Von Achim Sibeth
Der menschenverachtende Bombenanschlag in Kuta vom 12. Oktober 2002, dem über 200 Touristen und Einheimische zum Opfer gefallen sind, hat für die Insel Bali und die Balinesen verheerende ökonomische und soziale Auswirkungen. Lange Jahrzehnte als das „Tropenparadies“ bekannt und von Generationen von Touristen aus allen Weltregionen geschätzt und beliebt, hatte sich Bali zu einem pulsierenden und wirtschaftlich florierenden Tourismus-Zentrum in Indonesien entwickelt. Jährlich 1,5 bis 2,5 Millionen Besucher brachten viele Millionen Dollar auf die Insel, die Bali zum wichtigsten Zentrum des indonesischen Fremdenverkehrs machten. Während in den 1970er-Jahren noch kleine, einfach ausgestattete Familienunterkünfte für Rucksacktouristen das Erscheinungsbild von Kuta und Legian prägten, beherrschen heute große internationale Hotelketten und lokale Hotels mit hohen Qualitätsstandards sowie eine Unmasse von Restaurants, Bars, Diskotheken und Geschäften die Szene. Kuta und Legian haben sich zu einem „Urlaubsparadies“ im Stile von Mallorca, Rimini oder der Côte d'Azur entwickelt.
Neben allen negativen Aspekten, die der Massentourismus weltweit und eben auch auf Bali mit sich bringt, sind jedoch die vielen Touristen als Devisenbringer für die indonesische Wirtschaft von fundamentaler Bedeutung. Auf Bali entstand durch die gestiegene touristische Nachfrage nach Souvenirs eine breite "Schicht" von Künstlern (unter anderen Kunsthandwerker, Holzschnitzer und Maler). In manchen Orten leben in fast jedem Haus oder Gehöft ein oder mehrere Künstler, die ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer Produkte an Urlauber verdienen.
Völlig anders ist jedoch die Situation heute nach dem sinnlosen Mord an überwiegend jungen Touristen. Bereits nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 brach der Tourismus auf Bali stark ein. Die großen Hotels sind bereits seit damals deutlich unterbelegt, und viele Geschäfte mussten wegen des Ausbleibens der Touristen schließen und Angestellte entlassen. Diese Situation hat sich nun noch weiter verschärft. Derzeit spricht man von einem Rückgang der Übernachtungszahlen um 70 Prozent. Dieser massive Einbruch hat auch erhebliche Auswirkungen auf die KünstlerInnen Balis, die ihre Werke entweder direkt an Sammler oder über Galerien und Auktionen verkaufen. In Jakarta und Singapur finden jedes Jahr mehrere Versteigerungen statt, in denen auch Werke junger indonesischer KünstlerInnen bei steigenden Preisen angeboten werden. Diese Entwicklung hatte Mitte der 1990er-Jahre einen Höhepunkt, erfuhr dann jedoch wegen der politischen Wirren, die nach der Ablösung des Diktators Soeharto das Land erschütterten, einen ersten massiven Rückschlag, dem weitere Einbrüche durch die damals ausgelöste Wirtschaftskrise und den Anschlag auf das World Trade Center folgten. Die Preise auf dem Kunstmarkt verfielen, auch hochwertige Kunstwerke von in Indonesien anerkannten Künstlern fanden keine Abnehmer mehr. Und die indonesische Mittelschicht, die gerade anfing, sich ökonomisch zu festigen, und als gelegentliche Sammler indonesischer Kunst für die Künstler zunehmend an Wichtigkeit gewann, wurde durch die Wirtschaftskrise um viele Jahre zurückgeworfen.
Derzeit werden die Werke der jungen akademisch gebildeten KünstlerInnen überwiegend von Nicht-Indonesiern erworben, auch wenn der Anteil indonesischer Käufer leicht gestiegen war, wie der Künstler I Made Supena berichtete. Dass es vor allem westliche Käufer sind, hängt zum einen mit dem verfügbaren Geld, zum anderen aber auch mit dem Stellenwert der Kunst im täglichen Leben zusammen. Für durchschnittlich verdienende Indonesier ist der Erwerb eines Kunstwerkes zurzeit kein vordringliches Ziel. Bei extremer Arbeitslosigkeit, hohen Inflationsraten und massiver Geldentwertung ist Kunst ein Luxus, den sich nur die westlich orientierten Reichen Indonesiens leisten können. KünstlerInnen hatten es in Indonesien immer schon schwer, ihre Werke zu verkaufen. Dies hat sich nun nach dem Bombenanschlag nochmals verschärft.
