herz geschlossen. Seine für die Bevölkerung Neuguineas empfundene Sympathie begleitet auch seine Arbeit als Direktor des von ihm 1904 gegründeten Völkermuseums. Auch wenn er in der musealen Repräsentation die Papua einer „primitiven“ Kultur zuordnet, die er als „farbenfreudig“ und „lustig“ bezeichnet, betont er gleichzeitig doch die künstlerische Veranlagung der Papua. Ebenso weist er darauf hin, dass der reichhaltig geschmückte Körper der Papua „trotz seiner äußerst mangelhaften Kleidung einen zwar phantastischen, aber durchaus nicht unästhetischen Eindruck macht". Als Beleg dafür nennt er die „Modelfigur eines Papua-Mannes im Wandschrank links vom Eingang“ (kurzer Wegweiser 1911: 19 ff.).
Diese Modellfigur ist Kubai – man darf annehmen, dass Hagen, wenn er durch die Säle des Museumspalais schritt, vor dem entsprechenden Wandschrank in der Südseeabteilung verweilte, nicht um sich in wissenschaftlicher Reflexion über ‚den Papua’ zu ergehen, sondern um sich an den Menschen Kubai zu erinnern, wie er ihn in Bogadjim kennen gelernt hatte. Bereits 1899 war Hagens auch an den Laien gerichtetes Buch „Unter den Papua's“ in Wiesbaden erschienen, und gleich auf dem Einband prangte Kubais Porträt. Daher konnten die Frankfurter Leser des Buchs später im Museum in der Schaufigur sicher den Abgebildeten wiedererkennen. Für diese Museumsbesucher war die Figur nicht einfach nur die Darstellung eines Menschentyps, sondern auch ein Denkmal für Hagens Freund Kubai, den vornehmen Krieger. Manch einer mag sich gefragt haben, wie das Leben Kubais nach seiner Begegnung mit Hagen weiterverlief. Mit den Schriften Hagens vertraute Museumsbesucher mögen wohl wie auch der Autor selbst über den Einfluss der Deutschen Kolonialverwaltung auf die Kultur der Papua nachgedacht und dabei über die Veränderungen in Kubais Leben spekuliert haben.
Kubai gerät in Vergessenheit
Zu welchem Zeitpunkt die Figur im Frankfurter Museum aufhörte, als Kubai bekannt zu sein, wann sie in die Anonymität fiel, ist rückblickend nicht mehr auszumachen. Fest steht jedoch, dass sie – wahrscheinlich 1940 nach der Schließung des Museums für die Öffentlichkeit – aus den Ausstellungen entfernt wurde. Danach war ihr Verbleib unklar; der Nachkriegsgeneration von Museumsangestellten war sie nur von der alten Postkarte als „Papua von der Astrolabe-Bai“ bekannt. Ihre Identität als Kubai war niemandem mehr bewusst. Inzwischen empfand man die Darstellung anderer Kulturen anhand von Schaupuppen als politisch nicht korrekt. Bilder wie die alte Postkarte oder die Schaupuppen selbst dienten lediglich noch als Beleg für eine eher rassistische bzw. exotistische Präsentation in den völkerkundlichen Museen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. So wurde auch das Freiburger Exemplar der Papuafigur, nachdem es nach seiner Magazinierung 1935 noch einmal zusammen mit Objekten aus der Südsee in der „Großen Freiburger Kolonialausstellung“ gezeigt worden war, erst sehr viel später anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Freiburger Museums für Völkerkunde 1995 ein letztes Mal präsentiert. Bei dieser Gelegenheit sollte er aber nicht „den Prototyp des ‚Wilden’ verkörpern, sondern den Prototyp der europäischen Vorstellung von den ‚Wilden’“(Brüll 1995: 139).
