Unser Schwerpunktthema Lokales in der globalisierten Welt beschäftigt sich mit Wandlungsprozessen lokaler Identität. "Wie wird globale Realität auf der Alltagsebene unter lokalen Voraussetzungen gelebt?" haben wir uns gefragt. Globalisierung hat viele Facetten, und meist sind es die negativen Aspekte (Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, Umweltzerstörung oder Klimawandel), die uns zuerst in den Sinn kommen. In diesem Schwerpunkt aber geht es um das Eigene/das Lokale im Gegenüber des Anderen/des Globalen.
Wissen über andere Lebensweisen und Lebensvorstellungen dringt über die Medien, aber auch über persönliches Erleben in der Migration oder durch Reisen und Tourismus und auch durch weltweite Kommunikation in jeden Winkel der Welt vor. "Globales Wissen" und "lokale Identitäten" treffen so aufeinander. In den Wirtschaftszentren der Welt verdientes Geld, Technologien, Weltanschauungen und Komsumartikel mischen sich in die Gestaltung des Alltagslebens vor Ort. In der lokalen Verarbeitung dieser Dinge und Ideen werden oftmals lokale Traditionen wiederentdeckt und belebt. Sie bekommen im globalen Zusammenhang einen neuen Sinn und neuen Wert. In der Neuinterpretation "alter" Traditionen wandeln sich auch diese. Aus oftmals musealen Artefakten werden vitale Bedeutungsträger in der Gestaltung der Alltagswelt. Sie schaffen Identität und lokale Verbundenheit.
Volker Beer zeigt, wie indianische Homosexuelle beiderlei Geschlechts über die Identifikation mit einer traditionell-indianischen "dritten Geschlechtsrolle" Zugang zur modernen Gay-Liberation-Bewegung finden und damit zugleich eine indianische Tradition wiederbeleben. Ulrike Krasberg beschreibt wie auf der griechischen Insel Lesbos durch Tourismus und Migration ein für die Insel als typisch erachteter traditioneller Baustil von Häusern und Dörfern (wieder)-entdeckt wird. Im Beitrag von Bettina E. Schmidt geht es um lokale traditionelle Feste in Ecuador, die heute vor allem dazu dienen, die Zusammengehörigkeit von Migranten in den USA und zurückgebliebenen Dorfbewohnern rituell zu festigen. Lioba Rossbach de Olmos berichtet, wie in der afrokubanischen Santería-Religion, die mittlerweile auch von Anhängern in Deutschland praktiziert wird, die für die Durchführung der Rituale notwendigen Pflanzen nun auch in Deutschland gesucht werden. Dabei gilt es für die Priester herauszufinden, welche Pflanzen anstelle der ursprünglich kubanischen genommen werden können. Florian Mühlfried schließlich beschreibt das georgische Bankett als einen traditionellen Brauch, der sich großer Beliebheit im Land erfreut und heute für nationale Identität steht im Gegenüber globaler Prozesse.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008