AUSSTELLUNGSREZENSION:

im Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde in Köln

Von Swantje Scheunemann

Rezension Namibia

Die Sonderausstellung anlässlich des hundertsten Jahrestages des Herero-Aufstandes gegen die Deutschen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zeigt zugleich Verbindung und Trennung: die geteilte Vergangenheit von Deutschland und Namibia und die geteilte Gesellschaft von Schwarz und Weiß. Damit wird ein Gegensatz formuliert, der in der Ausstellung umgesetzt und gezeigt wird.

Die getrennte Gesellschaft wird durch zwei Bänder symbolisiert, die sich durch den ersten Raum der Ausstellung ziehen: Das rechte Band stellt die Sichtweise der schwarzafrikanischen Bevölkerung, das linke die Sichtweise der Deutschen in Namibia dar. Im zweiten Raum wird dann die gemeinsame Vergangenheit durch verflochtene Familiengeschichten (weiße Väter, schwarze Mütter) dargestellt.

Gleich hinter dem Eingang zur Ausstellung werden die BesucherInnen mit einer Wand voller Fotos von Namibia konfrontiert. Hier werden – ohne weitere Erklärungen - Städte, Landschaften, modern und traditionell gekleidete Menschen, Tiere, Pflanzen, Gebäude, die Nationalflagge und deutsche Schilder gezeigt, jedoch keine Weißen. Ein paar Stufen weiter ist auf die rechte Wand eine große Landkarte von Afrika und Europa gemalt, auf der Namibia und Deutschland gelb hervorgehoben und beschriftet sind. So werden die beiden Länder geographisch in Beziehung gesetzt. Als Nächstes findet man eine große Landkarte von Namibia an der Wand, und ein Text gibt allgemeine Informationen über Namibia, wie die Größe des Landes, die Einwohnerzahl, das (Zahlen-)Verhältnis von weißer und schwarzer Bevölkerung, welche Gruppen dort leben und historische Daten. Dieser Teil Afrikas wurde ab 1884 zum „Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika“ erklärt und 20 Jahre später fand der Krieg gegen Herero und Nama statt. Dieser ist betitelt als „der erste Widerstandskrieg der afrikanischen Bevölkerung gegen Fremdherrschaft“. Die BesucherInnen haben bis hierhin einen ersten Eindruck von Namibia bekommen, der recht informativ-neutral gehalten ist.

Ab jetzt teilt sich die Ausstellung inhaltlich mithilfe eines großen Wandfotos, das, durch die Präsentation auf einzelnen Dreiecksflächen von zwei Seiten her betrachtet werden kann: Das eine Foto zeigt die verlassene deutsche Stadt Kolmanskuppe als Geisterstadt, die immer mehr von der Wüste zurückerobert wird. Auf dem anderen Bild sind viele Afrikaner mit bunten Kleidern und Regenschirmen sowie der kommunistischen Flagge zu sehen. Soll heißen: Es gibt offenbar zwei Sichtweisen auf dieselbe Sache. Damit beginnt die geteilte , getrennte Ausstellung.

Vor jedem weiteren Ausstellungsteil treffen die BesucherInnen nun auf ein weißes Banner, das von der Decke herunterhängt und jeweils auf Deutsch und Englisch eine kurze Einführung und Erklärung zu dem neuen Teil gibt. (Alle übrigen Erklärungen zu den einzelnen Gegenständen und Fotos sind jeweils nur auf Deutsch, sodass englischsprachige Besucher dennoch auf sich selbst gestellt sind. Auch sprechen die Bänder nicht für sich, sondern stehen im Zusammenhang mit den folgenden Objekten und Beschriftungen.) Das erste Banner erklärt, dass sich die Ausstellung von nun an in drei Teile gliedert: erstens die namibisch-deutschen Beziehungen im 19. Jahrhundert, zweitens der Kolonialkrieg von 1904-1908 und drittens die namibisch-deutschen Beziehungen in den letzten hundert Jahren. Im Hintergrund ist auf der einen Seite die Entwicklung des Deutschen Reiches zu sehen, parallel zu der auf der anderen Seite dargestellten Sichtweise der schwarzafrikanischen Bevölkerung und in deren Hintergrund die Entwicklung in Südafrika. Die Sprache des Banners ist eindeutig: Es wird von „Widerstand“, „Krieg“ und „Völkermord“ gesprochen.

