INDIANER-TOURISMUS IN NORDAMERIKA

Chance und Gefahr

Von Markus H. Lindner

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Führungen durch Reservationen (hier: Standing Rock Reservation) vermitteln selbst die eigene Kultur und Geschichte. Foto: M. Lindner, 2002

Ethno-Tourismus - in Nordamerika könnte man von Indianer-Tourismus sprechen - ist ein beliebtes Untersuchungsfeld der Ethnologie. Dabei wird in der Regel die Reise zu „exotischen“ Ethnien verstanden. Indianerreservationen als wenig romantischer Teil Nordamerikas scheinen zwar nicht so recht in dieses Schema zu passen, trotzdem werden sie als Reiseziele immer wichtiger. Die Untersuchung des Reservationstourismus oder „Indianer-Tourismus“ ist für Ethnologen aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen besteht Tourismus in der Regel aus interkultureller Kommunikation und gegenseitiger Beeinflussung, zum anderen können die Besuchten davon ökonomisch profitieren. Äußere Beeinflussungen der Kultur und ökonomische Interessen stehen dabei in einem Spannungsfeld. Um dies aufzulösen müssen stammesinterne Diskussionen geführt werden, die aber nicht immer zum Erfolg führen, da äußere Einflüsse auf die Situation einwirken. Im Folgenden sollen ein kurzer Blick auf das Thema geworfen und die wichtigsten Aspekte diskutiert werden.

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„Exhibit at the Railroad Station, mid-30’s.“ Kulturelle Darbietungen an Eisenbahnstation. Foto: Oscar Huettner, Klein Museum # 327 (Mobrigde, SD, um 1935)

Historische Aspekte
Die historische Entwicklung des Indianer-Tourismus – im Sinne von Freizeittourismus – hing eng mit der voranschreitenden Besiedlung Nordamerikas und dem Bau der transkontinentalen Eisenbahnen zusammen. Dabei waren die indigenen Kulturen, denen die Reisenden begegneten, zunächst nur Beiwerk zu außergewöhnlichen Landschaften, wie den Niagarafällen, die das eigentliche Ziel darstellte. Während in den 1860er- und 1870er-Jahren durch die Indianerkriege und verwahrloste Indianer, die an den Eisenbahnstrecken zu sehen waren, das Bild des „edlen Wilden“ verdrängt worden war, führte wenige Jahre die Entdeckung der amerikanischen wilderness zu einer Neuentdeckung indigener Kulturen, die nun als schützenswert angesehen wurden.

Ebenso wie die Eisenbahnlinien warb auch die Eisenbahntochtergesellschaft „Fred Harvey Company“ mit Indianern und bot ab den 1920er-Jahren geführte Ausflüge zu Pueblos oder anderen Orten an. Schon zwanzig Jahre früher wurden Tanzgruppen zur Unterhaltung der Reisenden engagiert und Souvenirläden eingerichtet. Durch Gemälde angelockt, die ab 1898 in den Künstlerkolonien von Taos und Santa Fe, New Mexico entstanden, wurde vor allem der Südwesten der USA zu einem beliebten Reiseziel.

Tourismus und Kunsthandwerk
Mit den Touristen kam das Interesse an Souvenirs. So wie beispielsweise die Huron of Lorette und die Micmac schon ab etwa 1800 begonnen hatten, ihr Kunsthandwerk dem Geschmack der Käufer(innen) anzupassen, geschah dies auch im Südwesten. So stellten die Navajo ab dem späten 19.Jahrhundert Teppiche statt Decken her und färbten diese mit chemischen Farben.

Diese von außen kommende Beeinflussung des Kunsthandwerks spielt auch heute noch eine große Rolle, wenn sie auch manchmal genau gegenteilig ausgerichtet ist. Da die Käufer heute authentisches Kunsthandwerk verlangen, werden oft gerade Innovationen verhindert. So dürfen beispielsweise seit den 1980er-Jahren untern den Arkaden des Museum of New Mexico in Santa Fe keine Töpferwaren mehr verkauft werden, die mit einer Drehscheibe hergestellt wurden, oder die neue Designs zeigen.

