Von Leslie W. Rabine
In Dakar, dem Knotenpunkt globaler Einflüsse in Afrika und bekannt für seine talentierten Schneider und Färberinnen, liegen versteckt in allen Ecken und Gassen winzige Ateliers. Die überwiegend männlichen Schneider wetteifern um die originellsten Stickmuster auf den eleganten grands boubous und übersetzen die neuesten Modetrends aus westlichen Fernsehserien oder französischen Katalogen in den Modestil Dakars. Die Färberinnen, die ihre Kunden und Kundinnen bei sich zu Hause empfangen, färben die Stoffe in Wasser, das auf Holzkohlebecken mitten in ihren Höfen zum Kochen gebracht wird. Sie hängen ihre leuchtend frisch gefärbten, noch nassen Stoffe auf der Straße auf, wo sie, gleich einer Flaggenparade, die staubige und schmutzige öffentliche Straße in eine grandiose Werbeplattform für Frauenprodukte verwandeln. Sowohl Schneider als auch Färberinnen arbeiten für die Bedürfnisse und Wünsche einer anspruchsvollen Kundschaft.
Die Wirtschaftskrise, die Senegal, Mali und Niger in den 90er-Jahren hart traf, hatte verheerende Folgen für das tägliche Leben der Menschen, bewirkte aber zugleich – scheinbar im Widerspruch dazu - eine Art kreativen Ausbruch der handwerklichen Modeproduktion. Als die Krise 1995 mit der hundertprozentigen Abwertung der Währung ( franc CFA ) ihren Höhepunkt erreichte, brachen die staatlichen Einrichtungen und sozialen Dienste zusammen, und damit verbunden gingen viele Arbeitsplätze verloren. Um dem wirtschaftlichen Untergang zu entkommen, rückten die verzweifelten Familien zusammen und begannen, ihr soziales und ökonomisches Überleben im informellen Wirtschaftssektor zu organisieren.
Die Frauen leisteten dabei einen ganz besonderen Beitrag. Das Färberhandwerk wurde durch die Krise zwar bedroht, erlebte aber auch einen Aufschwung. Einerseits konnten es sich die Kunden und Kundinnen nicht erlauben, so viele boubous wie in guten Zeiten zu kaufen und konnten auch nicht mehr denselben hohen Preis dafür zahlen. Andererseits stellte die Textilkunst nach wie vor einen bedeutenden – wenn nicht den bedeutendsten – Ausdruck westafrikanischer Kultur dar. Und die Senegalesen, bekannt für ihre Neigung zu modischer Eleganz, waren bereit Opfer zu bringen, um sich weiterhin gut kleiden zu können. Unter diesen Bedingungen begannen viele Frauen – auch solche, die nicht aus traditionellen Färberfamilien stammten – dieses Handwerk zu erlernen, schien es doch ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Die zunehmende Konkurrenz unter den Färberinnen förderte die Kreativität. Jeder Schneider und jede Färberin wollte das originellste Design schaffen. Um neue Märkte aufzutun, unternahmen Händler, Schneider und Textildesigner lange Reisen, und sie kamen mit neuen Ideen und technischen Kenntnissen zurück.
