Von Eveline Dürr
Neuseeland rühmt sich, atomfrei und authentisch zu sein - eben „rein“ und „natürlich“ im Gegensatz zu „verstädtert“, „zementiert“ und „schmutzig“. Nationale Identität und Repräsentation basieren wesentlich auf der majestätischen Landschaft und einzigartigen Flora und Fauna. Die Tourismusindustrie profitiert erheblich von diesem „grünen“ Image, das mit Slogans wie „100 % pure“ entsprechend gepflegt wird (Bell/Lyall 2002). Selbst die Einwohner der Inseln scheinen irgendwie anders zu sein als im verschmutzten und hektischen Rest der Welt: Ihre Lebensart gilt als entspannt, „natürlich“ und vom „outdoor“ geprägt - ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Neuseeländer in Städten leben.
Diese stereotypen Bilder bringen gerade im Zeitalter der Globalisierung und Kommerzialisierung einen besonderen Effekt zum Tragen. Der insulare Charakter, die vermeintliche Isolation durch die geographische Lage am „Ende der Welt“, die lange Zeit mit unbedeutend und vernachlässigbar gleichgesetzt wurde, verkehrt sich nun ins Idyllische. Neuseeland, exotisiert durch Maori-Repräsentationen, definiert sich als europäisches Kleinod im südlichen Pazifik, das gerade durch seine Abgeschiedenheit einen besonderen Reiz ausübt. Die als „unberührt“, „rein“ und „sauber“ geltende Peripherie und nicht die reizüberfluteten und verschmutzen Zentren werden stolz zum einzigartigen Erlebnis und zur Besonderheit stilisiert. Dieses statische Selbstbild und romantisierte internationale Image steht sozialem Wandel skeptisch gegenüber und ist auf Bewahrung ausgerichtet. Durch die wachsende Migration, insbesondere aus dem asiatischen Raum, wird diese Eigenwahrnehmung bedroht. Vornehmlich in Städten verändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung rapide und stellt essentialisierte nationale und kulturelle Identitäten infrage.
Diese demographische Entwicklung ist durchaus im Interesse der neuseeländischen Einwanderungspolitik. Der Staat erleichterte die Zuwanderung seit Ende der 1980er-Jahre, da das wirtschaftlich boomende Neuseeland eine relative niedrige Geburtentenrate, eine alternde Bevölkerung und zu wenig Fachkräfte besitzt. Entsprechend den jeweiligen Herkunftsländern sind verschiedene Migrationsmuster zu unterscheiden. Während bei Einwanderern, die dauerhaft in Neuseeland leben wollen, immer noch die deutliche Mehrzahl aus Großbritannien stammt (30 %) und nur ca. 10 % aus China kommen, verhält es sich bei Migranten, die nur einen kürzeren Aufenthalt zur Ausbildung anstreben, gerade umgekehrt. Beispielweise kommt die große Mehrzahl der internationalen Studierenden aus China (44 %), gefolgt von Südkorea mit 15 % und Japan mit 6 %. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird zwischen den verschiedenen asiatischen Einwanderern kaum unterschieden, und sie werden ungeachtet ihrer Herkunft aus Ost-, Südost- oder Südasien unter dem Sammelbegriff „Asians“ subsumiert. Neben dieser Ausbildungsmigration erfolgte auch ökonomisch eine stärkere Öffnung in Richtung Asien. Während 1970 noch 17 % der Exporte nach Asien gingen, waren es 2005 bereits 40 %. Diese veränderten Bedingungen haben weitreichende Auswirkungen auf das Selbstbild und Fremdbild sowie auf das soziale Gefüge Neuseelands.
