FUSSBALL IN SÜDAFRIKA

Von Matthias Gruber

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Arbeiter auf der Baustelle des Green Point Stadions in Kapstadt, 2007. Foto: M. Gruber

„2010“ ist in Südafrika eine fast schon magische Zahlenkombination, sie steht für die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Dieses Ereignis ist von hoher symbolischer Bedeutung. Infrastrukturelle Verbesserungen stehen ebenso auf der Agenda, wie die Bekämpfung der Kriminalität und eine Reduzierung der sozialen Ungleichheit. Die WM soll nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung einer gemeinsamen Identität aller Südafrikaner leisten. Außerdem soll die WM auf den ganzen Kontinent ausstrahlen und so den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Angesichts der Hoffnungen aber auch der Zweifel, mit denen man in Südafrika hinsichtlich „Twenty-Ten“ konfrontiert wird, scheint die WM in der sozialen und kulturellen Imagination des Landes eine herausragende Rolle zu spielen. Viele Südafrikaner verbinden besondere, teils sehr persönliche Erwartungen mit der WM. Viele planen ein kleines oder großes Business am Rande der Stadien, während andere fürchten, dass die Spiele letztlich nur die Taschen der Reichen im Land füllen.

Für den Ethnologen ergibt sich daraus eine Vielzahl von Perspektiven und möglichen Fragestellungen. In vielen der ethnologischen Darstellungen zum Fußball in Afrika nimmt Magie einen zentralen Platz ein. Was gibt es für das geneigte Publikum spannenderes als Ziegen, die nachts bei Vollmond unter dem Elfmeterpunkt vergraben werden oder Spielern, die vor dem Spiel in Wannen voller Blut baden? Meine eigenen Erfahrungen während Länder- und Ligaspielen in Südafrika und in Gesprächen mit Beteiligten berührten diese Thematik so gut wie nie. Ich möchte nicht behaupten, dass magische Praktiken keine Rolle spielen, sie tun es, sie gehören zum Fußball wie Trainingseinheiten und Stollenschuhe. In Südafrika scheint der Diskurs über das Spiel jedoch von anderen Feldern besetzt zu sein.

Was das Geschehen auf dem Platz angeht, sind Erfolg oder Misserfolg Resultat von richtigen oder falschen Entscheidungen des Trainers, vom Talent oder Unvermögen der Spieler oder mangelnder Spielpraxis von Nationalspielern, die in Europa ihr Dasein als Edelreservisten fristen. Verlässt man jedoch den Mikrokosmos des Stadions ist man in Südafrika schnell mit Diskussionen konfrontiert, die den Fußball untrennbar mit der Geschichte und den gegenwärtigen politischen und kulturellen Diskursen verbinden. In einem Land vieler ungelöster Differenzen ist der Sport ein wichtiger identitätsstiftender Faktor. Erfolge wie der Rugby World Cup 1994 oder der Gewinn der Fußball-Afrikameisterschaft 1996 gehören zu den Gründungsmythen der Regenbogennation Südafrika.

Anlässlich sportlicher Erfolge scheinen sich Rassengrenzen zumindest temporär aufzulösen. Dass solche Ereignisse aber nur kurz nachwirken, zeigen die Diskussionen um den Rugby. Die unter dem Namen Springbok agierende Nationalmannschaft hatte im Oktober 2007 zum wiederholten Mal den Weltmeistertitel ins Land geholt. Die Mannschaft war zur Apartheidszeit ein herausragendes Symbol der Afrikaans sprechenden Minderheit. Und auch 2007 bestand das Aufgebot aus fast ausschließlich weißen Spielern. In der Öffentlichkeit wurden hitzige Diskussionen über ein Quotensystem geführt, um den Anteil nichtweißer Spieler zu erhöhen. Der Verband gab an, nur nach Eignung unter den Besten des Landes zu wählen. Das deutliche Ungleichgewicht zu Gunsten der Afrikaaner wurde nicht zuletzt mit der genetisch bedingten körperlichen Überlegenheit dieser Spieler begründet. Trotzdem musste der Verband schließlich einlenken. Ein Quotensystem wurde zwar nicht eingeführt, dafür wurde mit Peter de Villiers erstmals eine „person of colour“ zum Cheftrainer ernannt. Auch fast 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist der südafrikanische Sport noch von der spezifischen Farbenlehre geprägt. Cricket und Rugby für die weiße Minderheit und Fußball für die Schwarzen. Solcherart Zuschreibungen lassen sich bei einer genaueren Analyse in ihrer Stringenz zwar nicht aufrechterhalten, sind aber auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen.

