BÖSES GUT DARSTELLEN

Rezension zur Ausstellung „Africa Screams – Das Böse in Kino, Kunst und Kult“

Von Rosa Lehmann und Alanus von Radecki

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Conrad Botes: African Renaissance. Hinterglasgemälde. 2001

Es scheint in Mode zu kommen, das „Böse“ als das Grauenhafte und Schreckliche in ethnologischen Museen zu thematisieren. Nachdem das Tropenmuseum Amsterdam im Sommer 2005 eine große Sonderausstellung zur Expression des Bösen in verschiedenen Kulturen veranstaltete, nun also „Africa Screams“ im Museum der Weltkulturen Frankfurt. „Das Böse in Kino, Kunst und Kultur“: Warum das „Böse“? Ist es ein Hilfsmittel, um durch das Anspielen auf Sensation und die Lust am Schaudern mehr Besucher anzulocken? Verbaut die einseitige Thematisierung des „Bösen“ in einer Kultur nicht gerade die Chance, vorurteilsfreie Kommunikation zwischen Kulturen zu fördern? Nähren die Ausstellungen nicht genau die Bilder, die die meisten Besucher wahrscheinlich zu afrikanischen Masken und Hexerei schon vor der Besichtigung im Kopf haben? Oder erzählen uns diese Ausstellungen tatsächlich Zentrales über die dargestellten außereuropäischen Kulturen, da auch die dunkle Seite einer Gesellschaft Aufschluss über ihr Wesen gibt?

Die Ausstellung „Africa Screams: Das Böse in Kino, Kunst und Kult“, die bis zum 12. März 2006 im Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main zu sehen war, ist die erste Ausstellung, die den Versuch wagt, zu zeigen, auf welche Art und in welcher Dimension das „Böse“ in afrikanischen Kulturen dargestellt wird. Konzipiert wurde sie vom Iwalewa-Haus in Bayreuth, wo sie auch gezeigt wurde. Die Frankfurter Ausstellung veränderte und ergänzte die ursprüngliche Ausstellung.

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Daniel A. Jasper: Diabolo. Videoposter. Ghana. 2000

Anstoß zu „Africa Screams“ gab der Direktor des Iwalewa-Hauses, Tobias Wendl. Er besitzt eine Sammlung von Kinoplakaten zu verschiedenen Horrorvideos, die vor allem in westafrikanischen Ländern immer beliebter werden. So wurde also die Ausstellung „Africa Screams“ um die Plakate herum konzipiert. Das Frankfurter Museum der Weltkulturen erweiterte die Ausstellung, indem es einen eigenen Raum für traditionelle afrikanische Masken einrichtete und so der traditionellen Darstellung des Furchteinflößenden und Mächtigen eine zentrale Stellung gab. In Wien und Aalen wurde die Ausstellung nicht in ethnologischen Museen, sondern in Kunstmuseen als reine Kunstausstellung gezeigt. Laut Markus Lindner, einem Mitarbeiter des Museums der Weltkulturen, wollte sich das Frankfurter Museum durch die traditionellen Masken inhaltlich und konzeptionell von den anderen Ausstellungsorten abheben und den ethnologischen Aspekt der Ausstellung stärker thematisieren. Ergänzend zu den afrikanischen Masken und den Kinoplakaten wurden Kalenderplakate und Comics hinzugefügt, die ebenfalls das „Böse“ darstellen. Des Weiteren sind in der Ausstellung Werke von zeitgenössischen afrikanischen Künstlern zu sehen. Die Ausstellung hat eine übergreifende Thematik, allerdings kein durchgehendes Konzept.

Ein Hauptziel der Präsentation ist es sicherlich, einen Aspekt afrikanischer Kulturen zu beleuchten: das „Böse“ und dessen Darstellung im Kult, in der traditionellen Kunst, der alltäglichen Gegenwart und in der zeitgenössischen Kunst afrikanischer Künstler. Allerdings sollen laut Museum mit der künstlerischen Präsentation der circa 250 Werke auch die gegensätzlichen Bilder Afrikas in unseren Köpfen verbunden werden: Krieg, Korruption und Katastrophen auf der einen, Musik, Kunst und Kultur auf der anderen Seite.

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Deformationsmaske der Ibibio aus Nigeria. Sammlung Lehmann

Masken und andere traditionelle Kultgegenstände, die das „Böse“ in afrikanischen Kulturen darstellen, bringen dem Besucher die traditionelle Bedeutung des Bösen nahe. Durch die filmische Präsentation von Horrorfilmen und durch die Darstellung von Kinoplakaten sowie Kalenderpostern und Comics, die das „Böse“, Schreckliche, Mysteriöse zum Inhalt haben, soll die vermeintliche afrikanische Wirklichkeit, also der gegenwärtige alltägliche Umgang mit dem Phänomen der Angst, vermittelt werden. Mit der Erläuterung der zentralen Stellung der Horrorfilme in der (west)afrikanischen Filmkunst wird der Bezug zur Realität hergestellt. Die Kalenderbilder schildern mehrheitlich vermeintlich wahre Begebenheiten, sie tragen zur Unterhaltung und Information der Gesellschaft bei. So wird dem Besucher ein Ausschnitt des Alltags in afrikanischen Ländern nahe gebracht.