Ähnlich beeinflusst werden auch Tänze und andere Kulturelemente. Viele Besucher unterscheiden nicht zwischen religiösen und sozialen Veranstaltungen oder sehen Zeremonien und Powwows einfach als Unterhaltungsprogramm an. Dabei verhalten sich die Touristen oft ignorant und sind uninformiert. Sie entnehmen alles seinem Kontext und sehen nur das, was sie sehen wollen.

Museen und Kulturzentren
In anderen Fällen zeigt sich, dass der Tourismus und das Verlangen nach Authentizität auch eine positive Seite für die Gastgeber haben können. So trägt das Mashantucket Pequot Museum und Research Center in Conneticut, das durch das Kasino des Stammes finanziert wurde, wesentlich zum Nachweis historischer Kontinuität bei, während das Makah Cultural and Research Center ein Lernort für Kunsthandwerk und Sprache ist. Andere Einrichtungen wie die „Indian Bowl“ der Lac du Flambeau Chippewa in Wisconsin, tragen zum Erhalt von Tänzen und materieller Kultur bei.

Die westliche Institution des Museums ist seit den 1960er-Jahren auf Reservationen aufgegriffen worden. Sie sind oft gleichzeitig Kulturzentren und bilden und informieren sowohl die eigene indigene Bevölkerung als auch Touristen. Dabei bilden sie ein Art Kontaktzonen, in der Besucher ungestört der fremden Kultur gegenübertreten können Dass dies von Bedeutung ist, zeigt sich im Südwesten, wo nur 35% der Museumsbesucher auch Pueblos besuchen. Der Rest fühlt sich dort nicht willkommen.

Kontrolle der Touristen
In Studien wurde festgestellt, dass kanadische Reservate negativ wahrgenommen werden, wenn dort Warnschilder für Reisende angebracht waren. Positiv dagegen kommen Begrüßungsschilder an. Anders sieht es bei den Pueblos im Südwesten der USA aus. Dort werden Einschränkungen von Touristen als Merkmal von Authentizität positiv wahrgenommen. Der Hauptgrund für solche Restriktionen sind negative Folgen des Tourismus, die gegen einen ökonomischen Vorteil abgewogen werden müssen. Die Verantwortlichen auf den Reservationen sind sich beider Seiten bewusst, sehen Tourismus aber im Allgemeinen als hilfreich und nur bedingt als gefährlich für die eigene Kultur an, auch wenn die Meinungen insbesondere zwischen den Generationen sehr unterschiedlich sein können. Die negativen Folgen des Tourismus zeigen sich auf vielen Reservationen. Dazu zählen beispielsweise Verbrechen gegen Touristen, vermehrter Alkoholismus, Schmuggel oder Spannungen zwischen den Besuchern und den Einheimischen. Um dies zu vermeiden muss frühzeitig auf den Reservationen festgelegt werden, was vor den Besuchern geschützt und was mit ihnen geteilt werden soll.

Gastgeber und Gäste
Auf den meisten Reservationen und in den meisten Pueblos ist das Verhältnis der Bewohner zum Tourismus ein ambivalentes, da er zwar stört, aber gleichzeitig lukrativ ist –in finanzieller und kultureller Hinsicht. Der Kontakt mit den weißen Besuchern kann das Selbstbewusstsein der Bewohner für die eigene Kultur stärken und gleichzeitig eine wichtige Rolle für das gegenseitige Verständnis spielen. Dass auf Seiten der Reisenden das grundsätzliche Interesse da ist, Kulturen und Menschen kennen zu lernen, zeigt sich in verschiedenen Untersuchungen, doch ist kaum messbar wie tief dieses Interesse wirklich geht. Von den Besuchten wird deutlich wahrgenommen, dass sie sich oft nicht korrekt benehmen. Im Südwesten der USA hat die lange Erfahrung mit Reisenden zu einer neuen Stereotypenbildung geführt, die es ermöglicht, problematische Situationen mit Humor zu umgehen, in dem man sich beispielsweise über die Person lustig macht. Bei all dem ist aber nicht zu vergessen, dass die Kontaktzeiten zwischen Besuchern und Besuchten meist so kurz sind, dass falsche Stereotype nicht nur nicht abgebaut, sondern oftmals sogar verstärkt werden.

