Eine Rezension von Ilsemargret Luttmann
„Afrika ist modisch“ oder „Afrika ist in Mode“ – welch ein kühner Titel, den Bérénice Geoffrey-Schneider für ihren kleinen Fotoband gewählt hat. Er betreibt ein Wortspiel mit einem Kontinent, den wir hier in Deutschland nur mit Krieg, Krise, Entwicklungszusammenarbeit und tiefgründigen ethnologischen Untersuchungen seltener Rituale in Verbindung bringen. Er klingt optimistisch und wagt es, eine völlig neue, bislang wenig zur Kenntnis genommene Seite afrikanischen Alltags, afrikanischer Kultur und afrikanischen Kunstschaffens in einer gekonnten Auswahl von Bildern vorzustellen: Es geht um Mode!
Mode, besonders in Bezug auf Afrika, scheint in dem von äußerem Understatement geprägten Deutschland unseriös, irrelevant, oberflächlich, zumindest aber ambivalent zu sein. Nach unseren eigenen moralischen Werten ist die Betonung oder Beschäftigung mit dem Körper und dessen ästhetischer Gestaltung als Täuschung, Eitelkeit, Narzissmus und Oberflächlichkeit zu verurteilen. In Afrika, wo seit Jahrhunderten ein Schönheitskult, besonders in der politischen Elite, aber auch im Rahmen der Zelebrierung bedeutender Momente des Lebenszyklus betrieben wird, boomt die Kleidermode und das künstlerische Schaffen der Designer und Stylisten.
Anlässlich des letzten großen Modefestivals Fima (Festival International de la Mode Africaine), das Ende 2005 nun schon zum fünften Mal im Niger in einem wüstenähnlichen Ambiente abgehalten wurde, hat die staatliche französische Kulturagentur AFAA (Association française des actions d'art) zehn junge afrikanische Nachwuchsdesigner prämiert und dazu den kleinen Fotoband als dokumentarische Ergänzung in Auftrag gegeben.
Die afrikanische Mode hat viele Gesichter
Die eigenwillige und gelungene Zusammenstellung der Fotos ist ein ästhetischer Genuss, und gleichzeitig verdeutlicht sie die Geschichte und Dynamik der afrikanischen Mode, die in globale Entwicklungen eingebunden ist. Sie entwirft das Bild der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem. Hier werden nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, die Modelle der Gewinner vorgestellt, sondern wir sehen eine bunte Mischung aus aktuellen Modefotos afrikanischen und europäischen Ursprungs, Studioaufnahmen afrikanischer Starfotografen der 50er- und 60er-Jahre, dokumentarische Abbildungen von handwerklich und industriell hergestellten Stoffen aus Afrika und Europa, die materiell und symbolisch bedeutsam sind für die afrikanische Kleidungskultur, Archivfotos als Inspirationsquelle für die heutigen Künstler. Die Sammlung führt uns durch die Geschichte und über die Kontinente, um die Wege und Kreuzungen von Ideen, Werten und Materialien zu zeigen, aus denen sich Modestile in Afrika und anderswo entwickeln.
Die Fotos geben einen Eindruck der tiefen gesellschaftlichen Verwurzelung des Modephänomens wieder, wenn wir zum Beispiel die Aufnahmen der drei jungen Fulbe-Hirten im Studio des großen Porträtkünstlers Malick Sidibé aus Mali betrachten, die sich 1976 stolz mit den Errungenschaften der Moderne ablichten lassen: Kofferradio, Aktentasche, Armbanduhren und eine Zigarettenattrappe im Mund. Auf der gegenüberliegenden Seite sehen wir ein Mannequin mit kurz geschorenen, blond gefärbten Haaren, das ein sehr westlich gestaltetes Outfit des senegalesischen Jungdesigners Cheik Lamb vorführt, nämlich eine auf der Hüfte sitzende Jeans mit einem knappen Top und einer Jeansjacke. Doch das Detail macht den Unterschied: Der Jeansstoff ist mit Reminiszenzen afrikanischer Webarbeit versehen, die hier nicht nur als austauschbares formales Detail gemeint sind, sondern als Träger kultureller und historischer Werte und Leistungen. So fern und doch so nah: links die beiden in Boubous (weites, vom Islam geprägtes Kleidungsstück) gekleideten Frauen aus gleichartig gemustertem Stoff vor einem ebenfalls gemusterten Stoffhintergrund – eine typische Inszenierung des Altmeisters der Fotografie Seydou KeÏta aus dem Jahr 1959 in Bamako/Mali – und rechts ein prächtiges Kleid, entworfen von der berühmten senegalesischen Modemacherin Oumou Sy, das den Titel cyber-woman trägt und 1997 auf dem Laufsteg vorgeführt wurde. Es ist dekorativ mit CD-Scheiben versehen und thematisiert auf spielerische und ironische Art und Weise moderne Konsum- und Kommunikationsformen. Präsidentenporträts auf den Kleidern der Frauen als wandelnde Werbeträger – afrikanische und europäische Präsidenten – führen uns den eminent öffentlichen Charakter von Kleidung vor Augen und machen im Bekleidungsverhalten der Afrikanerinnen das Grenzüberschreitende in staatlich-politischer sowie wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht kenntlich.
