Eine Buchrezension von Ilsemargret Luttmann
Die Frauen von Maroua. Liebe, Sexualität und Heirat : ein Buchtitel, der neugierig macht, weil er ein Thema anspricht, das an unsere eigene Alltagserfahrung anknüpft und insofern eine gute Basis darstellt, um sich auf andere kulturelle Welten einzulassen. Auf dem Buchumschlag wird dem Leser angekündigt: "Den richtigen Mann zu finden, eine gute Ehe zu führen – das bedeutet für die Frauen in Maroua in Nordkamerun etwas ganz anderes als für uns ... Die Auskünfte der Afrikanerinnen zum Thema Liebe, Gefühl und Sexualität stellen unsere eigene Sicht in Frage, sind spannend und befremdlich.“ Was erfahren wir nun also über die Lebenswelten der Frauen in Maroua, einer vom Islam und der Fulbe-Kultur geprägten Stadt, ihre Erfahrungen mit Männern, ihre Erwartungen und dem von ihnen erwarteten Rollenverhalten als Partnerinnen und Ehefrauen? Was ist anders als bei uns, und was befremdet uns?
Zunächst werden uns auf den zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt werden, wunderschöne, sich selbstbewusst präsentierende junge Frauen vorgestellt, die afrikanisch gekleidet sind, wenn man darunter die „Kostüme“ – bis zu den Knöcheln reichender gewickelter Rock und verschiedenartig geschnittene Oberteile – aus den bunt bedruckten Baumwollstoffen versteht. Entgegen unseren Erwartungen sind sie nicht verschleiert, sondern nur ihre Haare werden ganz oder teilweise von einem modisch gebundenen Kopftuch bedeckt. In der Öffentlichkeit, auf der Straße begegnet man ihnen jedoch nur selten, denn ihr Bewegungsraum, besonders wenn es sich um verheiratete Frauen handelt, ist auf den häuslichen Rahmen beschränkt.
Die Kontrolle über die Frauen im Namen der Ehre: Ideal und Wirklichkeit
Frauen stehen unter der Kontrolle der Männer, die ihre Ehefrauen von anderen Männern, sofern sie nicht zur Familie gehören, fern halten möchten. Die weibliche Erotik und Sexualität gehören – so die Theorie – einzig und allein dem Ehemann. In der Erziehung der Mädchen sind Werte wie Demut, Unterordnung, Reserviertheit, Beherrschung der Gefühle von zentraler Bedeutung. Ein Verhalten nach diesem Wertekanon gilt als ehrenhaft und dient gleichfalls dem Ansehen des Mannes. Die charakterliche Stärke des Mannes, der seinerseits denselben Regeln unterliegt, wird jedoch als der der Frau überlegen angesehen. Deren Schwäche besteht darin, ihre Gefühle offener zu zeigen und für die Begierden und Werbungen der Männer empfänglich zu sein. Zur Wahrung der Ehre der Familie ist es also erforderlich, die Bewegungsfreiheit der Töchter, Schwestern und Ehefrauen einzuschränken.
Doch halten sich die Betroffenen beiderlei Geschlechts auch an diese gesellschaftlichen Verordnungen? – Frauen nutzen die Freiheit der abendlichen Besuche, die sie ohne männliche Begleitung den Verwandten und Freundinnen abstatten dürfen, um unter größtmöglichen Vorsichtsmaßnahmen die ihnen sonst nicht gestatteten Kontakte zu Männern aufzunehmen. Und Männer, denen in der Praxis außereheliche Beziehungen großzügigerweise zugestanden werden, suchen nachts ihre Geliebten auf. Diese Situation erscheint ein wenig paradox: Die Männer beanspruchen die Kontrolle über die Frauen, gewähren ihnen aber gerade dann Ausgang und Bewegungsfreiheit, wenn die Überwachungsmöglichkeiten am ungünstigsten sind. Wenn sie einerseits nicht wollen, dass Frauen, besonders die eigenen, Beziehungen zu Männern außerhalb der Familie pflegen, dann widersprechen sie andererseits aber diesem Prinzip, wenn sie selber Liebschaften unterhalten, die ja gerade diesen Tabubruch voraussetzen. Die Beschreibung der realen Verhältnisse zeigt also, dass sich die Frauen nicht vollständig kontrollieren lassen und dass die Männer auch kein Interesse an der absoluten Einhaltung des Gebots haben.