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Das "Native American Cultural Event" auf der Standing Rock Indian Reservation bringt Touristen die Lakota-Kultur näher. Foto: M. Lindner,2004

Kategorien des Indianer-Tourismus
Der Tourismus, der mit Reservationen in Zusammenhang steht, lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen: „Kulturtourismus“ und „Glückspieltourismus“, wobei der „Kulturtourismus“ fünf Unterkategorien hat: (1) darstellende Künste, (2) bildende Künste und Kunsthandwerk, (3) Feste, (4) Museen und Kulturzentren, (5) historische Stätten und Informationszentren. „Indianer-Kulturtourismus“ (wie anderer „Ethno-Tourismus“ auch) kann beschrieben werden als eine Art Pilgerfahrt zu fremden, romantischen Kulturen, an denen die Reisenden teilhaben und die sie gewissermaßen in sich aufnehmen. Von „Indigenem Tourismus“ wird gesproche, wenn er indigen kontrolliert und dazugehörige Einrichtungen von den Gastgebern besessen werden. Zu seinen üblichen Ausprägungen gehören Tanz, Musik, Geschichten erzählen, Vermittlung von Geschichte und Essen. Natur, Jagd und Angeln gehören allerdings nicht dazu.

Auf die Tatsache, dass oft nicht die Reservationen oder Pueblos finanziell von den Reisenden profitieren, sondern Nachbarorte, reagieren einige Stämme mit der Errichtung von Einkaufszentren, Campingplätzen, Hotels und anderem. Dazu gehören prinzipiell zwar auch die indigenen Spielkasinos, die Reisende auf die Reservationen locken, doch sind diese vom Kulturtourismus abgekoppelt. Ihre Besucher kommen ausschließlich zum Spiele und/oder Essen. Dass sie sich auf einer Reservation befinden, ist nicht von Bedeutung.

Spätestens Mitte der 1990er-Jahre war absehbar, dass sich das Tourismusgeschäft auf den Reservationen ausbreiten und die Stammesregierungen entsprechend investieren würden. Tatsächlich ist dies auch eingetreten. Besonders im Zusammenhang mit der von 2003-2006 stattfindenden Zweihundertjahrfeier der ersten Forschungsexpedition quer durch den Kontinent zum Pazifik unter der Leitung von Lewis und Clark, stifteten die USA und die Bundesstaaten viel Geld zur Verbesserung der Infrastruktur in normalerweise eher besucherschwachen Regionen, darunter auch vielen Reservationen von South Dakota bis Washington. Die meisten dieser Projekte sind mit Abschluss des Jubiläums wieder verschwunden, während andere, so zum Beispiel die Standing Rock Indian Reservation, weiter ausgebaut werden.

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Auf Standing Rock werden aus ökonomischen Gründen auch nicht-indianische Aktivitäten (Planwagentouren) gefördert. Foto: M. Lindner, 2004

Aufbau von Tourismusprojekten auf Reservationen
Schon in den 1980er-Jahren wurden die ersten Prognosen aufgestellt, nach denen der Tourismus auf den Reservationen, begründet durch unberührte Natur und die indianischen Kulturen, eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen würde, selbst wenn er nur als Ergänzung zu anderen Einnahmen diente. Tatsächlich gab und gibt es immer wieder Enttäuschungen, wenn der erwartete Erfolg ausblieb. Der Geograph Bertram Postner sieht des vor allem in falscher Planung bzw. Erwartungshaltungen begründet. Für Postner sind heute viele Reservationen „lediglich passive Teilnehmer am Tourismus, die in den Besuchern eher ein lästiges Übel sehen, denn eine dringend benötigte Einnahmequelle.“ Andere Stämme, wie zum Beispiel die der Warm Spring Reservation, die White Mountain Apache oder die Seminole sind seiner Ansicht nach Ausnahmen, da sie ihre Reservationen aktiv als Reiseziel vermarkten.