Das Streben nach Schönheit
In diesem Spannungsfeld zwischen ökonomischer Marginalisierung und kreativer Energien waren Schneidereien und Färbereien zunächst nur eine Art Notlösung in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Sehr schnell aber wurde die schwierige finanzielle Situation vom Wunsch dominiert, etwas Schönes zu kreieren. – In einer Untersuchung von amerikanischen Konsumenten fand ich heraus, dass sie afrikanische Kleidung und Textilien mit Vorstellungen von Tradition im Sinn von Unveränderlichkeit und Wiederholung in Verbindung brachten und der Meinung waren, Mode aus Afrika hätte billig zu sein. Alte Hippiefreunde, die gelernt hatten, wie man Regenbogenkreise mit der Abbindtechnik im Stil der 60er-Jahre färbte, waren überrascht, als sie erfuhren, dass die Färberinnen heutzutage die Motive sticken. Mit dieser Sticktechnik stellen sie nicht nur Kreise her, sondern auch Rechtecke, Romben, Schleifen, Zickzackmuster, diagonal verlaufende Streifen und unendliche Kombinationen aus diesen Grundfiguren. Neben den großen Motiven werden mit der Stickereireservetechnik auch kleinste Muster gestickt, die äußerst arbeitsaufwändig sind, ein kompliziertes Falten des Stoffes erfordern und eine Menge Erfahrung voraussetzen. Normalerweise sieht man sie nur auf den indigofarbenen Hochzeits boubous . Dafür sind Tausende von kleinen Stichen – jeder zwischen zwei und vier Millimetern lang – notwendig, die jeweils einen winzigen hellen Fleck auf dem gefärbten Stoff hinterlassen. Um die Motive nach dem Färbebad sichtbar zu machen, müssen die einzelnen Stickstiche vorsichtig durch Schnitte mit der Rasierklinge aufgetrennt werden. Die Herstellung eines solchen boubous dauert bis zu drei Monaten.
Trotz der wenig erfreulichen wirtschaftlichen Lage finden die Färberinnen einen Absatz für ihre Produkte bei den Frauen in Dakar. Diese sind in ganz Afrika und der afrikanischen Diaspora berühmt für ihre herausstechende Eleganz und ihren verführerischen Kleidungsstil. Obwohl sie sich ihres Talents brüsten, westliche und asiatische Mode spielerisch in ihr Repertoire aufzunehmen, bleibt der bodenlange grand boubou aus europäischem Baumwolldamast ( basin auf Französisch) das Herzstück ihrer Garderobe. Die Färbetechniken wurden entwickelt, um dieses Kleidungsstück zu vollendeter Schönheit zu bringen. Der grand boubou stellt zwar das Festgewand für Männer und Frauen dar, aber nur der Frauen- boubou , der mit einem pagne (Wickelrock) und Kopftuch getragen wird, durchläuft den schnellen Wandel der Modezyklen. Für einen boubou benötigt der Schneider ein rechteckiges Stück Stoff von 3 m Länge und 1, 50 m Breite. Das faltet er einmal in der Mitte, schneidet einen weiten Halsausschnitt in die gefaltete Kante und näht dann die beiden Seiten von unten nach oben so weit zu, dass große Öffnungen für die Arme bleiben, die dann wie Schmetterlingsärmel wirken. Der pagne ist ein Wickelrock – ähnlich einem Sarong – der wie ein Unterrock getragen wird.
Der boubou , wenn er gestärkt, leicht gewachst und mit einer glänzenden Patina überzogen ist, verwandelt die Trägerin in eine Aufsehen erregende Erscheinung. Jedes Stück dieses dreiteiligen Ensembles aus boubou, pagne und Kopftuch trägt zur legendären Eleganz, Grazie und dem majestätischen Erscheinungsbild der Senegalesinnen bei. Der pagne , der die Taille, den Bauch, die Hüfte und den Hintern fest umschließt, fällt ganz gerade bis zu den Füßen herunter und formt eine schöne Gestalt, die noch betont wird durch einen langsam schwingenden, anmutigen Gang. Die voluminöse und fließende Form des boubou verleiht dem Körper ein würdevolles Aussehen und der Kopfschmuck, als krönender Abschluss der Erscheinung, erzeugt Größe, Glamour und Präsenz. Das Kopftuch kann auf unendlich viele Arten und Weisen gebunden und gestaltet werden und ist eine Quelle großen Stolzes und Rivalität unter den modebewussten Frauen Dakars.
