“ÜBERALL NUR MÄNNER”

Gesellschaftliche Veränderungen am Mittelsepik, Papua Neuguinea

Von Katja Reuter

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Sagogewinnung am Sepik. Foto: H. Schlenker 1973/74. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

In der Gesellschaft der Iatmul, einer Bevölkerungsgruppe am Mittelsepik, wird die Welt in männliche und weibliche Kategorien unterschieden. So ist auch die Dorfgemeinschaft in zwei soziale Hälften geteilt, in die männliche "Himmels-Hälfte" und die weibliche "Erd-Hälfte". Diesen wiederum sind verschiedene Klane zugeordnet. In dem dualen System Männlich – Weiblich, Zentrum (innerhalb des Männerhauses) – Peripherie (außerhalb des Männerhauses), Sperma – Blut, Vater – Mutter, Himmel – Erde spiegelt sich die sinnstiftende Ordnung der Iatmul wider. Männliches und weibliches Prinzip zusammen bilden eine Einheit. Stets enthält der männliche einen weiblichen Teil und der weibliche einen männlichen Teil. Das Männerhaus ist nach dem Namen einer Ahnfrau benannt und sein First wird von einer weiblichen Figur getragen.

Die zugrundeliegende Ordnung
Die Trennung zwischen “Männlich” und “Weiblich” zeigt sich im täglichen Leben vor allem in der Arbeitsteilung. Die Frau ist für die Ernährung ihrer Familie verantwortlich. Von Ihrer nahrungsspendenden Kraft wird in einer Mythe erzählt, in der die Ahnfrau Kapmakwatembe ihre Tochter mit Nahrungsmitteln versorgt. Die Ahnfrau erscheint als Wald, der auf den See hinausfährt, um dort die Tochter zu treffen und ihr Kokosnüsse, Betelfrüchte, Sagomehl, Eier von Krontauben und Kasuaren (große Laufvögel) auszuhändigen. Der Ehemann der Tochter fragt sich, woher die Nahrung stammt und möchte seine Frau begleiten. Obwohl sie es ihm verbietet, fährt er eines Tages heimlich auf den See hinaus und beobachtet dort die Transaktion. Er wird von Kapmakwatembe entdeckt und geht unter. Auch die Ahnfrau versinkt im Wasser: Sie hat sich in den See verwandelt. Alle Seen in der Dorfumgebung sind Frauen und auch das Dorf selbst ist eine Frau.

Der Ethnologe Milan Stanek zitiert in seinem Buch Geschichten der Kopfjäger den Iatmul Nagwan, der über die Frauen sagt: „Das Leben im Dorf, wie in den Seen und Wäldern geschieht durch die Kraft der Frauen, die Frau ist etwas außerordentlich Wichtiges! So besagt es unsere Mythologie”.

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Ein Initiant. Foto: H. Schlenker 1973/74. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Über 80 Prozent des Lebensmittelbedarfs deckt die Frau mit Fischfang und der Gewinnung von Sago ab. Frauen, die in den Dörfern am Fluss leben, betreiben vor allem Fischfang und jene, die weiter landeinwärts leben haben sich auf die Herstellung von Sagomehl spezialisiert. Ihre Produkte Sago, Fisch und selbst hergestellte Gebrauchskeramik (tönernen Vorratstöpfe, Herdschalen und Kochgeschirr) tauschen sie auf eigenen Märkten, die zwischen den verschiedenen Dörfern liegen. Der Markt liegt exklusiv in Frauenhand und es besteht eine feste Sitzordnung, die von den Müttern an die Töchter weitergegeben wird.

Da die Frau für die Ernährung der Familie verantwortlich ist, teilt sie auch dem Ehemann seine Nahrung zu. So kann sie nach einem Streit mit ihrem Mann - zum Beispiel darüber, dass er ihr Boot nicht repariert – seine Tasche, in die sie sonst täglich frische Sagofladen legt, leer lassen. Aber ohne den Mann hat die Frau kein Boot und kein funktionstüchtiges Haus. Mann und Frau sind gleichberechtigte Partner, wobei die Frauen bei der Partnerwahl eine aktivere Rolle einnehmen. Sie ergreifen die Initiative zur Anbahnunung einer Beziehung. Die Männer dagegen versuchen durch stolzes Auftreten oder besonderes tänzerisches Können, die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zu ziehen.

Männer haben die religiöse und politische Führung im Dorf inne und fällen gemeinsam Entscheidungen im Männerhaus. Hier haben Frauen keinen Zutritt. Auch im Männerhaus besteht eine feste Sitzordnung, die vom Vater an den Sohn vererbt wird. Die Männer sind Jäger und Handwerker. Besonders auffallend ist die Qualität und Quantität ihrer künstlerischen Arbeiten. Vom Alltagsgerät bis zum Ritualgegenstand wird nahezu alles figürlich und ornamental gestaltet. In den Schnitzwerken und Malereien spiegelt sich das kosmische Weltbild der Menschen wider.

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Topfmarkt. Foto: G.und M. Schuster 1966/73. Sammlung Weltkulturen Museum , Frankfurt am Main

Das Wissen der älteren Männer über Klanmythen und Genealogien, die Geschichten der Ahnen, aber auch ihr Wissen über die Orte der Wanderung des Klans und über das klaneigene Wirtschaftsgebiet wird während der Initiation an die Jüngeren weitergegeben. In diesem Ritual vollziehen die Jungen den Schritt der Loslösung von der Mutter, vom mütterlichen Blut, dem weiblichen Prinzip. Symbolisch der realen Welt entzogen “stirbt” der Junge, wächst während der Zeit des Rituals heran der Initiation heran und wird wiedergeboren in die soziale Welt der Männer (Einführung in die männliche Sexualität).