Das Frankfurter Exemplar hatte offenbar im Haushalt Hagens den Krieg und die Nachkriegszeit überdauert. Erst 1987 wurde die Papuafigur aus dem Nachlass Anna Hagens, der Ehefrau Hagens, von Else A. Majer, einer Großnichte Hagens, an das Museum für Völkerkunde zurückgegeben. Da ich seit 1985 für die Ozeanienabteilung zuständig bin, fiel es in meinen Aufgabenbereich, die Figur als einen historischen Beleg früherer Museumspräsentation als Sammlungsstück zu inventarisieren und zu magazinieren. Die Schaupuppe erhielt eine Eingangsnummer, einen Eintrag ins Inventarbuch und einen Platz im Magazin. Ich maß ihr keine weitere Bedeutung zu, da mir ihre individuelle Geschichte und ihre Verbindung mit dem Museumsgründer Hagen unbekannt war. Auch für mich war sie nur die „Figur eines Papua“, und als solche kam sie nur noch einmal als Leihgabe im Rahmen der Bonner Ausstellung „Hauptstadt – Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte (1989) zum Einsatz. Sie diente dort der Dokumentation der ganz unterschiedlichen Nutzungen des Palais Thurn und Taxis.
So wurde das Abbild Kubais zum Anschauungsobjekt im Rahmen deutscher Geschichtsdokumentation und zum Belegstück europäischen Exotismus. Der Mensch Kubai dagegen geriet über unsere Geschichtsbetroffenheit in Vergessenheit.
Kubais Schicksal stimmt nachdenklich
Aus der Anonymität trat Kubai in Frankfurt erst wieder zur Einhundertjahrfeier des Museums heraus. In der Jubiläumsausstellung, in der Jubiläumspublikation, in einem Artikel zur Museumsgeschichte wurde immer wieder die alte Postkarte abgebildet, die die Figur inmitten der Ausstellungspräsentation im ersten Museumsgebäude in der Münzgasse 1 zeigt (Kroeber-Wolf 2004: 250, 2005: 32). Auch hier wäre es bei der bloßen Verwendung als namenloses historisches Dokumentationsobjekt geblieben, wäre nicht bei der Beschäftigung mit der Museumsgeschichte mein Interesse an der Papuafigur geweckt worden. Über die Frage, ob Kubai überhaupt mit der Publikation seines Fotos oder seiner Abbildung in Form einer Schaufigur einverstanden war, hatte sich zu Hagens Zeiten wohl niemand Gedanken gemacht. Neuguineaner, Afrikaner oder Indianer sah man als Forschungsobjekte. Fotos und Abbildungen galten als wissenschaftliches Anschauungsmaterial und waren damit gerechtfertigt. Das Recht am eigenen Bild und das Einverständnis des Abgebildeten wurden als Grundbedingung im Fach Ethnologie erst sehr viel später diskutiert und berücksichtigt.
Abgesehen davon fragte ich mich bei der Lektüre von Hagens Buch „Unter den Papua’s“ und dem Betrachten der darin enthaltenen Fotos, ob es überhaupt jemals gerechtfertigt war, Kubais Abbild als Prototypen des neuguineanischen Menschen zu zeigen? Vergleicht man das Gesicht der Skulptur mit den Porträtaufnahmen in Hagens Buch, so erkennt man eindeutig die individuellen Züge Kubais, nicht aber eine regelhafte Ähnlichkeit mit anderen dort abgebildeten Papua. Die Höhe der Figur misst ohne Sockel 1,78 m. Für die Papuas von der Astrolabe-Bai gibt Hagen selbst eine Körperhöhe bis zu 1,68 m an. Ob es sich um eine Fehlinterpretation des Herstellers, um ein damals übliches Stilmittel in der musealen Präsentation oder um die individuelle Körpergröße Kubais handelt, bleibt unklar. Betrachtet man allerdings Hagens Foto vom Speer haltenden Kubai vor dem Haus des ortsansässigen Missionars, lässt sich erahnen, dass er tatsächlich höher gewachsen war als viele andere Papua.