Neben der Darstellung des Schrecklichen im afrikanischen Alltag ist ein weiteres Ziel der Ausstellung auch die Präsentation der Auseinandersetzung zeitgenössischer afrikanischer Künstler mit dem Phänomen des „Bösen“. So thematisiert zum Beispiel der Angolaner Fernando Alvim in seinem Objekt „Difumbe“ die Leiden des angolanischen Bürgerkriegs, und die nigerianische Künstlerin Sokari Douglas Camp stellt in ihrem Kunstwerk „Age Flame Head“ die Problematik der Ölförderung im Nigerdelta dar, wo aufgrund verantwortungsloser Anzapfungspraktiken sowie durch Explosionen und Unfälle zahlreiche Menschen ihr Leben verlieren. Die Werke haben einen Bezug zu traditionellen Mythen über das „Böse“, sie thematisieren Machtmissbrauch, kriegerische Zerstörung oder allgegenwärtige Problematiken wie beispielsweise die Korruption.

Zu sehen bekommen Besucher eine sehr eigene Mischung aus traditioneller afrikanischer Kunst und aktueller Populärkunst sowie eine Auswahl zeitgenössischer Kunst, die sich den vielfältigen Gesichtern des alltäglichen Schreckens in Afrika widmet. Hinter dieser thematischen Auswahl und Gliederung lässt sich sicherlich kein Patentrezept zur Veranschaulichung des „Bösen“ in Afrika erkennen, es ist vielmehr der Versuch, der Vielschichtigkeit afrikanischer Realitäten gerecht zu werden, indem man Dinge zeigt, die den Betrachter einen Blick hinter die stereotypen Bilder Afrikas werfen lassen und zu einer Auseinandersetzung mit kulturellen Abgründen, zu denen vor allem die Angst gehört, anregen. Die im ersten zentralen Raum der Ausstellung gezeigten Masken bilden hierbei noch eher eine Ausnahme. Ihre Konstellation stellt mehr eine Befriedigung europäischer Gruselvorstellungen über afrikanische Kulte und Riten dar als eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Anordnung nach ästhetischen Gesichtspunkten lässt ethnologische Interessen in den Hintergrund treten, sodass der unbedarfte Betrachter seiner Fantasie freien Lauf lassen kann.

Eindeutiges bekommt man geboten, sobald man diesen Raum verlässt: Die Plakate westafrikanischer Horrorvideos verdeutlichen die Stellung von Angst, Hexerei und Okkultismus in vielen afrikanischen Gesellschaften und lassen erkennen, dass Modernisierung und Konsumorientierung nicht zwangsläufig einen rationalen Weg einschlagen müssen, wie es scheinbar in unseren Gesellschaften der Fall ist. Die mit modernster Technik produzierten Videos erzählen meist Geschichten „wahrer“ Begebenheiten. Wahr soll in diesem Falle allerdings bedeuten, dass sie von der Mehrheit für wahr gehalten werden. Als Beispiel sei hier der Fall der Verwandlungen von Menschen in Tiere unter bestimmten Bedingungen angeführt.

Erwähnenswert ist, dass im Gegensatz zur traditionellen Kunst afrikanischer Kulturen in den modernen Horrorfilmen Schrecken erregende Wesen auch wirklich das Böse repräsentieren. Während, wie oben erwähnt, eine grauen erregende Maske einen vielschichtigen Geist oder Ahn repräsentieren kann, dessen Taten nicht durchweg schlecht und böse sein müssen, ist zum Beispiel die Hexe im Horrorfilm absolut böse. Hier könnte nun eine interessante kulturelle Frage anschließen, nämlich nach dem Ursprung des Wandels. Ist es die rapide zunehmende soziale und ökonomische Ungleichheit in afrikanischen Gesellschaften? Oder der Individualismus, der in Kulturen mit traditionell eher gemeinschaftlichen Werten einbricht und nun ökonomische Vorteile bringt, die wiederum Neid und Missgunst hervorrufen? Okkulte Ökonomie, also das Erlangen von Reichtum durch Hexerei und Okkultismus, wird in afrikanischen Gesellschaften häufig diagnostiziert und dementsprechend oft in Filmen und auf Kalenderpostern thematisiert.

