MALAWIS POPULÄRMUSIK, MÄNNLICHE JUGENDLICHE UND DIE MEDIEN

Von Jochen Seebode

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1995
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Das Leben in Malawi ist hart, es ist von der Erlebniswelt vieler junger Malawier beiderlei Geschlechts aus gesehen eine ewige Tretmühle. Ein "rat race", in dem die Chancen, auch jenseits ökonomischer Zwänge ein Leben in Würde zu führen für viele kaum mehr als ein Traum bleibt, dessen Erfüllung ungewiss, wenn nicht gar höchst unwahrscheinlich wirkt. Die statistische Lebenserwartung der Einwohner Malawis liegt nach optimistischen Schätzungen bei etwa 40-45 Jahren (nach Geschlechtern differenziert). Pessimistische Schätzungen liegen weit darunter. Die malawische Gesellschaft besteht – wie auch in vielen anderen Ländern der südlichen Hemisphäre – aus einem großen Anteil jugendlicher Mitglieder.
Demographisch gesehen stellen sie einen Machtfaktor dar, in der sozialen Realität sind sie weitgehend vom Zugang zu ökonomischen und politischen Ressourcen ausgeschlossen. Auch der Zugang zu kulturellen Ressourcen folgt dem Prinzip der Altershierarchie (Seniorität). Somit erscheint die Aussicht für Jugendliche die marginalisierenden "offiziellen" Diskurse zu ihren Gunsten zu nutzen, sehr gering, wenn auch zumindest partiell Bündnispartner wie beispielsweise Institutionen der christlichen Kirchen und anderer Glaubensrichtungen, der Parteien und verschiedener Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) für die Rechte der Jugendlichen verschiedentlich Partei ergreifen. Eine Möglichkeit, ihre Bedürfnisse als soziale Gruppe auszudrücken, ist die kreative Nutzung moderner elektronischer Medien.

Seit Malawi 1994 ein Mehrparteiensystem einführte, das heißt nach dem Sturz des langjährigen Herrschers Hastings Kamuzu Banda, hat sich auch die Medienlandschaft in Malawi stark gewandelt. Banda, der den Staat in die Unabhängigkeit führte, jedoch mit seinem zunehmend autokratischen Führungsstil nach und nach eine Kultur der Stille ("culture of silence") in Malawi schuf, wurde 1994 nach mehr als 30-jähriger Herrschaft entmachtet – und mit ihm auch die ehemals alleinregierende Einheitspartei Malawi Congress Party (MCP).

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Die Zeiten nach der Unabhängigkeit waren für viele Malawier von Konformitätsdruck und der Furcht geprägt, in das Visier repressiver staatlicher Organe zu geraten wie zum Beispiel der Jugendorganisation der Partei, der Malawi Youth League (MYL) oder der paramilitärisch organisierten Einheits-Jugendorganisation, den Malawi Young Pioneers (MYP). Repressive politische Zensur und Gesetzgebungen wie beispielsweise die Einführung einer verbindlichen Kleiderordnung (dress code), die es Mädchen und Frauen verbot, in der Öffentlichkeit Hosen zu tragen und die von Jungen und Männern das Tragen "dezenter Haarschnitte" (das heißt Verbot von Dreadlocks oder längeren Bärten) verlangte, schränkten in Verbindung mit einem umfassenden Spitzelsystem und drakonischen Strafmaßnahmen gegenüber Oppositionellen, die Möglichkeiten sich öffentlich (kritisch) zu artikulieren, in ganz erheblichem Maße ein.

Die Transformation Malawis zu einem formal demokratischen Mehrparteien-System ("matipati") bedeutete nicht nur einen politischen Wechsel, sondern auch eine kulturelle und ökonomische Öffnung des Landes. Dies lässt sich gut an der Entwicklung der malawischen Medienlandschaft, besonders an den elektronischen audio-visuellen Medien zeigen. Zwar gab es auch schon davor staatliche Radiostationen und daneben – je nach regionaler Lage und dem Zugang zu technischem Equipment – die Möglichkeit, ausländische Radiosender zu empfangen (zum Beispiel aus Tanzania und Südafrika) oder internationale Programme aus Europa (beispielsweise BBC World Service oder Deutsche Welle), aber ein eigenes Fernsehprogramm existierte bis zum Jahr 2001 nicht.

