CHRISTEN ODER MUSLIME?

„Meskhetische Türken“ in der georgischen Samtredia-Region.

Von Natia Jalabadze

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Blick von der Ruine der Bagrat-Kathedrale auf Kutaisi. Foto: S. Voell

Meskhetische Türken
Das Problem der so genannten meskhetischen Türken ist in den letzten Jahren in Georgien aktuell geworden. 1944 wurde diese ethnische Gruppe aus der Meskheti Provinz (im westlichen Georgien gelegen) zusammen mit sieben anderen ethnischen Gruppen, die in der Sowjet Union lebten, nach Zentralasien deportiert. Nach offiziellen Angaben wurden 92307 Muslime aus fünf administrativen Distrikten im Süden Georgiens vertrieben: Adigeni, Akhaltsikhe, Aspindza, Alkhalkalaki und Bogdanovka. Als nach dem Tod Stalins, den Deportierten erlaubt wurde, in ihre ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren standen Krimtataren, Wolga-Deutsche und meskhetische Türken nicht auf der Liste der zu Repatriierenden. Nach der Auflösung der Sowjet Union wurden die ersten beiden Gruppen rehabilitiert; das Problem der Rehabilitierung und Repatriierung der meskhetischen Türken aber ist bis heute ungelöst.

Die Frage nach dem ethnischen Ursprung und der ethnischen Orientierung der so genannten meskhetischen Türken wird unter Spezialisten immer noch diskutiert. Einige Forscher bezeichnen sie als eine ethnische Gruppe georgischen Ursprungs, Nachkommen eines alten Georgischen Stammes – Meskheter, die unter dem machtvollen Druck der türkischen Kultur zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert islamisiert wurden.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelangte Meskheti unter die Herrschaft des Osmanischen Reiches. Die osmanische Okkupation, die drei Jahrhunderte lang dauerte, veränderte radikal die kulturelle und soziale Infrastruktur dieser Provinz. Die osmanische Herrschaft bewirkte die Bekehrung der lokalen Bevölkerung zum Islam, die Übernahme islamischer Traditionen und installierte Türkisch als Umgangssprache. Nach und nach wurden christliche Traditionen ausgerottet. Aufgrund der flexiblen sozial-ökonomischen osmanischen Politik konvertierten viele zum Islam - trotz des Widerstandes der lokalen Bevölkerung, denn die osmanische Vorgehensweise garantierte mit der Konvertierung zum Islam das physische Überleben. Adeligen wurde Besitz an Land erlaubt und die Bauern wurden – mit dem Übertritt zum Islam - von den extrem hohen Steuern befreit, die auf dem Land lagen.

Lange feierte die Bevölkerung noch heimlich christliche Rituale und Zeremonien. Sie begingen Neujahr und führten christliche Hochzeitsrituale durch. Priester der georgisch orthodoxen Kirche gingen zum Beispiel mit einem Sack voll Schweinefleisch von Haus zu Haus und verteilten es an die Dorfbewohner. In versteckt liegenden Häusern führten Priester heimlich Hochzeitszeremonien durch. Oftmals wurden fünf bis zehn Hochzeiten gleichzeitig zelebriert, wie Lomsadze schreibt. In den Häusern muslimischer Georgier wurde lange Zeit noch Georgisch gesprochen. Später allerdings bestimmte ihre religiöse (islamische) Orientierung ihre ethnische Identität und sie distanzierten sich von christlichen Georgiern.

Nach einer anderen Meinung sind die Meskheter ethnische Türken, eine muslimische Population in Südwest-Georgien die genetisch als türkischen Ursprungs betrachtet wird. Ihr Siedlungsgebiet ist demnach ihr Ursprungsland. Nach dieser Meinung siedelten sie in diesem Gebiet schon im 5. und beginnenden 6. Jahrhundert. Unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs tauchten sie zuerst im 16. Jahrhundert auf, konsolidierten sich und formierten sich zu einer neuen Ethnie.

Heute - durch vielfältige Umsiedlungen - finden sich die Meskheter verstreut über ausgedehnte Gebiete in Russland, der Ukraine, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien, Aserbaidschan, Georgien, Türkei und den USA. Einige betrachten sich selbst als ethnische Türken, einige als Georgier und einige haben keinerlei ethnische Orientierung.

In den 1970-Jahren wurden die Restriktionen in Bezug auf eine eigene Wohnsitzwahl formal aufgehoben; diese Freizügigkeit wurde aber praktisch dadurch verhindert, dass das Politbüro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der UDSSR den Zentralkomitees der Republiken mit Nachdruck empfahl die Deportierten an ihrem jetzigen Wohnort zu halten. Ab 1974 zeigte sich, dass die Anstrengungen einiger georgischer Dissidenten und Intellektuellen nicht umsonst gewesen waren und zwischen 1975 und den 1980er-Jahren kehrten mehrere hundert meskhetische Familien nach Georgien zurück, obwohl niemand von ihnen offiziell die Erlaubnis hatte.