Eine eindeutige Antwort auf die zahlreichen durch die Thematik der Ausstellung angeschnittenen Fragen wird der Besucher allerdings vergeblich suchen. Er muss sich – will er nicht unbefriedigt nach Hause gehen – selbst eine Erklärung für diese Fragen aus den verschiedenen Objekten zusammenreimen. Sucht man selbst nach Aufschlüssen und Zusammenhängen, so lässt sich vieles in der Ausstellung sinnvoll verknüpfen, was sonst scheinbar zusammenhangslos nebeneinander steht.

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Dominique Zinkpé: Malgré tout. Installation. 2002

Die Darstellung des Synkretismus in all seiner existierenden Widersprüchlichkeit eröffnet den letzten Teil der Ausstellung. Hier kann sich der Betrachter in die Abgründe von Heilsversprechungen, Krieg, Terror und Abhängigkeit vom Westen stürzen, die so schön in unser Afrika-Bild passen. Aufrüttelnd wirkt hier beispielsweise die von Sokari Douglas Camp geschaffene Skulptur der Pieta mit Fotos von Osama Bin Laden, die zu kontroversen Thesen anregt, allerdings selbst keine Stellung zu beziehen scheint. So einfach wie eindeutig ist das Werk Dominique Zinkpés, der den Patienten Afrika am Tropf hunderter Hilfsorganisationen zeigt, die ihn nicht nur „totpflegen“, sondern für sich selbst beziehungsweise die industrialisierte Welt dabei noch Profit herausschlagen. So nehmen diese afrikanischen Künstler Bezug auf globale Verflechtungen und Ereignisse. Das „Böse“ in Afrika hat also viele Gesichter und Ursprünge.


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Jane Alexander: Vissershok, Fotomontage, digitaler Tintenausdruck auf Baumwollpapier. 2000

Hinterfragt werden muss der Anspruch der Ausstellung, das „Böse“ in Afrika umfassend darzustellen. So wurden die meisten hier vertretenen zeitgenössischen afrikanischen Künstler in Europa ausgebildet und produzieren für ein europäisches Publikum. Dies wird leider nicht thematisiert. Allerdings ist es eine positive Intention der Ausstellung, afrikanischen Künstlern einen Raum zur Exposition ihrer Objekte zur Verfügung zu stellen. Dabei lässt sich diskutieren, ob ethnologische Museen generell ein angemessener Ort dafür sind. Manche außereuropäische Künstler sehen sich so in die „Exotik-Ecke“ abgeschoben. Fakt ist allerdings, dass viele Kunstmuseen sich nach wie vor weigern, Werke afrikanischer Künstler auszustellen. Dies wird oft mit der Begründung, dass alles, was „Kunst“ sei, sich schon in den Kunstmuseen befinde, gerechtfertigt. Alle anderen künstlerischen Objekte, gerade Kunst aus anderen Kulturen, seien entweder „Alltagskunst“, also Gegenstände des täglichen Gebrauchs, wie zum Beispiel Schalen, Krüge et cetera, oder so sehr mit einer bestimmten Kultur verbunden und im kulturellen Kontext verortet, dass ethnologische Museen einen angemessenen Rahmen dafür bieten können.

Die Ausstellung „Africa Screams“ hinterlässt kontroverse Eindrücke im Betrachter. Sie lässt sich nicht zu einem homogenen zusammenhängenden Bild verarbeiten, was sie auch nicht zu versuchen scheint und wozu das Thema vielleicht auch nicht dient. Um allerdings über die Schaffung zusammenhangsloser Eindrücke hinauszugehen, bedürfte es mehr Erläuterungen und Anhaltspunkte. Der Betrachter wird meist mit sich und seinen Eindrücken alleine gelassen, helfende Hinweise werden ausgespart, sodass eine Ausstellung mit echtem ethnologischen Wert sowie großem Potenzial zum Kulturdialog und zur Verständnisförderung durch das Festhalten an einem von Kunstausstellungen geprägten Konzept viel von ihrer Kraft verschenkt. Zwar wird sie dem Ziel gerecht, das „Böse“ in afrikanischen Kulturen zu zeigen, und ist dadurch sicherlich ein Publikumsmagnet, allerdings verfehlt sie das Ziel ethnologischer Darstellung und kultureller Annäherung. Die Masken lassen beispielsweise nicht auf die Vielschichtigkeit ihrer repräsentierten Wesen schließen, und ihre ästhetische Anordnung spricht eher unser Grusel- und Angstgefühl an. Dennoch gelingt es der Ausstellung sicherlich, mit dieser publikumswirksamen Themenauswahl Menschen ins Museum zu locken und ihnen einen – wenn auch nur sehr begrenzten und nicht genug kontextualisierten – Ausschnitt afrikanischer Kulturen und Lebenswirklichkeiten nahe zu bringen.

Zu den AutorInnen

Rosa Lehmann, Studentin der Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg.

Alanus von Radecki, Student der Soziologie und der Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008