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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandidolola Kings Multimedia Productions Ltd. (2002)
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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandidolola Kings Multimedia Productions Ltd. (2002)

Einhergehend mit einer zunehmenden Privatisierung der Medienlandschaft, die unter anderem zur Entstehung verschiedener regionaler und nationaler Radiostationen führte, wurde durch die voranschreitende Digitalisierung auch der Einfluss des Internets immer größer. Obgleich aufgrund der knappen ökonomischen Ressourcen der Mehrheit der Malawier der Zugang zu CD- und DVD-Playern sowie zu Computern mehr oder weniger beschränkt blieb auf eine kleine elitäre Gruppe, hat die digitale Datenübertragung nicht nur die Produktions-, Verteilungs- und Konsummöglichkeiten kultureller Produkte verändert, sondern auch die Inhalte und die Ästhetik der Präsentationen.

Angesichts der großen Bedeutung von Tanz und Musik für Jugendliche in Malawi, die vorher oftmals nur im Rahmen von Live-Performances oder durch (analoge) Videocassetten, konsumiert werden konnten, ist das Aufkommen von CDs, DVDs und von im Internet erhältlichen Musik- und Videoclips nicht zu unterschätzen. So werden beispielsweise im Internet über diverse kommerzielle und private Homepages oder Internetportale (wie zum Beispiel youtube) alle Stilrichtungen populärer Musik in professionellen oder amateurhaften Inszenierungen jetzt öffentlich zugänglich gemacht. Oftmals gibt es für das weltweite Publikum zusätzlich die Möglichkeit, die entsprechende Darbietung zu kommentieren oder Informationen über die Künstler, die spezielle Inszenierung oder Textinhalte aus zu tauschen. So entstehen globale Diskurse, die speziell bei malawischen Musikvideos von Malawiern dominiert werden. Hier mischen sich Stimmen aus der Diaspora mit denen, die territorial aus der malawischen Perspektive kommentieren.

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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandidolola Kings Multimedia Productions Ltd. (2002)
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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandithawadi MC Studois Entertainment (N. D.)

Anhand zweier Stilrichtungen zeitgenössischer malawischer populärer Musik, Reggae und Rap, soll ein kleiner Einblick in die mit unterschiedlichen Ästhetiken inszenierten behandelten Themen geboten werden. Zunächst werden die sich wandelnden Selbst-Präsentationen des bekanntesten malawischen Reggae-Musikers, Lucius Banda rekonstruiert. Danach wird am Beispiel von Rap Musikvideos (aus der Diaspora und aus Malawi) gezeigt, welche Themen verhandelt werden und welche Selbst-Repräsentationen der Musiker im Internet zu finden sind.

Die Inszenierung unterschiedlicher "Gesichter" und Identitäten, die Lucius Banda im Verlauf der Nachwendezeit vorgenommen hat, lässt sich gut anhand der Covers seiner Musik-Cassetten (1994-1999) zeigen. Auf dem Cover des 1994 erschienen Albums ("Son of a poor Man") erscheint der Musiker als Spieler der US-amerikanischen Basketball-Mannschaft Chicago Bulls, auf seinem ein Jahr später veröffentlichten Album ("Down Babylon") als "rude (African) City Boy". Auf seinem 1998er-Album ("Take Over") verkörpert er den Typus eines nachdenklichen Intellektuellen, ein Jahr später erscheint er auf der Vorderseite der nächsten Veröffentlichung ("Yahwe") als Chef seiner Band, übergroß, in der Kampfuniform eines Soldaten. Schließlich ist er auf dem Cover des später im gleichen Jahr erschienen Folgewerks ("Unity") als wohlhabender, etablierter afrikanisch gekleideter "big man" abgebildet.