Der erste Teil beginnt mit einem historisch-chronologischen Ansatz. Auf der einen Seite (rechtes Band) liegen auf einer Art langem Tisch an der Wand entlang zuerst einige rechteckige Holzstücke, auf denen jeweils mit einem Satz oder Wort ein Aspekt der afrikanischen Sichtweise dargelegt wird. Dies wirkt wie eine Einführung, wie ein Weg mit kurzen Informationen zu dieser Sichtweise. Die weiteren Gegenstände sind hauptsächlich in Glasvitrinen auf dem Tisch angebracht. Es handelt sich vielfach um Schmuck und Kleidung. Kritisch anzumerken ist hier, dass die Objekte, die jeweils in der zweiten Reihe direkt an der Wand ausgestellt sind, durch den Tisch im Vordergrund für kleinere Menschen schwer zu sehen und vor allem die klein gedruckten Texte für alle kaum zu lesen sind. Die BesucherInnen müssen sich außerdem entscheiden, ob sie erst die eine Sichtweise bis zu Ende verfolgen und dann bei der Sichtweise der Deutschen wieder von vorne beginnen oder ob sie ständig durch den Raum hin- und her pendeln wollen.

Das afrikanische (rechte) Band endet vorerst mit einem „Preislied auf Land“ in Herero, das auf Tonband aufgenommen und mit erklärenden Texten und Karten daneben zu hören ist, wenn die BesucherInnen – wie von den Ausstellungsmachern beabsichtigt - ganz nah mit dem Ohr an einen eingebauten Lautsprecher herangehen. Hier wird die unterschiedliche Sichtweise auf Land thematisiert, das von den Deutschen einfach nur besiedelt und bebaut, von den Herero jedoch gepriesen und geehrt wurde. Der letzte Gegenstand ist ein Eimer, gefüllt mit Sand und dem Text: „Nimm einen Eimer voll Sand und gib ihn den Deutschen“. Ein Hinweis darauf, dass die Herero kein Land zum Eigentum hatten, das sie den Fremden geben konnten.

Die deutsche Sichtweise auf der anderen Seite des Raums stellt die Kolonialgeschichte und ihre Anfänge dar. Auch dieser lange Tisch an der linken Wand (der große Raum ist durch kleinere Wände unterteilt, wodurch alles etwas eng und klein wirkt) beginnt mit dem „Holzstückweg“, auf dem in kurzen Sätzen oder mit wenigen Wortern zum Beispiel steht „Das Restaurant in Windhoek serviert das ganze Jahr über Eisbein auf Sauerkraut“. Auffällig bei den nun folgenden Vitrinen ist, dass es sich bei den gezeigten Gegenständen vielfach um Fotos und Texte handelt, weniger um konkrete Objekte. Der viele Text fällt auf, und es ist für den Besucher tatsächlich anstrengend, da viel gelesen werden muss, denn oftmals sprechen die Objekte nicht direkt für sich.

Auf dieser „deutschen Seite“ werden zum Beispiel alte Landurkunden, Fotos von Missionaren und andere Bilder, ein Missionsquartett „Der Missionar und sein Volk“ und auch ein Straußenfedernfächer als Kolonialware gezeigt. Kolonialwaren brachten den Deutschen gute Gewinne durch geschickten Handel. Man fragt sich hier allerdings, warum als Hintergrund dieser Seite deutsche Kolonien in der Südsee dargestellt werden. Auch hier ist wieder kritisch anzumerken, dass Besucher durch die Raumgestaltung zu weit von den Objekten entfernt stehen müssen.

Zwischen den beiden Bändern stehen wenige, hohe Glasvitrinen mit nur jeweils einem Gegenstand. Es handelt sich hierbei um verbindende Gegenstände zwischen den beiden ansonsten sehr getrennten Sichtweisen: Es wird beispielsweise eine Stofftasche mit Swapo-Aufdruck gezeigt, die DDR-Namibier Herrn Honnecker überreicht hatten.