Mit dem Ausbau der Minenindustrie am Witwatersrand kam es zu erheblichen Bevölkerungsverschiebungen. Durch Umsiedlungsaktionen und substantielle wirtschaftliche Nöte waren zahlreiche zumeist schwarze Männer dazu gezwungen ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete zu verlassen, um sich in den Minen des Rand durchzuschlagen. Die Arbeitsmigranten wurden nicht nur mit neuen Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontiert, sie brachten auch ihre eigenen Vorstellungen und Erfahrungen in das neue Umfeld ein. Den Minenbetreibern und Politikern war der Umstand bewusst, dass die Produktion nicht zuletzt vom Einsatz einigermaßen zufriedenen Arbeitskräfte abhängig war. Sie selbst hatten ziemlich genaue Vorstellungen von der Trennung zwischen der Arbeits-, oder Freizeit- und der Nichtarbeitssphäre, die aus der zunehmenden Formalisierung der Arbeitswelt im Europa des 18. und 19 Jh. resultierte und in das koloniale Afrika übertragen wurden. Die Einführung und Förderung neuer Sportarten und die Förderung von Musik und Tanz sollten der Kanalisierung von Aggressionen dienen und diese möglichst von den Arbeitgebern fernhalten. Der Fußball, von europäischen Militärs und Missionaren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt, galt in der Wahrnehmung des Establishments spätestens mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als Proletarier-Sport und schien, da er sich schnell großer Beliebtheit erfreute, in besonderer Weise geeignet.

Fußball fand rasch Verbreitung und entwickelte eine Dynamik, die sich von Minengesellschaften und Politik nicht mehr kontrollieren ließ. Die Fußballplätze wurden zu wichtigen Versammlungsorten, wo nicht nur über Sport diskutiert wurde. Neue Identitäten jenseits von Zulu, !Xhosa oder Sotho bildeten sich, ohne das die alten restlos aufgegeben wurden. Die Townships in und um Johannesburg boten den Raum für die Aushandlung neuer Ideen und die Generierung einer vitalen populären urbanen Kultur und nicht zuletzt zur Formierung von politischem Widerstand. Der Fußball war in den 1920er- bis 1940er-Jahren Teil dieser Entwicklung. Führende schwarze Künstler, Musiker und Intellektuelle waren zugleich bejubelte Fußballspieler. Um die Clubs entwickelte sich ein reges soziales Leben, das weit über das Spielfeld hinaus reichte. Das Spiel jener Zeit war von artistischer und technischer Brillanz geprägt. Im Verlauf der 1930er-Jahre veränderten Gastspiele britischer Topmannschaften diesen Stil, der zugunsten erfolgversprechenderer Taktiken allmählich aufgegeben wurde.

Bis zum Ende der Apartheid blieb der Fußball einer jener Bereiche, in dem die Kontrolle des Staates nicht vollständig war. Professionelle Strukturen, sowie Ligen für Angehörige unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen bildeten sich. In dieser Zeit bildeten sich die großen Vereine, die noch heute den südafrikanischen Profifußball bestimme. So boten bis in die 1990er-Jahre Fußball-Vereine wie die Kaizer Chiefs, Orlando Pirates oder Mamelodi Sundown nicht nur eine Möglichkeit zur regionalen Identifikation; sondern auch eine Arena, um Stärke und Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Mannschaften, Funktionäre und Unterstützer formten soziale Gebilde, die kollektiv tätig werden konnten. Die Geschichte des Fußballs durch die Jahrzehnte der Apartheidsregierung lässt den Zusammenhang zwischen Sport und Politik deutlich werden. Verstärkte Repressionen, die Zunahme von Gewalt in den Townships, all diese Faktoren schlugen sich im Vereinsfußball nieder. Der Fußball war aber auch ein Bereich, in dem Rassenschranken überwunden werden konnten. Obwohl es einen nach Hautfarbe getrennten Spielbetrieb gab, war es zumindest für weiße Spieler, wenn auch nicht ohne Repressionsandrohungen möglich, in den technisch und taktisch versierteren schwarzen Mannschaften zu spielen.