Im Laufe der vergangenen 10 Jahre entwickelte sich das Textildesign zu einer immer komplexeren Formensprache. In ihren smaragdgrünen oder tiefvioletten boubous stellen die eleganten Frauen von Dakar das einzige ästhetisch-sinnliche Vergnügen in dieser Stadt dar, deren verlotterte Straßen mit Abfall übersät sind, und auf denen sich ein Schlagloch an das andere reiht. Angeheizt durch die wirtschaftliche Misere, entwickelte der afrikanische informelle Modesektor mit seinen schlecht ausgestatteten Schneiderateliers und Färbereiunternehmen eine spektakuläre Dynamik, die deutlich machte, dass es sich hier nicht nur um eine aus der ökonomischen Not geborene Lösung handelte. Der frappierende Kontrast zwischen der Schönheit der modisch gekleideten Städterinnen und dem verkommenen städtischen Stadtbild machte deutlich, dass das ökonomische Überleben zugleich eine Welt der Kreativität war.
In diesem Zeitraum organisierten sich die Färberinnen und Spezialistinnen immer mehr in Kooperativen, entwickelten dabei immer neue Designs und erwarben zusätzliche technische Fähigkeiten. Jetzt sind sie in der Lage, nicht nur für private Kunden zu produzieren, sondern auch für wandernde Händler, deren Routen sich über mehrere frankophone westafrikanische Länder erstrecken. Einige europäische und amerikanische Designer sind auch schon unter ihren Kunden.
Handwerklich hergestellte Mode ist der auffallendsten Sektor der informellen Wirtschaft. Er ist gut organisiert, auch wenn er in den Augen eines mit den lokalen Verhältnissen nicht vertrauten Beobachters, der nur die hochentwickelten Strukturen westlicher Unternehmen kennt, chaotisch und ungeplant erscheinen mag. Auch im dynamischen Dakar spielen die traditionellen Bindungen gegenseitiger Verpflichtungen eine große Rolle, so dass jeder vom Kind bis zur verehrten Großmutter einbezogen und herangezogen werden kann. Nach mehr als einem Jahrzehnt von Kämpfen und Schwierigkeiten erleben die Schneider und Färberinnen nun eine – zwar noch unsichere – aber doch gewaltige wirtschaftliche und ästhetische Revolution.
1998 traf ich den talentierten Schneider N'Galla Ndiaye, der in einer Einzimmerwohnung in einem der ärmsten Viertel Dakars wohnte und nicht einen Cent in der Tasche hatte. Er konnte nicht mehr arbeiten, weil ein Teil seiner Nähmaschine zerbrochen war. Voller Enttäuschung und Wehmut sprach er über den ungewollten Abbruch seiner geliebten Arbeit „Schönheit zu schaffen“. Damals vor ungefähr zehn Jahren lieh ich ihm das Geld für das notwendige Ersatzteil. In der Folgezeit eröffnete er ein neues Atelier, und es gelang ihm, Karrierefrauen als Kundinnen anzuziehen. Er kaufte sich ein Handy und begann mit einem afroamerikanischen Importeur in New York zusammenzuarbeiten. Neuere Kreditwünsche begründete er mit der Notwendigkeit, Maschinen für eine sorgfältige Verarbeitung und für komplizierte Stickereien zu kaufen. Im Dakar von 2005 hatte ich den Eindruck, dass die vormals verzweifelten Schneider und Färberinnen endlich in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt durch die Ausübung ihres schöpferischen Potenzials zu verdienen.
Wie zukunftsträchtig diese neue Phase der ökonomischen und ästhetischen Dynamik sein wird, ist eine offene Frage, auf jeden Fall verdienen die Schneider und Färberinnen unser Mitgefühl und unsere bewundernde Aufmerksamkeit.
Dieser Beitrag wurde von Ilsemargret Luttmann aus dem Englischen übersetzt
Leslie W. Rabine ist Professorin an der University of Calfornia, Davis und lehrt Genderstudien und Romanistik. Aus einer umfassenden Feldforschung im Senegal, in Kenia und Los Angeles ist das Buch The Global Circulation of African Fashion, New York-Oxford: Berg, 2002 hervorgegangen.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008