Liebe vor der Ehe und in der Ehe
Welche Wünsche und Erwartungen gegenüber dem zukünftigen Mann und dem Zusammenleben in der Ehe hegen die Frauen, und wie verhalten sich die Männer? Spielen Liebe und persönliche Gefühle dieselbe Rolle wie in unserem Ideal eines intimen Zusammenlebens der beiden Geschlechter? – Hierbei lassen sich zwei getrennte Lebensphasen beobachten, in denen die Liebe eine ganz unterschiedliche Bedeutung hat. In der Zeit vor der Ehe ist das Ausleben von Liebesgefühlen die zentrale Antriebskraft, die einerseits viele Energien absorbiert und andererseits große persönliche Zufriedenheit und Selbstbestätigung hervorbringt. Bei der Planung der Ehe dagegen treten ganz andere Faktoren in den Vordergrund, da es nun gilt, zwei Menschen zusammenzubringen, die als Verbindungsglied zwischen zwei Familien fungieren und eine Zelle der biologischen, sozialen und ökonomischen Reproduktion bilden.
In diesem Kontext sind persönliche Gefühle eher unerwünscht, da sie das erforderliche emotionale Gleichmaß stören können. So passiert es oft, dass die Freundschaft zwischen zwei jungen verliebten Menschen abrupt abgebrochen wird, wenn der Zeitpunkt der konkreten Eheplanung und damit der sozialen Reife der betroffenen Personen gekommen ist. Die Aufgabe der jugendlichen Liebe ist eben der Preis, der für den sozialen Aufstieg und die vollständige gesellschaftliche Integration gezahlt werden muss. (Wir erfahren nicht genau, wie sich diese Transformation vollzieht und welche Funktionen und vor allem Gratifikationen mit dem Ehe- und Familienleben verbunden sind.)
Die Wahl des Ehemanns wird vom Vater oder von den Eltern und dem Familienrat getroffen; generell gilt, dass die Ehe von den Eltern der Kandidaten arrangiert wird. Auch für die zu Unterordnung und Gehorsam erzogenen jungen Frauen ist es oft nicht einfach, die unabhängig von ihren Wünschen und Empfindungen getroffene Entscheidung hinsichtlich des Lebenspartners zu akzeptieren und sich damit zu arrangieren. Daher bedeutet die Möglichkeit der Scheidung und die Rückkehr zur väterlichen Familie ein reales Gegengewicht zu dieser Bevormundung. In der Tat, die Scheidungsrate ist sehr hoch, und, rein statistisch gesehen, sind die Frauen öfter als zweimal verheiratet. (Allerdings wird auch hier nicht erkennbar, ob der Weg der Trennung und die zeitweise freiere Lebensweise der Frau eine wirkliche Verbesserung ihrer Lebenssituation und damit eine Alternative zur Ehe bedeuten.)
Ohne Geschenke keine Liebe
Grundlegend für die Aufnahme sexueller Beziehungen ist der Austausch von Geschenken. Die Frau erwartet als Zeichen und Beweis des Interesses des Mannes gewisse Gaben, die meistens aus Stoffen (zu bestimmten festlichen Anlässen), Seife, Arznei oder auch Geld bestehen. Dieser Tausch beruht auf festen Regeln, aus denen sich Ansprüche ableiten und die eigentlich dem Prinzip der Freiwilligkeit völlig entgegenstehen. Diese offensichtliche und explizite Verknüpfung von Gefühlen und materiellen Gegenleistungen ist mit unserem Verständnis einer idealen Beziehung zwischen Mann und Frau nicht in Übereinstimmung zu bringen, da hier das Gebot der „Reinheit“ der Gefühle gepredigt wird.