Auckland ist mit 1,3 Millionen Einwohnern die größte und wohl auch bekannteste Metropole des Landes. Das Herz der Stadt ist der so genannte Central Business District, wo sich neben Banken, Boutiquen, Geschäften und Restaurants auch die Hochschulen befinden. Dieser Bezirk ist ausgesprochen multikulturell und verleiht der Stadt eine weltoffene Note. Auffallend im Stadtbild ist hier der besonders hohe Anteil asiatischer Migranten, insbesondere aus China und Korea, die sich vorrangig aus Studierenden rekrutieren. Der Bildungssektor ist auch in Neuseeland zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Im Jahr 2002 waren insgesamt ca. 20.000 internationale Studierende eingeschrieben, die die verschiedenen Angebote in diesem Stadtteil nutzen und in ihrer Freizeit die zahlreichen Kinos und Kneipen aufsuchen. Da hier überproportional viele asiatische Studierende vertreten sind, entsteht der Eindruck, der Anteil der asiatischen Bevölkerung könnte den der europäischstämmigen bald übersteigen.
Die Hauptachse des Stadtteils ist die so genannte Queenstreet, auf der täglich ca. 50.000 Fußgänger unterwegs sind. Gerade hier wird auf Sauberkeit besonders großen Wert gelegt. Dies zeigt sich darin, dass zehn Personen mit der täglichen Straßenreinigung beauftragt sind, die Mülleimer dreimal pro Tag leeren und die Straße fünfmal pro Woche mit Wasser abspritzen. Dennoch beklagen sich die Anwohner und Geschäftsinhaber über die zunehmende, als unerträglich empfundene Verschmutzung. Als Grund hierfür wird übermäßig häufig die Präsenz der asiatischen Migranten genannt. Insbesondere das Spucken auf der Straße, das als äußerst unästhetisch und ekelhaft empfunden wird, bestärkt das Bild der asiatischen Studierenden als Verschmutzer der Stadt.
Obwohl die Presse weitgehend positiv auf die politisch gewollte Migration reagiert und die Vorteile der Zuwanderung betont, zeigen Umfragen, dass in der einheimischen Bevölkerung dennoch Bedenken existieren, wie etwa Angst vor Billiglohn, Anstieg der Mieten und Häuserpreise, Überbevölkerung, zunehmende Kriminalität und ethnische Konflikte (NZ Herald, 7.9.2005). Auch in diesem Zusammenhang wird angeprangert, dass die asiatischen Bevölkerungsteile sehr unreinlich seien. Aus Müllresten wie Essstäbchen, asiatischen Speiseresten und unzähligen Reispaketen gehe eindeutig hervor, dass sie für die wachsenden Müllberge verantwortlich zu machen sind und damit das nationale und internationale Image von Neuseeland als „rein“ und „sauber“ beeinträchtigt werde.
Der Diskurs über die als schmutzig titulierten asiatischen Migranten hat in Auckland zu verblüffenden Reaktionen geführt. So gründete sich unter der Leitung eines koreanischen Studenten eine asiatische Studierendeninitiative, die es sich zur Aufgabe machte, dem negativen Image und der Stereotypisierung der unsauberen Asiaten mit Tatkraft entgegenzutreten. Sie trafen sich in ihrer Freizeit auf der Queenstreet, um dort Müll aufzulesen. Damit wollten sie ein Exempel statuieren und in der städtischen Öffentlichkeit demonstrieren, dass Asiaten keinesfalls schmutzig, sondern ganz im Gegenteil sehr reinlich sind - und sicherlich nicht nur an der Reinhaltung der städtischen Umwelt Interesse zeigen, sondern auch an der Pflege ihres Images. Auch wenn soziale Aspekte wie gemeinsame Treffs und Unternehmungen für die Teilnahme der asiatischen Studierenden vielleicht sogar vorrangig waren, zeigt sich dennoch, dass die pejorativen öffentlichen Diskurse sie nicht unbeeindruckt ließen. Ihre Initiative erregte durchaus öffentliches Interesse und wurde in der Tageszeitung wohlwollend kommentiert (NZ Herald, 16.8.2004).