Ab 2002 kann die Analyse der "unterschiedlichen Gesichter Lucius Bandas" anhand von Musikvideos fortgesetzt werden. Mit der zunehmenden Popularität von einheimisch produzierten digitalen Musikvideos, die nun auch über "virtuelle Wege" ihr (internationales) Publikum finden konnten, gab es nun die Möglichkeit über bewegte Bilder auch tänzerische Stile mit den Musikdarbietungen zu verknüpfen. Dabei wurde sich nicht nur national verbreiteter Ästhetiken bedient, sondern auch internationaler. (Alle im Folgenden angesprochenen Musikvideos können im Internet unter www.youtube.com eingesehen werden).

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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandithawadi MC Studios Entertainment (N. D.
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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Wandithawadi MC Studios Entertainment (N. D.

Während sich beispielsweise Lucius Banda in seinem Musikvideo "Wandidolola" (Die Schönheit des Mädchens/der Frau hat ihn wirklich "umgehauen") aus dem Jahr 2002 als reicher afrikanischer Mann ("Bambo") darstellt, der in der touristischen Kulisse eines luxuriösen Strandhotels von Frauen umschwärmt wird, werden dazwischen Zitate "traditioneller" malawischer Männertänze (Malipenga) montiert.

In dem späteren Video zur Komposition "Wandithawadi" (Du bist wirklich vor mir weggerannt/hast mich wirklich verlassen), erscheint der Musiker als konzentrierter und professioneller, "gesetzter" Studiomusiker. Dazwischen sind Bildzitate von Rasta-Musikern und Breakdance-Sequenzen montiert, die sowohl Reggae- als auch Rap-Fans ansprechen.

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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Chihana waluta Creative Works (2006/7)
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Screenshot aus L. Banda Musikvideo Chihana waluta Creative Works (2006/7)

Bei der audio-visuellen Umsetzung anlässlich des Todes des bekannten malawischen Oppositionspolitikers Chakufwa Chihanas (2006) in der Komposition "Chihana waluta" (Chihana ist von uns gegangen) präsentiert sich Lucius Banda in afrikanischer Kleidung, die muslimische Bevölkerungsteile in Nordmalawi anspricht. Der Video-Clip ist ein gutes Beispiel dafür, wie die politische Geschichte in der populären Musik gespeichert und erinnert wird. Durch die Inszenierung Chihanas als Kämpfer für eine Beendigung des autoritären Einparteienstaats unter Hastings K. Banda und die Einführung eines Mehrparteiensystems und der Demokratie, wird dem Publikum die Möglichkeit geboten Chihanas Geschichte als Heldengeschichte zu interpretieren. Eine Interpretation, die vor allem von großen Teilen der alten aber auch der neuen politischen Machthaber nicht vollständig geteilt wird und sich damit von hegemonialen Diskursen weitgehend unterscheidet.

Aus der Diaspora in Dublin inszeniert sich der malawische Rapper Popdogg als urbaner, harter "boy of the hood", der sich selbst und seinen Namen promotet. Er rappt auf Chichewa, der Refrain der Komposition "Knock out", der englisch untertitelt eingeblendet wird, lautet: "Wherever you go I'm watching you/whatever you do I'm watching you. I ain't scared/I am two steps ahead of you. What's my name?/POPDOGG!" Die irische Stadt Dublin erscheint als großstädtischer Lebensraum, dazwischen geschnittene Sequenzen zitieren den Capoeira-Tanz aus Brasilien, der jedoch afrikanische Wurzeln hat und auf die Geschichte der Sklaverei verweist.

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Screenshot aus Popdoggs Musikvideo Knock out. Chad Prod., Capucino Ghetto Entert.(n. D., wahrsch. 2006)
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Screenshot aus Popdoggs Musikvideo Knock out. Chad Prod., Capucino Ghetto Entert.(n. D., wahrsch. 2006)