Ein neuer Ausstellungsteil wird wiederum mit einem Banner eingeleitet. Dieser Teil wird „Widerstand, Krieg, Völkermord“ genannt, und es heißt, der Krieg gegen die Herero „wird von den Historikern heute mehrheitlich als Völkermord bewertet“. Diese neutrale Formulierung bemüht sich offenbar um „political correctness“. Sie will den Herero nicht Unrecht tun, die ja schließlich umgebracht wurden, andererseits soll hier auch nicht die Bundesregierung direkt angeklagt werden, denn die hat sich ja nach wie vor nie zu diesem Völkermord bekannt. Für die Namibier entstand durch den Völkermord jedoch ein „nationales Trauma“. Die Formulierung „Historiker“ bezieht so absichtlich nicht die Politiker mit ein, und „mehrheitlich“ meint: eben doch nicht alle. Merkwürdig sind auch die Zahlen, die dazu angegeben sind: „35-80% der Herero fielen dem Krieg zum Opfer“. Das ist eine sehr große Spannbreite! Die Zahl der deutschen Opfer wird dann jedoch umso akribischer angegeben: 1750.

Der nächste Teil der Ausstellung wird mit dem Grabmal eines Herero-Häuptlings aus aufgespießten Rinderschädeln eingeleitet. Sein Ursprungsort ist unklar, da die einzelnen Stücke von Missionaren willkürlich gesammelt und in Wuppertal im Völkerkundemuseum der Vereinten evangelischen Mission aufbewahrt wurden.

Die Vitrinenwand auf der linken Seite wirkt sehr „voll gestopft“. Es werden unter anderem ein Besteck zur Körpermessung, eine Peitsche, ein Prügelstrafenprotokoll, eine Karte von Konzentrationslagern in Afrika und eine Decke gezeigt. Diese Decke wirkt zunächst harmlos, bis man den Text daneben gelesen hat. „Nimm deine Decke und komm", sagten deutsche Männer zu Afrikanerinnen, und wenn sie es taten, wurden sie vergewaltigt. Viele von ihnen kehrten geschwängert und seelisch gebrochen zu ihren Leuten zurück. Die scheinbare Harmlosigkeit der Decke produziert so ein Moment des Erschreckens. Daneben ist an der Wand ein Text befestigt, der sich mit der Definition des Wortes „Genozid“ beschäftigt. Der Text besagt, dass laut UNO Völkerrechtskonvention die Morde an den Herero als Genozid zu bewerten seien. Diese so neutrale formulierte Anschuldigung hinterlässt einen Eindruck von Widersprüchlichkeit.

Auf der rechten Seite des Raumes sind wenige und einzelne Vitrinen zu sehen. Sie zeigen Reservate in Namibia, Gebrauchsgegenstände für die Milchwirtschaft, Fluchtwege und Fotos vom Widerstand, wie eine gesprengte Brücke. In der Mitte des Raumes befinden sich Vitrinen mit zerschossenen Gegenständen. Hier wird die „Schusslinie“ des Krieges thematisiert: eine Topfscherbe von einem Kochtopf der Deutschen, von Herero zerschossen. Der Text erklärt, dass die Authentizität der Scherbe in diesem Fall nebensächlich sei, wichtig sei hingegen die Konstruktion der Geschichte um die Schlacht herum.

Der nächste Ausstellungsteil beschäftigt sich mit Windhoek, dem Leben in der geteilten Stadt. Die Apartheid wird durch eine Bank mit der Aufschrift „Whites only – Nur für Weiße“ symbolisiert. Auf der rechten und linken Wand findet eine Gegenüberstellung von afrikanischen und deutschen Namen für Straßen und Plätze statt. Auch Stadtpläne aus verschiedenen Jahren sind zu sehen und dokumentieren die fortdauernde Trennung der Stadt. In einem Fernseher kann man wechselnde Bilder aus Windhoek betrachten, stumm, aber mit Bildunterschriften. Die Rückseite einer Wand entpuppt sich als Wohnzimmerschrankwand, in der - wieder sauber getrennt - auf der einen Seite deutsche Nüchternheit, auf der anderen afrikanischer Kitsch ausgestellt ist, wie ihn sich nur die afrikanische Oberschicht leisten kann. Die Verbindung zwischen beiden scheint der laufende Fernseher zu sein, der in der Mitte platziert ist und ein namibisches Programm sendet. An den Wänden sind Bilder von Abschlussklassen und Schönheitswettbewerben, Jahrbücher und dergleichen zu sehen. Die Welten zwischen schwarz und weiß aber bleiben trotz ähnlichen Lebensstils getrennt.