Die Durchführung von Zeremonien mit Tänzen und Musik, die rituelle Kopfjagd und die Kriegsführung zählten schon immer zu den Aufgaben der Männer. Jedoch wurden die Iatmul und andere Gesellschaften am Mittelsepik in den 1920er-Jahren von der australischen Verwaltung unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, die Kopfjagd aufzugeben. Alle dazugehörenden Rituale verblassten zunehmend. Die Initiationen der Jungen dagegen erfuhren in den 1970er-Jahren anlässslich des Aufbruchs von Papua Neuguinea in die politische Unabhängigkeit eine kulturelle Wiederbelebung.

Wandel und Migration
Seit den 1920er-Jahren befinden sich die Dörfer am Sepik in einer Situation des massiven Umbruchs. Viele Jüngere wandern auf der Suche nach bezahlter Arbeit in die Küstenstädte ab. Die Gemeinschaft, die früher durch eine Vielzahl gut vernetzter Mitglieder Sicherheit und Stärke vermittelte, wird dadurch geschwächt.

Die Menschen im Dorf können nur kleine Erträge aus dem Verkauf ihrer landwirtschaftlichen Produkte erzielen und sind auch auf den Verkauf von Kunstobjekten angewiesen. Während die Arbeitsteilung im Dorf weiter bestehen bleibt, erfährt sie in den Städten eine grundlegende Veränderung. 1990 lebte die Hälfte der Sepik-Bevölkerung in städtischen Siedlungen. Die Ethnologin Florence Weiss schreibt über die Städte: „… alle haben Arbeit, niemand hungert und die meisten Kinder gehen in die Schule … man genießt die Möglichkeiten, welche die Stadt bietet: gute Schulen und Kliniken, Kinos, die Möglichkeit, Geld zu verdienen und auszugehen.“ Aber enge Kontakte zu den Familien in den Heimatdörfern werden weiterhin aufrechterhalten. Es wird untereinander geheiratet, die Jungen kehren zur Initiation ins Dorf zurück, Geld zur Versorgung der Alten wird gezahlt und man leistet Vorauszahlungen für die eigene Alterszeit.

In der Stadt wird der Mann zum „Ernährer“ der Familie. Er geht im Idealfall einer bezahlten Arbeit nach oder er schnitzt Souvenirs für den Verkauf an Touristen. Die Frau nimmt zunehmend die Rolle der „Hausfrau“ ein und ist vom Einkommen des Ehemanns abhängig. Nicht selten gibt er am Zahltag sein Gehalt für Feiern und Alkohol aus, sodass nur wenig Geld für die Ernährung der Familie übrig bleibt. Die Frau verliert in der Stadt meist ihre autonome Stellung und nicht selten erleidet sie dadurch psychische Störungen. Eine gute partnerschaftliche Beziehung und wirtschaftliche Allianz ist daher fundamental zum Überleben. So verwalten heute viele Iatmul-Frauen das Geld ihrer Familie und tragen durch den Verkauf von Produkten aus ihren Gärten, selbst gemachtem Schmuck und Netztaschen zum Unterhalt bei. Für die Frauen kommt in der Stadt noch eine neue Aufgabe hinzu: Die Förderung ihrer schulpflichtigen Kinder.

Probleme, mit denen sich Papua Neuguinea heute auseinandersetzen muss sind Arbeitslosigkeit, Gewalttaten, Alkoholismus, AIDS und Prostitution. In diesem Zusammenhang ist es gerade für Frauen schwierig ein Studium abzuschließen und Karriere zu machen, denn sogar die Universität Papua Neuguinea (UPNG) in der Hauptstadt Port Moresby ist bekannt dafür, dass Studentinnen dort sexuelle Gewalt und Erniedrigungen erfahren. Die sinnstiftende Ordnung der Welt, die auf einem dualen System beruht, erfährt eine Krise. Die Lebensrealität der Menschen hat sich verändert. Susan, eine studierte Papua Neuguineanerin formuliert es folgendermaßen: „Heute sind es die Männer, die in den Dörfern Produkte anbauen, die auf dem Weltmarkt verkauft werden: Kaffee, Kakao, Kopra. Wem gibt man Kredite, um ein Unternehmen aufzubauen? Den Männern. Die Frauen ernähren wie früher ihre Familien, doch da diese Arbeit unbezahlt ist, scheint sie weniger wertvoll zu sein. Wer bestimmt die Politik des Landes? Überall nur Männer.“ schreibt Florence Weiss.

Der Beitrag ist ein abgewandelter Text aus dem Begleitbuch zur Ausstellung: “Reisen und Entdecken. Vom Sepik an den Main”



Weiterführende Literatur
Amnesty International (2006): Papua New Guinea. Violence Against Women: Not Inevitable, Never Acceptable. AI Index: ASA 34/002/2006
Hauser-Schäublin, Brigitta (1977): Frauen in Kararau. Zur Rolle der Frau bei den Iatmul am Mittelsepik, Papua New Guinea. Basler Beiträge zur Ethnologie Band 18. Basel
Schindlbeck, Markus (1980): Sago bei den Sawos. Mittelsepik, Papua New Guinea. Untersuchungen über die Bedeutung von Sago in Wirtschaft, Sozialordnung und Religion. Basler Beiträge zur Ethnologie Band 19. Basel
Stanek, Milan (1982): Geschichten der Kopfjäger. Mythos und Kultur der Iatmul auf Papua-Neuguinea. Köln
Weiss, Florence (2001): Vor dem Vulkanausbruch. Meine Freundinnen in Rabaul. Frankfurt am Main

Zur Autorin
Katja Reuter, M.A., Ethnologin.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008