Von Heide Wahrlich
Kleidung drückt Lebensgefühl aus, erzählt von Macht und Ohnmacht, Gewalt und Protest, Freizügigkeit und Schamhaftigkeit, Demut und Unterdrückung, Imponiergehabe und Status und auch von Sehnsüchten.
Mit der Kleidung zeige ich meiner Mitwelt, wie sie mich sehen soll und wie ich ihr begegnen möchte: höflich oder nachlässig, offen oder distanziert. Kleidung ist ein kulturelles Zeichen für soziales Verhalten.
Sitte und Brauch bestimmen ebenso wie alters-, gruppen- und schichtenspezifische Regelwerke der Mode und ihre Trends das Kleidungsverhalten. Während die Mitwelt Geschmacksverirrungen mit irritierten Blicken oder hämischen Bemerkungen quittiert, werden Regelverstöße, die auf einen Wandel von Kommunikationsformen zielen, schon mal mit sozialer Ausgrenzung geahndet. Das Bekleidungsverhalten ist eingebettet in das gesamtgesellschaftliche System.
Die Kleidersprache ist mehrdeutig. Wer die Zeichen nicht versteht, kann ganz schön ins Fettnäpfchen treten. Was mit der Kleidung visuell gesendet wird und was in der Mitwelt ankommt, sind zweierlei Dinge. Ein keusch anmutendes Kleid kann eine keusche Trägerin und ein erotisch wirkendes Kleid eine freizügige Trägerin beherbergen - oder umgekehrt.
Sich kleiden hat mehr mit verkleiden zu tun als damit, sein Wesen von innen nach außen zu kehren. Ich zeige etwas von mir, das ich nicht bin oder gerne sein möchte, gebärde mich draufgängerisch, um von meiner Schüchternheit abzulenken, bin zugeknöpft, um distanziert zu wirken, und schlüpfe jeden Tag in eine andere Nichtidentität.
Folgen wir (mit George Bataille) der Vorstellung, Erotik als Sehnsucht nach Kontinuität zu sehen und Mode als „Erinnerungssystem“- so ganz gegen ihren Ruf von raschem Wechsel und Vergänglichkeit -, dann sind wir bei der Avantgarde der Modewelt. Der Modeschöpfer Martin Margiela gehört dazu. Er machte Furore in Paris, indem er Models mit „Lumpenkleidern“ über den Laufsteg schickte, Kleidungsstücke, die mit den Nähten nach außen wie alte, aufgetrennte und wieder falsch zusammengenähte Klamotten aussehen. Und tatsächlich: Bei diesen „dekonstruierten“ Kleidungsstücken geht es um Recycling-Mode. Mode, der die Zeit anhaftet, Mode mit Gebrauchsspuren der vorherigen Nutzerinnen, denn die Kleider sind aus alten Flohmarktkleidern gemacht worden. Diese Mode ist originär, und die verwendeten Materialien sind einzigartig: Sie haben Zeit als Vergänglichkeit in sich aufgenommen. „Der Lumpensammler-Aspekt“ beschreibt nach Vinken (1994, S. 13) den Versuch, „Kleider als Zeichen des individuellen, einmaligen Lebens, und das heißt auch des Todes, zurück zu gewinnen“.
Mode als Erinnerungssystem, das ist eine Seite, Markenfetischismus die andere. Markenartikel werden als Gefühle, Weltanschauungen, Begehrlichkeiten verkauft. Camel steht für Abenteuer, Jeans symbolisieren Freiheit und Rebellion.
Warenfetische faszinieren wie mythische Objekte und funktionieren nach den Regeln der Stammes- oder Religionszugehörigkeit. Der Fetisch gibt mir Kraft, Macht, Stolz, Zugehörigkeitsgefühl. Dem Markenfetischismus unterliegen Jung und Alt gleichermaßen.
Markenfetische haben hohe Symbolkraft - Hosen auch. An die Hose knüpfen sich die Emanzipations- und die Diskriminierungsgeschichte der Frau. Das in westlichen Kulturen traditionell männliche Kleidungsstück haben selbstbewusste Frauen zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg auch als weibliches „Kulturgut“ eingeführt, allerdings immer begleitet von herabsetzenden Beleidigungen der Männerwelt. Dabei ging es eigentlich nie um den Gebrauchswert der Hose (denn Hosen sind praktisch), auch selten um die Ästhetik, sondern immer nur um die Vorstellungen, die sich damit für Trägerinnen und Betrachter verbinden.