Das Problem der Repatriierung der Kontingentdeportierten von Samtske-Javakheti bekam ab den 1999er-Jahren besondere Aktualität. Als Georgien Mitglied im Europäischen Rat wurde, verpflichtete sich die Regierung eine angemessene legislative Basis auszuarbeiten um nach und nach alle zurückkehren zu lassen, die das wollten. Allerdings war die Haltung der georgischen Bevölkerung gegenüber der Repatriierung dieser Menschen nicht einheitlich.

Feldforschung
Von November bis Dezember 2004 arbeitete ich als Feldforscherin in dem Projekt „Zwischen Integration und Rücksiedlung: Die meskhetischen Türken“ des Europäischen Zentrums für Minderheitenangelegenheiten (Tbilisi, Georgien). Ich führte eine ethnographische Feldstudie in der Samtredia Region durch, im Dorf Janeti 9. Distrikt. Das Ziel der Studie war das Alltagsleben der meskhetischen Türken heute zu untersuchen, ihre Traditionen, sozialen Probleme usw. Seit den 1980er-Jahren kamen muslimische Meskheter in die Samtredia-Region, zuerst aus Nalchik (Region Kabardino-Balkaria, nördlich des Kaukasus gelegen), danach aus Zentralasien und Aserbaidschan und später, im Zusammenhang mit den ethnischen Konflikten im Ferghana-Tal/Usbekistan, aus den dort umliegenden Regionen.

Das Dorf namens Janeti 9. Distrikt ist monoethnisch und monokonfessional. Die einzigen Einwohner sind meskhetische Türken. 174 Personen in 29 Haushalten bewohnen die Siedlung. Die meskhetische Gemeinschaft lebt isoliert von den anderen Ethnien, die in dieser Region beheimatet sind. Nur wenn es sich nicht vermeiden, lässt nehmen sie Kontakt zu ihren Nachbarn auf. Allerdings muss erwähnt werden, dass meskhetische Türken nach ihrer Repatriierung gerne Seite an Seite mit Georgiern leben, weil sie der Ansicht sind, das sei die beste Form der Integration. Tatsächlich aber verhindern sie einen Integrationsprozess dadurch, dass sie in exklusiven Gruppen leben. Nur so meinen sie ihre Zukunft sichern zu können, denn sie fürchten, aus Georgien vertrieben zu werden (unter Zviad Gamsakhurdia, georgischer Präsident in den 1990er-Jahren, hatten sie es schon erlebt) und sie sagen, sie fühlen sich solange unsicher bis die allgemeine Repatriierung von Meskhetern gesetzesmäßig implementiert wird. Mein 45-tägiger Aufenthalt im Lebensraum der muslimischen Meskheter, bei dem ich Sorgen und Nöte direkt mit ihnen teilte (mein Aufenthalt fiel zusammen mit dem Ramadan und ich erlebte Hochzeiten und Beerdigungen) gab mir die Chance, ethnografisches Material zusammeln, das es so noch nicht gab. Überraschend für mich war, kulturelle Traditionen aus christlicher und vorchristlicher Zeit im Leben der Meskheter zu finden, Traditionen, aufgehoben in der Erinnerung, aber auch in Alltagsbräuchen und religiösen Vorstellungen.

„Früher waren wir Georgier“ sagten einige meiner meskhetischen Gesprächspartner; diese Bemerkung kann als Hinweis gesehen werden für ihren georgischen Ursprung und ihre religiöse Orientierung. Georgisch ist das Synonym für christlich (während „türkisch“ oder „tatarisch“ das Synonym für muslimisch ist) und ihre heutige ethnische Orientierung als Türken basiert eher auf der Religion als auf der nationalen Zugehörigkeit.

Wenn ich Meskheter nach ihrer Nationalität fragte, sagten sie, sie seien Georgier. Aber praktisch im Alltagsleben und im persönlichen Umgang zogen sie stets eine Grenze zwischen sich und ihren georgischen Nachbarn. Sie als „meskhetische Türken“ zu bezeichnen, empfanden sie als Diskriminierung und ich vermied es tunlichst sie so zu bezeichnen. Sie selbst nannten sich Gurji Muslimani (georgische Muslime). Dieser Name ist neu in der Geschichte und wurde vermutlich von nach Georgien zurückgekehrten Meskhetern geprägt. Die religiöse Orientierung prägt die ethnische Orientierung in dieser Gruppe, was in der Bemerkung eines Gesprächspartners von Janeti zum Ausdruck kommt: „Wir werden von Tataren Georgier genannt. Zuerst sind wir wütend darüber, aber dann merken wir, dass sie unsere Religion und nicht unsere Nationalität meinen. Jetzt irritiert es uns nicht mehr.“