Noch nachdenklicher stimmte mich ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 1959, auf den Viola Laske bei Recherchen für ihren Film „Blickwechsel“ über Geschichte und Aufgaben des Frankfurter Museums gestoßen war. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der Reihe „Frankfurter Gesichter“ beschreibt der Journalist seinen Besuch bei Anna Hagen zu ihrem 85. Geburtstag. An einer Stelle heißt es:
„Ein Papua aus Neuguinea, in Lebensgröße ausgestopft, und auch zentral postiert, scheint Wächter dieses Trophäen reichen Hauses zu sein. Frau Hagen, klein und zierlich von Gestalt, flink in ihren Bewegungen, herzlich und fröhlich in ihrer Lebensart, vermag den schwarzen, grimmigen und stummen Empfangschef schnell und ohne Hinweis für den zunächst erschrockenen Besucher in den Schatten seiner musealen Ecke zu weisen.“
Ohne Zweifel wird hier die Skulptur Kubais erwähnt – aber was mag dem Autor des Zeitungsartikels durch den Kopf gegangen sein, als er die Formulierung „in Lebensgröße ausgestopft“ wählte? Dass er wirklich der Meinung war, einen präparierten Menschen gesehen zu haben, scheint fast nicht vorstellbar zu sein. Wie reagierten die Leser auf diese Beschreibung – mit Entsetzen oder wenigstens Befremden? – Oder gab sich die Leserschaft gegen Ende der 1950er-Jahre unsensibel und hatte für das Problem menschlicher Überreste an völkerkundlichen Museen noch kein Bewusstsein entwickelt?
Mit der individuellen Entstehungsgeschichte der Skulptur und der Identität Kubais vertraut, fühlte ich bei der Lektüre des Artikels Unbehagen und Bedauern. Wie konnte aus dem freundlich lächelnden Freund Hagens der grimmige Papua im musealen Schattenbereich werden? Es drängte sich mir der Gedanke auf, dass gerade mit diesem Zeitungsvermerk über fünfzig Jahre nach der ersten Präsentation der Figur im Frankfurter Völkermuseum dem dargestellten Kubai die Würde genommen wurde. – Und dass dazu die Mitarbeiter des Museums mit der stets anonymen Präsentation als „Papua von der Astrolabe-Bai“ mehr oder weniger unbewusst Beihilfe geleistet hatten!
Während meiner Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der Figur wuchs in mir immer mehr das Bewusstsein, das Abbild einer Person vor mir zu haben. Immer häufiger empfand ich Bedauern darüber, dass kein Bericht darüber Auskunft gibt, wie Kubai selbst die Begegnung und die Fototermine mit Hagen erlebt hatte. Wahrscheinlich wird Kubais Lebensgeschichte mangels historischer Quellen immer im Dunkeln bleiben. Für meine Arbeit am Museum steht jedoch fest, dass ich das Abbild Kubais nie mehr als anonymen Prototyp oder als namenloses Geschichtsdokument ausgestellt wissen möchte – Kubais Abbild soll auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit wieder der vornehme Dorfälteste Kubai aus Bogadjim werden!
Brüll, Margarete (1995): Kolonialzeitliche Sammlungen aus dem Pazifik. In: Als Freiburg die Welt entdeckte. 100 Jahre Museum für Völkerkunde. Hrsg.: Stadt Freiburg im Breisgau. Museum für Völkerkunde. Freiburg: Promo Verlag. S. 109-145
Gerhards, Eva (2003): Zerstückelte Wilde. Ethnographische Schaupuppen und Inszenierungen des Freiburger Museums für Natur- und Völkerkunde. In: Wilde Denker. Festschrift für Mark Münzel. Hrsg.: Bettina E. Schmidt. S. 313-338.
Hagen, Bernhard (1899): Unter den Papua’s in Deutsch-Neu-Guinea Beobachtungen und Studien über Land und Leute, Thier- Pflanzenwelt in Kaiser-Wilhelmsland. Wiesbaden: C.W. Kreidel’s Verlag
Land und Leute in Neu-Guinea. Ms. o. J., o. S.
Kroeber-Wolf, Gerda (2004): Im Spiegel der Zeit: 100 Jahre Ausstellungen im Museum der Weltkulturen, In: Ansichtssachen. Ein Lesebuch zu Museum und Ethnologie in Frankfurt am Main. S. 246-265
Vom Staädtischen Völkermuseum zum Museum der Weltkulturen: 1904-2004. In: Journal des Hessischen Museumsverbandes. Mitteilungen 28/2005: 31-33
Kurzer Wegweiser durch die Sammlungen des Städtischen Völkermuseums. Frankfurt am Main 1911
Laske, Viola (2004): Blickwechsel. 100 Jahre Museum der Weltkulturen. Filmdokumentation. Produktion im Auftrag des Museums der Weltkulturen 2004
Thode-Arora, Hilke (1992): Die Familie Umlauff und ihre Firmen – Ethnographica-Händler in Hamburg. In: Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hamburg. NF, Bd. 22. S. 143-158
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008