Frauen in Männerhosen gab es schon immer. Vor der Aufklärung begriff man männliche und weibliche Körper lediglich als Variation eines „Einleib-Modells“. Eine Frau in Männerkleidern konnte zeitweise oder immer als Soldat oder Seemann leben. Nach damaliger Anschauung bestimmte die Kleidung das Geschlecht. Die Hose machte aus der Frau einen Mann. Kleidercode dominierte Körpercode.
Der Kampf um die Hose begann im 18. Jahrhundert und setzte sich bis weit ins 20. Jahrhundert fort. Noch Mitte der Sechzigerjahre nötigte der Chef einer international arbeitenden Organisation seine weiblichen Mitarbeiterinnen, im Dienst Röcke zu tragen und keine Hosen.
Für Männer war Hose und Herrschaft eins, und beides beanspruchten sie für sich. Französische Revolutionäre hatten zwar die ständische Kleiderordnung abgeschafft, nicht aber die sexistische. Von Gleichheit keine Spur. Nur Männer durften im öffentlich-gesellschaftlichen Raum tätig sein. Politisch engagierte Frauen, die sich in der Öffentlichkeit in Hosen zeigten, wurden von revolutionären Männern ausgelacht und per Dekret (1793) in ihre „naturgegebene“ Rolle als Ehefrau und Mutter verwiesen. Gesetzlich verboten wurde ihnen das Hosentragen unter Napoleon I. Eine Frau in Hosen signalisierte Machtanmaßung, nicht revolutionären Klassenkampf.
Frauen, die Hosen tragen wollten, brauchten eine Sondergenehmigung von der Polizei. So auch die französische Schriftstellerin George Sand (1804 - 1876). Als die in Hosen auf die Straße ging, zerrissen sich die Pariser das Maul darüber. Einen Skandal löste sie damit auf Mallorca aus, wo sie mit Tochter und Sohn und ihrem Freund, Frederic Chopin, den Winter 1838/39 verbrachte. Sowohl die Reise als auch der Aufenthalt auf der Insel waren ein sehr mutiges und lästiges Unterfangen und die Überfahrt im Schweineexpress nur der harmlose Anfang von schier unüberbrückbaren kulturellen Unterschieden. In den Augen der strenggläubigen, engstirnigen Mallorquiner waren die absonderlichen Fremden Fleisch gewordene Sünde: Das Paar trug keinen Ehering und kam sonntags auch nie zur Messe. Den schlimmsten Eindruck erweckten Mutter und Tochter jedoch dadurch, dass sie ganz ungeziemend in Männerhosen herumliefen. Die Mallorquiner mieden sie wie Pest und Cholera.
Von dem tollen Freiheitsgefühl, das Frauenrechtlerinnen, Kleiderreformverfechterinnen und extravagant-sportliche Frauen beim Hosentragen empfanden, zeugt das englische Sprichwort: „Whoso doth the breeches wear lives a life as free as air“. Die englische Dame trug schon im 18. Jahrhundert (1794) einen Reitanzug, mit dem sie im Spreizstil reiten konnte.
Im 19. Jahrhundert galt der Herrensitz für Damen allerdings als anstößig. Die Oberhose für die Frau wurde verfemt, dafür kam die Unterhose ins Spiel. Frauen in ihren abstehenden Reifröcken riefen Ärzte und Moralisten auf den Plan. Die jahrhundertelang unbeachtete Problemzone wurde nun mit einer im Schritt geschlossenen Unterhose bedeckt (1840). Die mussten auch etwas später (1869) die Soldaten anziehen, allerdings zum Schutz ihrer Uniformen.
Während in der prüden Biedermeierzeit die „Unaussprechlichen“ als Symbol der Ehrbarkeit auf den Markt kamen, trug Frau ein paar Jahrzehnte später „Reformunterwäsche“, die 1875 patentiert und als „Emancipation Suit“ verkauft wurde.
Frauen ohne Korsett und in Hosen wurden nicht nur von Männern, sondern zumeist auch von ihresgleichen lächerlich gemacht. Zwar warb die Industrie mit der behosten Frau fürs Fahrrad, aber Hosen tragende englische Frauenrechtlerinnen, die ihre Geschlechtsgenossinnen ermutigten, sich gegen die Unterjochung mit dem Tragen von Beinkleidern, den so genannten Bloomers, zu wehren, wurden immer wieder öffentlich angepöbelt. Der Pöbel fühlte sich dazu berechtigt, schließlich hatte Papst Pius IX die Hose für die Frau 1868 als „sittengefährdend“ auf den Index gesetzt.
