Von Eva Ch. Raabe
Betritt man im Magazin des Museums der Weltkulturen die Sammlungsabteilung Ozeanien von der Seite des Lastenaufzuges her und wendet sich nach rechts, blicken einem zahlreiche Augenpaare entgegen. Das Regal an der Stirnseite der Magazinfläche ist gefüllt mit einer großen Anzahl von Töpfen, Schalen und Aufhängehaken aus Neuguinea: Die meisten der Keramiken sind mit aufmodellierten Gesichtern ausgestattet und die überwiegende Zahl der Aufhängehaken haben die Form menschlicher Figuren. Fast kann man meinen, einer gedrängten Gruppe lebender, beseelter Wesen entgegen zu treten. Die kulturspezifische Bedeutung dieser Bilderwerke erschließt sich nicht beim bloßen Betrachten, und doch ist der erste Eindruck von Beseeltheit der Gegenstände nicht so weit entfernt von den Vorstellungen, mit denen diese in ihrer Herkunftskultur belegt werden. Viele der Gegenstände verkörpern für ihre Hersteller und Nutzer mythische Ahnen und Schöpferwesen. Man schreibt ihnen wirksame Kräfte zu und verleiht ihnen individuelle Namen, so dass sie tatsächlich Personencharakter erhalten.
Die Sammlung, die Empfindungen und Eindrücke bei der Magazinbegehung so dominiert, stammt aus dem Sepik-Gebiet Neuguineas und stellt mit ihrer großen Anzahl von Objekten heute den Hauptanteil an der Ozeaniensammlung des Museums der Weltkulturen. Seit der Gründung des Museums im Jahr 1904 wurden kontinuierlich einzelne Kunst- und Alltagsgegenstände von dieser Insel über Ethnografika-Händlern angekauft oder von anderen Museen eingetauscht. Das von Anfang an vorhandene besondere Interesse an den Ethnien des Sepik-Gebietes mündete 1961 in einer großen Sammelexpedition. Mitarbeiter des Frobenius-Instituts in Frankfurt am Main trugen für das Museum an die 5000 Objekte zusammen und machten damit die Sepik-Region Neuguineas auf einen Schlag zum Sammlungsschwerpunkt im Bereich Ozeanien.
Bis zu ihrer Trennung im Jahr 1965 bildeten das Frobenius-Institut und das Museum für Völkerkunde eine institutionelle Einheit unter einer Leitung. Angeregt durch die von Alfred Bühler 1955/56 gesammelten Sepik-Bestände am Baseler Völkerkundemuseum beantragte der damalige Direktor Adolf Jensen Sondermittel bei der Stadt Frankfurt und beauftragte die damaligen Institutsassistenten Eike Haberland und Meinhard Schuster, am Sepik für das Frankfurter Museum zu sammeln. Der Institutsdirektor Jensen begründete die Sammeltätigkeit für das Museum mit der Notwendigkeit Wissenslücken zu füllen und Kulturgut vor seinem endgültigen Verschwinden zu retten. In der Öffentlichkeit bestand offenbar auch ein Interesse an der Vermehrung der Museumsbestände; denn die Stadt Frankfurt bewilligte Jensen immerhin eine damals nicht unbedeutende Summe von 100 000 DM für die Sammelexpedition an den Sepik. Zum Zeitpunkt der Sepik-Expedition 1961 lagen über die Schriften früher deutscher Sepik-Forscher wie Otto Reche (Hamburger Südsee Expedition 1909) oder Adolf Roesicke (Deutsche Kaiserin-Augusta-Fluss Expedition1912/13) hinaus auch die Feldforschungsergebnisse bekannter amerikanischer Ethnologen vor – wie z. B. Margaret Meads Studie über die Mundugumor und Tschambuli in ihrem berühmten Buch „Sex and Temperament in Three .Primitive Societies“(1935) oder Gregory Batesons Monographie „Naven“(1936) über die Iatmul. Das in Europa und Amerika entworfene ethnografische Bild von der Sepik-Bevölkerung hatte sich verdichtet, gleichzeitig gab es jedoch noch viele offene Fragen nicht nur zur materiellen Kultur, sondern auch zum sozialen und religiösen Leben der unterschiedlichen Ethnien entlang des Sepik-Laufes. Die Sammelreise bildete für Haberland und besonders für Schuster den Beginn einer beständig fortgeführten ethnologischen Forschung im Bereich der Sepik-Kulturen. Meinhard Schuster wechselte 1965 vom Frobenius Institut an das Basler Museum für Völkerkunde und wurde 1970 auf den Lehrstuhl des Basler Seminars für Völkerkunde berufen. Er führte 1965 bis 1967 weitere Forschungen am Sepik durch und leitete die so genannte Basler Sepik-Expedition von 1972 bis 1974, in deren Rahmen viele seiner Schüler in unterschiedlichen Dörfern am Sepik Feldforschungen zu Fragen der Wirtschaftsführung, der sozialen Organisation und Religion durchführten.