In Gesprächen mit Meskhetern aus Janeti, deren Vorfahren unter großen Druck zum Islam konvertierten, werden immer noch Angstsyndrome deutlich. Und Angst steht im Hintergrund, wenn sie - nach der Sitte ihrer Vorfahren - christliche Riten und Gebräuche heimlich durchführen. Eine Gesprächspartnerin sagte: „ Als wir noch in Usbekistan lebten wusste ich, dass wir Georgier waren, denn meine Schwiegermutter hatte es mir gesagt. Aber sie bat mich auch, das nicht meinem Mann zu sagen. Erst als wir nach Georgien zurückkehrten, sagten wir es ihm und er tadelte uns wegen dieser Heimlichkeit. Als wir noch in Zentralasien lebten sprachen die Älteren aus Angst nicht über dieses Thema.“ Offensichtlich gab es hier ein Tabu.

Ein männlicher Informant aus Kutaisi (einer nahe gelegenen Stadt in der Region), ein Freund meiner Gastfamilie während der Feldforschung, sagte: „ Das verstorbene Oberhaupt der Familie, Seipul Ibragimov war einer der Initiatoren der Rücksiedlung der Meskheter nach Georgien und der spirituelle Führer der Meskheter in Janeti. Er hatte einen besonderen im Bogen zugespitzten Stock, den er sehr sorgfältig bewahrte. Niemand wusste welche Bedeutung dieser Stock hatte. Wenn ich jetzt darüber nachdenke: es könnte ein Bischofsstab gewesen sein, den Seipul aus Georgien mitgebracht hatte und den er stets mit sich getragen hatte. Unglücklicherweise wissen seine Nachkommen nichts mehr darüber.“

Die Familienangehörigen von Seipul besuchten nach ihrer Rückkehr nach Georgien mehrere Male ihr Heimatdorf Kikineti. Die Familie erinnert sich, dass Seipuls Frau jedes Mal die Kirche dort besuchte, Kerzen anzündete und den Kirchenraum durchschritt. „Meine Vorfahren taten das und ich tue es deswegen auch“, sagte sie jedes Mal als Erklärung, warum sie als Muslimin Kerzen anzündete, was nicht üblich ist.

„Kerzen anzünden“ ist auch Teil des Hochzeitsrituals in Janeti. Ebenso auf christliche Einflüsse schließen lässt auch das Eheverbot zwischen Partnern, die näher als fünf Generationen miteinander verwandt sind. Allerdings hat sich dies Verbot mittlerweile auf drei Generationen reduziert. Die muslimischen Meskheter sehen diese Entwicklung beeinflusst von der türkisch-muslimischen Kultur, in der Cousins und Cousinen – Kinder von Brüdern und Schwestern – potenzielle Heiratskandidaten sind. Auch die muslimische Sitte der Polygamie ist unter Meskheter undenkbar. Sie bemühen sich Mischehen zu vermeiden und versuchen Ehen ausschließlich innerhalb der Gemeinde der Meskheter zu arrangieren. Sie sagen, das wäre die einzige Möglichkeit sich als „Nation“ zu bewahren und wenn sie nicht immer schon solch strikte Regeln eingehalten hätten, wären sie heute als „Volk“ verschwunden. Auch deshalb würden sie bis heute isoliert von anderen ethnischen und religiösen Gruppen leben.

In der Volksfrömmigkeit beziehungsweise im Aberglauben lassen sich viele Ähnlichkeiten zwischen muslimischen Meskhetern und christlichen Georgiern finden. Außerdem nehmen muslimische Meskheter die islamischen Vorschrift und Verbote nicht sehr ernst. Sie trinken Alkohol und essen Schweinefleisch, auch außer Haus. Zusammenfassend kann man sagen, dass christliche und vorchristliche Elemente im Alltagsleben von muslimischen Meskhetern auffallend sind. Sie wurden bewahrt in der Erinnerung, häuslichen Bräuchen und Vorstellungen.

Weiterführende Literatur
Lomsadze, Sh. (2000): Meskheti und Meskheter. Tbilisi. (Auf Georgisch)

Zur Autorin
Dr. Natia Jalabadze, Ethnologin. Forschungen über den religiösen Synkretismus in den östlichen Bergregionen Georgiens und über ethnische Minoritäten in Georgien, insbesondere Meskheten und Tschetschenen. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Ethnologie, Tbilisi. Zahlreiche Veröffentlichungen in Georgisch, Russisch und Englisch.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008