Westliche Vorbilder – Afrikanische Interpretationen
Doch was ist das Afrikanische an der Mode? Wie lässt sich afrikanische Mode überhaupt definieren? Wir sehen Frauen mit Arm- und Kopfschmuck aus Kalebassen, Kleidern aus Industriestoffen, bedruckt mit Webdesign-Imitationen, gewickelten Röcken aus gewebten Raffiafasern; dann gibt es wiederum erstaunliche Abendroben aus Organza und Spitze, verziert mit Rüschen und mit Fell besetzten Mantelkrägen! Junge Männer, Nachfahren der sapeurs -Bewegung (ein der Designerkleidung gewidmeter Kult) Ende der 70er-Jahre in der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville, führen uns eine sehr eigentümliche westliche Eleganz vor: ein loser um den Hals gebundener Seidenschal, ein perfekt sitzendes, eng anliegendes Jackett und dazu maßgeschneiderte wadenlange Hosen, beides aus edlen Stoffen. Die Beschreibung unterschiedlichster, überraschender Stile ließe sich unendlich fortsetzen: All das ist afrikanisch, ist von Afrikanern entworfen worden, wird von ihnen getragen und mit Sinn besetzt, der aus der Geschichte der afrikanischen Königsgewänder, aus rituellen Kontexten, der jahrhundertealten Praxis der Textil- und Kleiderimporte aus Europa und Asien resultiert und mit modernen Sichtweisen verknüpft wird.
Die Kunst der Modezeichnung nimmt, wenn sie nach Afrika wandert, auch ganz fantastische, unerwartete eigene Züge an, wie die mit rosa Wuschelperücken ausgestatteten Figurinen von Mlle Asha aus Mosambik zeigen. Xuly Bët, das Label des malischen Modemachers Lamine Kouyaté, vertritt das moderne Afrika in Europa, möchte aber keinesfalls mit afrikanischer Folklore in Verbindung gebracht werden. Stattdessen entscheidet der Designer sich für einen jugendlichen Stil globaler Ausprägung, für den er vorzugsweise synthetische Stoffe verwendet und nach einem ästhetischen Prinzip arbeitet, das an das recycling -Prinzip erinnert und mit den persönlichen Erfahrungen in seinem Heimatland Mali zu tun hat. Dort werden die importierten Secondhand-Klamotten von den Schneidern an die lokalen klimatischen Verhältnisse, Größen und Geschmäcker angepasst und zu einem neuen Look umgearbeitet.
Der Westen träumt von Afrika
Afrika borgt sich Materialien, Stile und Ideen aus der ganzen Welt, und der Westen träumt von Afrika, erfindet es in seinen Träumen und Sehnsüchten neu, recherchiert in der Geschichte der afrikanischen Haarfrisuren, der rituellen Kopfbedeckungen, des Schmuckdesigns, der Farben und der grafischen Sprache. Yves Saint-Laurent ist einer der ersten europäischen Designer, der mehrfach explizit Afrika zum Motto seiner Sommerkollektionen wählte. 1967 entwarf er ein ganz aus Perlen zusammengesetztes kurzes Kleid, das viel Haut durchblicken lässt und für die damalige Zeit als sehr gewagt galt. Auch Dior und Jean-Paul Gaultier gehören zu der Riege von Designern, die in ihren Kreationen den Mythos Afrika immer wieder neu auferstehen lassen wie zum Beispiel in dem Hochzeitskleid von Gaultier (2005), dessen Mittelteil aus einer überdimensionierten weißen Maske besteht, die den Körper der Frau bedeckt und in Tüll eingefangen ist.
Mode und Fotografie als Mittel der Verwandlung
Wenn wir die Posen der Models auf dem Laufsteg oder in Modejournalen anschauen, ist man erstaunt über die Parallelen, die einem in den selbstbewussten und selbstreflektierten Inszenierungen einiger afrikanischer Fotokünstler entgegentreten wie zum Beispiel bei dem Kameruner Samuel Fosso oder auch schon in den frühen gewöhnlichen Studioaufnahmen, wo die abgebildeten Frauen sich neue, außergewöhnliche Identitäten zulegten. Fotografie und Mode haben die Afrikaner als flexibles, wirksames Mittel der Selbstdarstellung und Verwandlung entdeckt und für sich nutzbar gemacht. In dieser Hinsicht ist das Eingangsfoto von Samuel Fosso (zu sehen in der großen Ausstellung Africa remix im Düsseldorfer Kunstpalast 2004) als Motto für den gesamten Band zu sehen: Er zeigt sich – in kritisch-ironischer Perspektive - in der Pose eines selbsternannten Potentaten im African style in Fellbekleidung und mit einem Strauß Sonnenblumen als Zepter, im Hintergrund ein Dekorationsstoff mit Handspiegeln.
Die intelligente Präsentation des Fotobandes erschließt sich allerdings nicht auf den ersten Blick und nicht für Einsteiger in das vom westlichen Kulturbetrieb erst neu entdeckte Gebiet der afrikanischen Mode. Daher ist es empfehlenswert, sich weitere Bücher zu diesem Thema anzuschauen.
Bérénice Geoffrey-Schneiter (2005): L'Afrique est à la mode. Paris: Assouline. ISBN 2 - 84323-800-5. Preis: 16 €
Lenz, Iris; Stefanie Alber (Hg.) (2001): Sand und Seide. Mode made in Afrika. Stuttgart, Institut für Auslandsbeziehungen
Luttmann, Ilsemargret (Hg.) (2005): Mode in Afrika. Mode als Mittel der Selbstinszenierung und Ausdruck der Moderne. Katalog zur Ausstellung "Mode in Afrika" im Museum für Völkerkunde Hamburg
Dr. Ilsemargret Luttmann beschäftigt sich seit vielen Jahren mit afrikanischer Mode. Mehrjährige Studien- und Arbeitsaufenthalte in Westafrika. Kuratorin der Ausstellung „Mode in Afrika“ im Museum für Völkerkunde, Hamburg, vom 15.9.-12.10.2005.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008