Noch im Jahr 1965 bedauerte Haberland große noch bestehende Quellenlücken in der ethnografischen Dokumentation des Sepik-Gebiets. Ungefähr zwanzig Jahre später konnten die Teilnehmer einer internationalen Konferenz auf eine intensive Forschungstätigkeit in den Kulturen am Sepik zurückblicken. Museumskuratoren, die oft schlecht dokumentierte Sammlungen betreuen müssen, sind über die Publikation immer neuer Forschungsergebnisse dankbar; denn solche Quellen ermöglichen es vielfach, Dokumentationslücken zu schließen. Blieb 1961 während des Sammelns für das Frankfurter Völkerkundemuseum die Dokumentation jedes einzelnen Gegenstandes hinter der großen Menge der gesammelten Objekte und der Organisationsarbeit für Transport und Verschiffung zurück, so können doch heute gerade dank der Baseler Forschungen viele der Objekte in den richtigen kulturellen Kontext gestellt und in ihrer Bedeutung erklärt werden.
Das europäische Museumspublikum nimmt ethnografische Exponate in den allermeisten Fällen als Dokumente einer ihm fremden Kultur wahr, deren Träger im Zuge von Missionierung, Kolonialisierung und Globalisierung ihre frühere Lebensweise und ihre ursprünglichen Glaubensinhalte und damit auch den Bezug zu allen heute nicht mehr hergestellten Kulturgegenständen verloren haben. Der Museumsbesucher sieht in einem Aufhängehaken, einer Maske oder Skulptur entweder ein Werk von künstlerischem Wert oder ein wissenschaftliches Belegstück. Tatsächlich sind während der letzten dreißig Jahre die Initiationsfeiern und andere Rituale bei den Iatmul immer seltener geworden. Jungendliche verlassen ihre Dörfer, um die Schule zu besuchen, viele Menschen zieht es auf der Suche nach Arbeit in die Städte und der Alltag am Sepik verändert sich. Sind also die Sammlungsgegenstände vom Sepik nur noch museale Zeugen einer längst vergangenen Zeit? Am Beispiel bestimmter Kultobjekte lässt sich diese Frage beantworten.
Noch im Jahr 1965 bedauerte Haberland große noch bestehende Quellenlücken in der ethnografischen Dokumentation des Sepik-Gebiets. Ungefähr zwanzig Jahre später konnten die Teilnehmer einer internationalen Konferenz auf eine intensive Forschungstätigkeit in den Kulturen am Sepik zurückblicken. Museumskuratoren, die oft schlecht dokumentierte Sammlungen betreuen müssen, sind über die Publikation immer neuer Forschungsergebnisse dankbar; denn solche Quellen ermöglichen es vielfach, Dokumentationslücken zu schließen. Blieb 1961 während des Sammelns für das Frankfurter Völkerkundemuseum die Dokumentation jedes einzelnen Gegenstandes hinter der großen Menge der gesammelten Objekte und der Organisationsarbeit für Transport und Verschiffung zurück, so können doch heute gerade dank der Baseler Forschungen viele der Objekte in den richtigen kulturellen Kontext gestellt und in ihrer Bedeutung erklärt werden.