Die Entwicklung von Tourismusprojekten auf den Reservationen vollzieht sich dabei im Wesentlichen nicht anders als an anderen Orten. Es müssen Stärken und Schwächen herausgefiltert und daraus ein Konzept entwickelt werden. Danach folgen die Implementierung und die Kontrolle des Erreichten. Das wichtigste im gesamten Prozess ist die Einbindung der Bevölkerung, die über jeden Schritt informiert werden und diesen akzeptieren muss, damit die Umsetzung der Projekte erfolgreich sein können. Dabei sollen die Ängste und Vorurteile der Bevölkerung abgebaut und Nachteile und Vorteile gegeneinander abgewogen werden. Die Hauptargumente, die auf den Reservationen für den Tourismus benutzt werden, sind vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Infrastruktur. Daneben spielt die Kulturvermittlung eine wichtige Rolle. Auch wird auch betont, dass Tourismus eine Chance ist, die eigene Kultur und Geschichte aus eigener Sicht zu vermitteln.

Zusammenfassung
Der Indianertourismus in Nordamerika bedient heute wie vor 100 Jahren das Bedürfnis der Reisenden nach einer schönen Landschaft und einer mehr oder weniger exotischen Kultur. Dabei spielen die Vermarktung von Kunst(handwerk) und die Veranstaltung von touristischen Ereignissen, eine wichtige Rolle. Für Reservationsverwaltungen, die beschließen, das Tourismusgeschäft zu fördern spielt ein Aspekt die wichtigste Rolle: Wirtschaftliches Wachstum, verbunden mit neuen Arbeitsplätzen und der Verbesserung der Lebenssituation auf der Reservation.

Der Reiseverkehr unterliegt dabei einem wichtigen Aushandlungsprozess mit der eigene Bevölkerung, deren Ängste wahrgenommen werden müssen, und letztlich den Reisenden, für die Einschränkungen bedacht werden müssen, die aber gleichzeitig umworben und begrüßt werden müssen. Kurz gesagt geht es um eine sinnvolle Ausbalancierung von Wirtschaftsinteressen und dem Schutz vor den negativen Auswirkungen des Tourismus.

Damit steht die indigene Bevölkerung Nordamerikas jedoch keineswegs allein da, auch andere indigene Gruppen auf der ganzen Welt haben in Bezug auf den Tourismu s mit den gleichen Fragen zu kämpfen, seien es die Samen in Europa, die Ainu auf der japanischen Insel Hokkaido oder die australischen Aborigines. Die Thematik zeigt dabei die besondere Situation, in der sich ethnische Minderheiten in einem Staat befinden. Sie können vielfach die Entscheidungen pro oder contra Tourismus nicht autonom treffen, sondern müssen einen Weg mit der Mehrheitsgesellschaft finden, diesen für sich positiv zu nutzen.

Weiterführende Literatur
Lindner, Markus Hans (2007): "„Wayuíeska Oíglake“. Eine Fallstudie über den Beginn des Tribal Tourism auf der Standing Rock Indian Reservation. Frankfurt am Main: Universitätsbibliothek (Online-Publikation;
Postner, Bertram (2002): Tourismus auf Indianerreservationen. Wirtschaftliche Entwicklung auf den Indianerreservationen im Westen Nordamerikas unter besonderer Berücksichtigung des Tourismus. Trier: Geografische Gesellschaft

Zum Autor
Dr. Markus H. Lindner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Historische Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Davor Wissenschaftlicher Volontär am Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main. Spezialisiert auf die Ethnologie Nordamerikas, insbesondere Lakota außerdem Kunst- und Museumsethnologie.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008