Wieder steht der Besucher vor einer Wand. Diesmal handelt es sich um eine Landkarte mit afrikanischen und deutschen Städtenamen. Das Leben auf dem Land wird dargestellt. Rechts dahinter ist ein großes Wandfoto mit einer Blechdachhütte zu sehen, außerdem zum Beispiel Blechspielzeug und Fotos mit afrikanischen Grundstücken. Auf der linken Seite zeigt das große Wandfoto eine deutsche Farm. Davor sind Fotos mit der Familie zu Weihnachten und Erklärungen, dass die Kinder in Deutschland studieren. Die zwei Welten trennt ein Stacheldraht, der an einem Spiegel befestigt ist (... damit er lang wirkt?). Diese Darstellung symbolisiert, dass außerhalb des Stacheldrahtes die Schwarzen in ihren Blechdachhütten leben, die auf den weißen Farmen, heute wie damals arbeiten. Deutlicher könnte die Trennung nicht dargestellt werden.

Damit ist das Ende des ersten großen Raumes erreicht. Die Ausstellung widmet sich im zweiten Raum der geteilten gemeinsamen Vergangenheit und Gegenwart. Dieser ist viel offener gestaltet als der erste. Hier werden fünf exemplarische Familien-Verflechtungen gezeigt. Das weiße Banner informiert, dass es sich hier um den Teil „Deutsche Väter: deutsch-afrikanische Familien“ handelt. Auf den Boden aufgeklebt stehen nebeneinander: „Afrikanische Mutter – Deutscher Vater“. An zwei Wänden hängen Porträts, versehen mit kurzen Lebensgeschichten, in der Raummitte hängen riesige durchsichtige Bannerporträts. Es gibt bei dieser Darstellung keine Trennung mehr zwischen den beiden Seiten.

Der hintere Teil des Raumes ist durch leicht durchsichtigen weißen Stoff abgetrennt. Dahinter befinden sich zwei weitere Teile. Einmal „Geteilte Erinnerungen“, in dem Feiertage wie der „Hero´s Day“ und das „Fest am Wartenberg“ dargestellt werden. Es handelt sich hierbei um Erinnerungen der Schwarzen und Weißen an den Krieg und vergangene Ereignisse. Ein laufendes Video stellt einen der Festakte mit Ton und Musik dar. Davor stehen zwei schwarze Stoffpuppen in Festtracht.

Dahinter befindet sich der letzte Teil der Ausstellung, der wie ein schmaler Korridor direkt an der Rückwand entlang gestaltet ist. Dieser Teil heißt laut Banner „Namibia – Deutschland: eine gemeinsame Zukunft“. An der Rückwand sind schwarze Schatten aufgemalt, vor denen erleuchtete, farbige Porträts hängen. Neben jedem hängt ein Telefonhörer, aus dem die abgebildete Person beim Aufnehmen direkt zum Besucher spricht und ihre Sichtweise darlegt. Wie auch schon bei den verflochtenen Familiengeschichten wird dieser Teil so auf eine sehr persönliche Ebene gebracht. BesucherInnen werden durch die Stimme am Telefonhörer direkt angesprochen, und es entsteht das Gefühl, mit der Person tatsächlich sprechen zu können.

Leider verdeutlicht ein Blick in das Besucherbuch, dass die Ausstellung nicht für Kinder beziehungsweise Schüler und Jugendliche geeignet ist. Auf einigen Seiten haben sich hier Schulgruppen verewigt, hierbei waren die Kommentare vielfach: „uninteressant“, „langweilig“. Die Ausstellung schafft es offensichtlich nicht, diese Gruppe mit einzubeziehen.

Insgesamt fällt auf, wie neutral die Texte gehalten sind, und dass bewusst keine Stellung in Bezug auf den Völkermord genommen wird. Durch diese Neutralität (die Bundesregierung wird nicht erwähnt oder angeklagt) können Besucher selbst reflektieren: Die Neutralität betont das Verbrechen durch ihre Nichtaussage.

Leider fehlt die Thematisierung von Deutschlands Nicht-Erinnerung! Es wird der Herero-Aufstand aus heutiger Sicht dargestellt, und es wird beschrieben, dass Namibia davon ein nationales Trauma davongetragen hat. Doch Deutschland hat daran auch heute keine Erinnerung. Deutsche Schulbücher lassen dieses Thema aus. Dennoch handelt es sich bei dieser Ausstellung um eine selten politische in der heutigen Zeit. Völkerkundliche Museen von heute beschäftigen sich oftmals nur mit der völkerkundlichen Vergangenheit. Diese Ausstellung bildet eine löbliche Ausnahme.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008