Das europäische Museumspublikum nimmt ethnografische Exponate in den allermeisten Fällen als Dokumente einer ihm fremden Kultur wahr, deren Träger im Zuge von Missionierung, Kolonialisierung und Globalisierung ihre frühere Lebensweise und ihre ursprünglichen Glaubensinhalte und damit auch den Bezug zu allen heute nicht mehr hergestellten Kulturgegenständen verloren haben. Der Museumsbesucher sieht in einem Aufhängehaken, einer Maske oder Skulptur entweder ein Werk von künstlerischem Wert oder ein wissenschaftliches Belegstück. Tatsächlich sind während der letzten dreißig Jahre die Initiationsfeiern und andere Rituale bei den Iatmul immer seltener geworden. Jungendliche verlassen ihre Dörfer, um die Schule zu besuchen, viele Menschen zieht es auf der Suche nach Arbeit in die Städte und der Alltag am Sepik verändert sich. Sind also die Sammlungsgegenstände vom Sepik nur noch museale Zeugen einer längst vergangenen Zeit? Am Beispiel bestimmter Kultobjekte lässt sich diese Frage beantworten.
Der Wunsch der Dorfältesten, Näheres über den Verbleib von Pfosten und anderer Zeremonialgegenständen zu erfahren, zeigt, dass diese Stücke für die Iatmul selbst weit mehr sind als bloße Zeitdokumente. Auch wenn Rituale und Zeremonien selten geworden sind und nicht alle verfallenen Männerhäuser wieder aufgebaut werden, transportieren die Gegenstände noch lebendige Inhalte. Man erinnert sich der Namen tragenden Kultobjekte wie Personen, die fort gingen und über deren Befinden in der Fremde man sich nun klar werden möchte. In Papua Neuguinea, wie auch in vielen anderen ehemaligen Kolonialstaaten, besinnen sich heute viele Ethnien auf ihr kulturelles Erbe. Nationalmuseen und ausgebildete einheimische Ethnologen unterstützen ethnische Gruppen wie die Iatmul bei ihrer Spurensuche. Da moderne Kommunikationstechniken den Menschen auch in abgelegenen Regionen wie dem Sepik-Gebiet die Kontaktaufnahme zu westlichen Kulturinstitutionen erleichtern, wird es in Zukunft auch mehr Anfragen wie die der Iatmul-Ältesten nach den Männerhauspfosten geben. Zukunftsorientiertes Arbeiten an ethnologischen Museen bedeutet daher Erforschung und Identifikation der Bestände in Zusammenarbeit mit den Angehörigen der entsprechenden Kulturen. Zwar gilt für viele Sammlungsstücke, dass sie Kolonialisierung und Kulturzerfall ihrer eigenen Herkunftsländern in den europäischen Museumsmagazinen als Objekt überlebt haben, jedoch können sie als Namen tragende, mit Bedeutung gefüllte Gegenstände nur in Beziehung zu den Menschen am Leben erhalten werden. Das erlegt den ethnologischen Museen und ihren Verwaltungsträgern Verantwortung auf. Es genügt nicht Ethnografika einfach nur einzusammeln und aufzubewahren, auch ihre Bedeutungsinhalte und kulturellen Bezüge müssen festgehalten und gepflegt werden.
In den Gegenstände aus Neuguinea manifestieren sich heute zwei im Wandel begriffene Weltbilder: Sie spiegeln nicht nur die kosmologischen Vorstellungen ihrer Herkunftsethnien wider, sondern auch deren aktuelle Bemühungen, über Objekte wie zum Beispiel die Männerhauspfosten kulturelle Traditionen zurück zu gewinnen. Darüber hinaus manifestiert sich in den Sammlungsgegenständen ein Abschnitt kolonialer Entdeckungs- und Forschungsgeschichte Europas sowie das in der heutigen Zeit immer stärker ausgeprägte Bedürfnis unserer Gesellschaft, fremde Kulturen in ihrem Anderssein zu begreifen. So haben sich Inhalt und Bedeutung der Dinge vom Sepik stets mit der wechselnden Beziehung zu ihren menschlichen Besitzern und Betrachtern verändert und erweitert.
Weiterführende Literatur
Hauser-Schäublin, Brigitta (1977): Frauen in Kararau. Basler Beiträge zur Ethnologie 18. Basel
Schindlbeck, Markus (1980): Sago bei den Sawos. Basler Beiträge zur Ethnologie 19. Basel
Stanek, Milan (1987): Die Männerhaus-Versammlung in der Kultur der Iatmul. In: Münzel, Mark (Hg.): Neuguinea, Nutzung und Deutung der Umwelt Bd. 1 u. 2 (Roter Faden zur Ausstellung 12 u.13). Frankfurt: Museum für Völkerkunde. S. 622- 643
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008