Aus dem urbanen Milieu Malawis stammt ein Musikvideo, das sich einem der drängenden Problemen des Landes annimmt und darüber aufklärt: die Infektion mit HIV, beziehungsweise die Erkrankung an AIDS. Im in Chichewa gerappten Refrain des Stücks "HIV (Malawi akulira)" heißt es: "Malawi akulira, Africa akulira" (Malawi trauert/wiegt sich in Trauer, ganz Afrika trauert/wiegt sich in Trauer). Einen Schockeffekt produzierende Schwarz-Weiß-Bilder von an AIDS Erkrankten und von Begräbnissen der an der Krankheit Verstorbenen, die in ihrer Ästhetik an Aufklärungs- und Werbefilmen staatlicher und nicht-staatlicher internationaler Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit erinnern, sind dazwischen montiert. Sie unterstützen die ansonsten in Farbe gehaltene Selbstinszenierung einer malawischen Allstar-Band, die durch die Solo-Beiträge der Künstler verschiedene Rap-Stile präsentiert. Auch in diesem Video gibt es Zitate von "traditionellen" malawischen Männertänzen (Malipenga).

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Grenzen zwischen den Musikstilen Reggae und Rap nicht nur fließend verlaufen, sondern dass auch scheinbar ziemlich eklektisch voneinander – wie auch aus anderen Genres der Populärkultur – zitiert wird. Durch die Einpassung der Zitate in die verschiedenen Musikstile und deren Kontexte entstehen so Bedeutungen in einer jeweils eigenen Form, die vom Publikum jeweils unterschiedlich interpretiert werden können. Das Internet bietet ein Forum, auf dem über die Interpretationen verhandelt werden kann.

Auf dem Gebiet der Kultur ist Malawi inzwischen selbstständiger Akteur, welcher der digitalen Welt nicht nur als passives Opfer beziehungsweise Konsument ausgeliefert ist, sondern diese auch als kreativer Produzent mitgestaltet. Zwar bleibt das Gefühl der politischen und ökonomischen Marginalisierung der Mehrheit der Malawier, besonders in geographisch abgeschiedeneren ländlichen Regionen, bestehen. Doch im Bereich der Kulturökonomie gibt es zumindest auf der symbolischen Ebene berechtigte Hoffnungen, dass hier Prozesse der Pluralisierung und Internationalisierung eingesetzt haben. Dies wäre ein erster Schritt zur realen Umsetzung der Idee einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft.

Diskographische Angaben
Banda, Lucius
1994 Song of a poor Man. Recorded at Shandel Music Studios
1995 Down Babylon. Recorded at Primitive Studios, Johannesburg, South Africa and in Balaka, Malawi, IY Production
1998 Take Over. Recorded in Balaka, Malawi, IY Production
1999a Yahwe. Recorded in Balaka, Malawi, IY Production
1999b Unity. Recorded in Balaka, Malawi, IY Production

Weiterführende Literatur
Chimombo, S. & Chimombo, M. (1996): The Culture of Democracy. Language, Literature, the Arts and Politics in Malawi, 1992-94. Zomba
Chirambo, R.M. (2002): "Mzimu wa Soldier": Contemporary Popular Music and Politics in Malawi. In: Englund, H. (ed.): A Democracy of Chameleons. Politics and Culture in the New Malawi: 103-122. Stockholm
Englund, H. (ed.) (2002): A Democracy of Chameleons. Politics and Culture in the New Malawi. Stockholm
Fenn, J. (2004): Rap and Ragga Musical Cultures, Lifestyles, and Performances in Malawi. Ph.D. dissertation, Indiana University, Bloomington.
Luig, U. & Seebode, J. (Hg.) (2003): Ethnologie der Jugend. Soziale Praxis, moralische Diskurse und inszenierte Körperlichkeit. Münster, Hamburg & London Seebode, J. (2003): Tanzwettkämpfe, Transformationsprozesse und Identität. Tanzstile junger Männer in Nordmalawi. In: Luig, U. & Seebode, J. (Hg.): Ethnologie der Jugend. Soziale Praxis, moralische Diskurse und inszenierte Körperlichkeit. Münster, Hamburg & London. S. 199-239

Zum Autor
Jochen Seebode, M. A., Ethnologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der FU Berlin, Regionalbereich Afrika. Feldforschung in Ghana, Malawi und Tanzania. Zur Zeit Arbeit an der Dissertation zum Thema "Jugend und populäre Kultur in Malawi. Männliche Jugendliche und soziale Transformationsprozesse in der Post-Banda Ära."



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Malawi. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main
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Afrika, Malawi. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008