So haben sich Künstlergruppen, wie zum Beispiel die Gruppe Galang Kangin, dazu entschlossen, die Eröffnung ihrer seit langem geplanten Ausstellung in Surakarta vom 18.11.02 auf den 7.4.03 zu verschieben (Surakarta ist die Heimat von Abu Bakar Ba’asyir, der offensichtlich die Verantwortung für den Bombenanschlag trägt). Die Herbstausstellung der Soelie-Gallery in Denpasar wurde abgesagt mit der Begründung: „Wozu der Aufwand, es sind ja doch keine Touristen da.“ Die Ausstellung mit Werken der jungen Künstlerin Ni Made Trisnawati („Seni dan Gerakan – Art and Motion“ vom Herbst 2002) fand zwar statt, erzielte jedoch keine Umsätze. Und auch die „Grand Opening“ der Santrian Gallery – für den Dezember 2002 geplant - wurde für unbestimmte Zeit verschoben. Daneben aber entwickelten sich Aktivitäten, die einen direkten Bezug zum Bombenanschlag herstellten. So wurde in der Komaneka Gallery im Künstlerort Ubud eine Foto-Ausstellung mit dem Titel „Nach der Explosion“ gezeigt. Dort sollten auch eine Cartoon-Ausstellung und ein großes „Festival des Friedens und der Einheit“ folgen. Letzteres fand am 9.11.02 statt und bot neben einer großen Prozession auch Auftritte von Musikgruppen. Am Abend wurden die zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen bei der Katastrophe ausgezeichnet. Mit Dichterlesungen, Musik und Tanzaufführungen endete der Abend.
Viele KünstlerInnen wurden durch den Terroranschlag ihrer Kreativität beraubt und konnten in den ersten Monaten nach dem Anschlag nicht malen – das ist der Tenor der mir vorliegenden Aussagen. Als gläubige Hindus nahmen sie an den zahlreichen rituellen „Reinigungszeremonien“ teil, die überall in Bali stattfanden und viel Zeit sowie Hunderte Millionen Rupiah verschlangen. Die vermehrten Ausgaben bei gleichzeitigem Ausbleiben von Einnahmen verstärkten natürlich den wirtschaftlichen Druck nicht nur auf die Künstlerfamilien. Da Galerien und Art Shops unnötige Kosten vermeiden wollen und deswegen zur Zeit nur wenige Ausstellungen veranstalten, hat sich die „Künstlerszene" momentan auf ihr Privatleben zurückgezogen und wartet auf bessere Zeiten. Die Stimmung unter den mir bekannten KünstlerInnen ist mit den Worten „Ratlosigkeit“ und „Hilflosigkeit“ zu beschreiben.
Ein weiterer Rückschlag war jüngst der nicht nur für Indonesier völkerrechtswidrige Krieg gegen den Irak und das Umsichgreifen der Lungenkrankheit SARS, die beide zu zahlreichen Reisestornierungen geführt haben. Damit wurde die indonesische Tourismusindustrie erneut ins Mark getroffen. Dass ausgerechnet ihre Insel, die "Insel der Götter", die "Paradies-Insel" Ziel eines terroristischen Anschlags wurde, führen Balinesen auf dosa , auf frühere Schuld, zurück. Die Vergehen in der Vergangenheit gegen die Natur (zum Beispiel die Abholzung der Wälder in Jembrana oder die Vernichtung der Mangrovenwälder), aber auch Vergehen gegen die Mitmenschen können verantwortlich sein; doch wer weiß das schon genau. Es ist eine Zeit der Selbstbesinnung und Nachdenklichkeit angesagt. Ziel jedenfalls ist jetzt erst mal, das gestörte kosmische Gleichgewicht zwischen den Mächten, zwischen Gut und Böse wieder herzustellen. Zeitgleich wächst die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr der Touristen, damit Bali nicht in Arbeitslosigkeit, Armut und Agonie versinkt.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008