In der Ehe setzen sich die Tauschbeziehungen in der Form fort, dass der Mann die Aufgabe des Versorgers übernimmt, wofür die Frau – wirtschaftlich gedacht – als Gegenleistung ihren Körper und ihre Unterordnung anbietet. Unter dieser Voraussetzung ist es nur verständlich, dass Frauen – zumal sie meistens kein eigenes Einkommen beziehen und überdies ein ungebundenes Leben gesellschaftlich nicht akzeptabel ist – einen gut situierten Mann als Ehepartner suchen. Dadurch können sie sich – im Idealfall – gute materielle Lebensbedingungen verschaffen und ihr Ansehen steigern. Persönliche Gefühle haben in dieser Lebensplanung nicht viel Platz, was natürlich nicht bedeutet, dass psychisches Wohlbefinden nicht angestrebt wird; sozialstrategische Überlegungen stehen aber eindeutig im Vordergrund. Solch ein Verhalten lässt sich gut an dem Fall einer Frau demonstrieren, die ihren langjährigen Verlobten, mit dem sie eine emotional zufrieden stellende Beziehung hatte, in dem Moment verlässt, als sich ein finanziell besser gestellter Heiratskandidat präsentiert. Demgegenüber gibt es auch Beispiele von Frauen, die bei ihren Ehemännern bleiben, obwohl sie materiell schlecht versorgt sind und sich gleichzeitig günstigere Alternativen bieten. Hier – so der Autor – siegt die Liebe, die sich gegen die gesellschaftlich dominierenden Normen durchsetzt.
Die frustrierten Männer
Die Männer in Maroua äußern ihren Unmut und ihre Enttäuschung über die Frauen der heutigen Zeit, von denen sie sich bedroht und ausgenutzt fühlen, indem sie ihnen Materialismus, Heuchelei und Egoismus vorwerfen. Aus ihrer Perspektive hat sich das Verhalten der Frauen verändert, sie bezeichnen es als moralisch dekadent. Haben die Männer Recht mit dieser Behauptung? Wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft, lässt sich leicht feststellen, dass es schon immer zu den legitimen Ansprüchen der Frauen gehörte, vom Mann versorgt zu werden, regelmäßig neu eingekleidet zu werden und Artikel der Körperhygiene etc. geschenkt zu bekommen. Diesen Pflichtteil erkennen die Männer auch voll und ganz an. Doch heutzutage begnügen sich die Frauen eben nicht mehr mit dem klassischen Repertoire, sondern äußern neue Wünsche und Bedürfnisse. Das entspricht der realen Ausweitung des Warenangebots auf den Märkten, die natürlich auch die Vorstellungen von einem wünschenswerten Leben tangieren und Komfort sowie modernen Lebensstil zu erstrebenswerten Zielen machen.
Die Kleidermode bietet ständig neue begehrenswerte Modelle, die von reichen Frauen, Fernsehansagerinnen oder Musikstars getragen werden, und auch das Mobiltelefon mit seinen Möglichkeiten der Kommunikation, der Freiheit und Bereicherung der verbesserten Mobilität stellt eines der attraktiven neuen Güter dar, die Sehnsüchte bei den Frauen erwecken. Demgegenüber haben sich die Einkommensverhältnisse der Männer in den letzten 20 Jahren keineswegs verbessert, ganz im Gegenteil, die allgemeine wirtschaftliche Situation besonders im Norden des Landes ist stagnierend bis rückläufig. Das bedeutet eine Schwächung ihrer Machtposition, die die Männer zu überspielen versuchen, indem sie zu einem moralischen Gegenangriff gegen die Frauen ausholen und ihnen Gefühllosigkeit und materialistisches Denken vorwerfen.
Die reine Liebe als Ideal
Der Autor des Buches verhält sich ambivalent, wenn er versucht, das andersartige Denken und Handeln der Männer und Frauen in Maroua zu beschreiben und zu erklären. Einerseits möchte er andersartige Lebensziele und Verhaltensweisen als gleichwertig vorstellen und erfahrbar machen, andererseits fällt es ihm jedoch schwer, sich von seinem Idealtypus Ehe und Liebe westlicher Prägung zu lösen. Stattdessen dient er ihm immer wieder als Referenzrahmen für seine neuen Erfahrungen, wenn er die Uneigennützigkeit der Gefühle vermisst und statt auf innige Vertrauensverhältnisse immer wieder auf den Mangel an gegenseitigem Vertrauen stößt. Insofern stimmt die Ankündigung auf dem Buchrücken doch, wenn hier die Rede von „befremdlichen“ Auskünften der Afrikanerinnen ist.
Reinhard Kapfer: Die Frauen von Maroua. Liebe, Sexualität und Heirat in Nordkamerun. Peter Hammer-Verlag, Wuppertal, 2005, ISBN 3-7795-0033-7, Euro 19,90
Dr. Ilsemargret Luttmann beschäftigt sich seit vielen Jahren mit afrikanischer Mode. Mehrjährige Studien- und Arbeitsaufenthalte in Westafrika. Kuratorin der Ausstellung „Mode in Afrika“ im Museum für Völkerkunde, Hamburg.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008