Der Kampf galt vor allem den Einschnürungen. Das Korsett machte nicht nur eine Wespentaille, sondern auch krank: Herzinsuffizienz und Lungenerweiterung waren die Folge, Leber- und Gebärmutterverlagerung führten zu Fehl- und Frühgeburten. Nolens volens kam Unterstützung von ärztlicher Seite und von der so genannten Reformkleidbewegung. Diese Bewegung vereinte die nützlichkeitsorientierten Aspekte der Frauenbewegung mit den medizinischen Begründungen. Das Reformkleid trug Frau ohne Korsett, was Kritiker damals als Verlust der Weiblichkeit verpönten. „Das Reformkleid“, so schwafelt süffisant ein Journalist im Simplicissimus Ende des 19. Jahrhunderts, „ ist vor allem hygienisch und erhält den Körper tüchtig für die Mutterpflichten“, doch „solange sie den Fetzen anhaben, werden sie nie in diese Verlegenheit kommen“ (zit. bei Sykora, S. 37).
Im Ersten Weltkrieg - und im folgenden auch - musste Frau in Munitions- und Rüstungsfabriken in Hosen zwar ihren Mann stehen, aber nach der Arbeit trug sie Rock. Hosentragen gestatteten sich - sozusagen als provokativen und antibürgerlichen Akt - nur Künstlerinnen und lesbische Frauen, die in ihren Hosenanzügen und mit ihrer androgynen Ausstrahlung gar als „drittes Geschlecht“ ausgemacht wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg kam der Smoking als Gesellschaftsanzug ins Blickfeld. Aber allgemein akzeptiert war die Hose selbst im Pariser Straßenbild nicht. Noch 1931 wurde Marlene Dietrich vom Pariser Bürgermeister aufgefordert, die Stadt zu verlassen, weil sie sich im Herrenanzug auf der Straße zeigte. 1966 legte der Modeschöpfer Yves Saint Laurent den Smoking aus den Zwanzigerjahren neu auf, aber welch ein Skandal: Die Smokingträgerinnen hatten mit ihren behosten Beinen keinen Zutritt zu den besten Pariser Restaurants. Wen wundert es da, dass auch der Deutsche Bundestag noch in den Sechzigerjahren Frauen in Hosen nicht zugelassen hat.
Aus heutiger Sicht ist auch unvorstellbar, mit wie viel bornierter Strenge Mädchen mit Jeans in den Sozialisationsagenturen vom Lehrkörper gepeinigt wurden. Erst mit der so genannten antiautoritären Bewegung, aus der die Studenten- und die neue Frauenbewegung entstanden sind, wurden die bürgerlichen Kleidungskonventionen infrage gestellt und gebrochen. Das Modemotto der Zeit: „anything goes“. Mini-, Midi- und Maxirock, Röhren-, Latz- und weite Bundfaltenhose wechselten einander ab und blieben zeitweise nebeneinander in Mode. In dieser Normen verwischenden demokratisierenden Modevielfalt kam auch die Hose für die Frau zu ihrem Recht und wurde selbstverständlich. Aber erst da.
Bataille, Georges (1974): Der heilige Eros. Ullstein-Verlag
Gaugele, Elke (2002): Schurz und Schürze. Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion. Böhlau Verlag
Grob, Marion (1985): Das Kleidungsverhalten jugendlicher Protestgruppen in Deutschland im 20. Jahrhundert. Münster (1985)
Laqueur, Thomas (1992): Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt am Main
Loreck, Hanne: „Whoso doth the breeches wear lives a life as free as air“. In: Frauen Kunst Wissenschaft, Heft 17, 5/1994, S. 85 - 88
Seeling, Charlotte (Hg.) (1999): Mode, das Jahrhundert der Designer 1900 - 1999, Könemann
Sykora, Katarina: Vom Korsett zum Body-Shaping - Von den Bloomers zu den Jeans. Zum Verhältnis von Mode und Emanzipation. In: Frauen Kunst Wissenschaft, Heft 17, 5/1994, S. 30 - 41
Vinken, Barbara: Dekonstruktive Mode. In: Frauen Kunst Wissenschaft, Heft 17, 5/1994, S. 10 - 14
Weber-Kellermann, Ingeborg (1979): Die Kindheit, Kleidung und Wohnen, Arbeit und Spiel. Eine Kulturgeschichte. Frankfurt am Main
Wolter, Gundula (1993): Hosen, weiblich - eine Untersuchung zum Prozess der Adaption des in westlichen Kulturen traditionell männlichen Kleidungsstücks durch Frauen in der Zeit 1789 bis 1918, Diss. Berlin
Dr. Heide Wahrlich ist Kulturanthropologin mit den Spezialgebieten Tourismusforschung, nonverbale und interkulturelle Kommunikation und arbeitete als Journalistin und im Management.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008