Bezeichnenderweise zeigte sich im Laufe der Feldforschung, dass die Studierenden im Gegenzug die Neuseeländer verdächtigen, nicht wirklich sauber zu sein, zumindest nicht vergleichbar mit den Stadtbewohnern in ihren Herkunftsländern. Auch innerhalb der verschiedenen asiatischen Länder existieren nach ihrer Ansicht deutliche Abstufungen in punkto Sauberkeit. Eine japanische Studentin erklärte mir, dass die Chinesen wesentlich schmutziger seien als die Japaner, was sie wiederum mit deren „Kultur“ begründete. Dies wertete sie als Indiz dafür, dass die japanische Kultur zivilisierter und disziplinierter sei als die chinesische. Es sei ein kulturelles japanisches Merkmal, Schmutz sofort zu beseitigen, um Ordnung und Gleichgewicht herzustellen. Sie habe nun einen koreanischen Boyfriend, der allerdings, wie sie mehrfach betonte, ebenfalls sehr sauber und reinlich sei. Die Begriffe sauber und schmutzig dienen in diesem Zusammenhang dazu, kulturelle Grenzen zu markieren und sich selbst im Kontext der interkulturellen Beziehungen zu positionieren.
Während innerhalb dieser internationalen asiatischen Studentengruppe Sauberkeit als Zeichen für zivilisiert, gebildet, und implizit auch als überlegen gewertet und mit „kultureller Unterschiedlichkeit“ begründet wird, steht im neuseeländischen Kontext die nationale Identität und soziale Ordnung im Vordergrund. Durch die Zuwanderung aus dem asiatischen Raum verändert sich die Gesellschaftszusammensetzung des Landes und stellt die bisherigen Selbstdefinitionen und Kategorien der bikulturellen, aber überwiegend europäischen Gesellschaft im Südpazifik infrage.
Mit den Methoden der ethnographischen Feldforschung ist es möglich, die spezifischen sozialen Bedeutungen von sauber, rein und schmutzig zu erschließen und ihre Wechselbeziehung mit dem Gesamtsystem der städtischen Gemeinschaft aufzudecken. Mary Douglas (1984) beispielsweise veranschaulichte mit ihren Arbeiten, dass sich „Reinheit“ weniger auf Hygiene als vielmehr auf die Konstruktion und Aufrechterhaltung verschiedener Aspekte der sozialen Struktur bezieht. Als „Schmutz“ wird Störendes, Fremdes, Nicht-Integrierbares empfunden, das eine spezifische soziale Ordnung zu bedrohen scheint. In Auckland verdichtet sich das Konzept der „symbolischen Verschmutzung“, indem eine diskursive Verbindung zwischen Verschmutzung und asiatischer Migration hergestellt wird - eine Konnotation, der implizit die empfundene Verunreinigung des neuseeländischen Selbstbildes zugrunde liegt. Die Reaktion der Studierenden zeigt auch die Macht dieser Diskurssysteme, die handlungsleitend wirken und Anlass zur Reflexion über die eigene Position bieten.
Bell, Claudia and John Lyall (2002): The Accelerated Sublime. Landscape, Tourism, and Identity. Westport, Conn.: Praeger
Bell, Claudia (ed.) (2002): Sociology of Everyday Life in New Zealand. Palmerston North: Dunmore Press
Docker, John and Gerhard Fischer (eds.) (2000): Race, Colour and Identity in Australia and New Zealand. Sydney: University of New South Wales Press
Douglas, Mary (1984): Purity and Danger. An Analysis of the Concepts of Pollution and Taboo. London: Routledge (1st ed. 1966)
Spoonley, Paul, Cluny Macpherson and David Pearson (eds.) (2004): Tangata Tangata: The Changing Ethnic Contours of New Zealand. Southbank, Vic.: Thomson/Dunmore Press
Dr. Eveline Dürr ist Assoc. Professor an der School of Social Sciences der University of Technology in Auckland, Neuseeland. Sie hat Feldforschungen in Lateinamerika, in den USA, Deutschland und Neuseeland durchgeführt.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008