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Loftus Versfeld Stadion, Pretoria, 2007. Foto: M. Gruber

Formal ist die Rassentrennung überwunden. Der Besuch eines Fußballstadions, die Rezeption der örtlichen Presse oder Gespräche mit Spielern und Funktionären lassen jedoch kaum Zweifel aufkommen, dass der südafrikanische Fußball in der schwarzen Bevölkerung verwurzelt ist. Die großen Vereine stehen unter der Kontrolle von erfolgreichen schwarzen Unternehmern, Weiße sind allenfalls auf der Trainerbank zu finden und dann sind es die Legionäre des Weltfußballs, die helfen sollen die Teams konkurrenzfähig zu machen. Es offenbart sich eine Art neue Teilung Südafrikas. Nicht mehr Hautfarbe, sondern Armut und Reichtum teilen das Land. In den Stadien wird dies anhand der international üblichen Aufteilung in Ränge und VIP- Logen sichtbar. Die vielen Kleinbusse und Pick-ups, die am Eingang die Fans ausspucken stehen im Kontrast zu den Luxuswagen auf den bewachten Stadionparkplätzen. In der Schlange am Eingang des Stadions und auf den Rängen fällt der Besucher aus Deutschland sofort auf und wird willkommen geheißen. Das gemeinsame Interesse verbindet. Victor Turner hat einmal festgestellt, dass „die Art und Weise wie Menschen spielen, vielleicht mehr über ihre Kultur enthüllen als ihre Arbeit. Zumindest spricht man gerne über das Spiel und kommt darüber leicht zu einen Gespräch über Wünsche, Meinungen und Vorstellungen, die über das Spiel hinausgehen. Das „auf der Hut sein“ und die Unsicherheit, die sonst im Alltag und insbesondere im öffentlichen Raum allgegenwärtig ist, legt man am Rande des Spielfeldes ab. Mit Begeisterung gibt man sich dem Spiel hin.

Im besten Falle bewirkt die WM ja tatsächlich etwas. Immerhin sind die Verantwortlichen gezwungen, sich mit Themen wie Sicherheit und Transport zu befassen und zu handeln. Vielleicht geht ja auch der ein oder andere Traum von etwas wirtschaftlichem Erfolg in Erfüllung und die Spannungen zwischen den Hautfarben, den Besitzenden und den Habenichtsen aus den Townships, zwischen Südafrikanern und Migranten weichen zumindest für den Moment der Spiele einem Miteinander. Vielleicht schaffen es ja einige der südafrikanischen Fußballfans, die hohen Hürden der Ticketpreise und Kartenkontingente zu nehmen. Zumindest nach dem Ligaspiel im Loftus Versfeld Stadion in Pretoria verlassen die Anhänger der Opponenten gemeinsam das Stadion. Die Stimmung ist gelöst. In Europa wäre dies unmöglich.

Weiterführende Literatur

The other game. The politics of football. In: Afrika Spectrum 41/3 (2006) Special Issue
Alegi, Peter (2004): Laduma! Politics and Society in South Africa. Scotsville, South Africa: University of KwaZulu-Natal Press
Kuper, Adam (1994): Football against the Enemy. London: Orion
Nauright, John (1997): Sport, Culture and Identities in South Africa. London: Leicester University Press
Turner, Victor (1967) Carnival, Ritual, and Play in Rio de Janeiro. In: Alessandro Falassi (Hg.): Time Out of Time. Essays on the Festival. Albuquerque, NM: University of New Mexico Press

Zum Autor

Matthias Gruber M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Historische Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Feldforschung in Nigeria und Südafrika.



Gruber Südafrika
Südafrika. Karte: E. S. Schnürer Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main
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Afrika. Karte: E. S. Schnürer Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008