Von Lena Bjerregaard
Perücken fungieren in vielen Kulturen der Welt als Statusträger. Sie symbolisieren darüber hinaus Werte und Vorstellungen, die den Menschen ihren Platz in der kosmischen Ordnung zuweisen. Im Folgenden wird anhand von Haarobjekten in den Staatlichen Museen zu Berlin, die aus dem klassischen Ägypten, Peru, Hawaii, Korea, Nagaland und der Insel Taquile (in Peru) stammen, die Vielfalt dieser Vorstellungen und ihre handwerkliche Umsetzung gezeigt.
Ägypten
Im klassischen Ägypten waren Perücken ein wichtiger Bestandteil der alltäglichen Kleidung. Perückenmacher waren hochgeschätzt und in vielen Gräbern gibt es bildliche Darstellungen von „Frisör-Szenen“. Es war sowohl für Männer, als auch für Frauen üblich, ihre Köpfe zu scheren, beziehungsweise das Haar sehr kurz zu schneiden, um dann eine Perücke zu tragen. Das ist nicht zuletzt eine sehr hygienische Maßnahme, da Läuse nur im menschlichen Haar überleben, wo sie mehrmals am Tag Blut aus der Kopfhaut saugen können. Eine Perücke dagegen, die oft für längere Zeit abgenommen wird, ist kein Überlebensplatz für eine Laus.
Perücken im alten Ägypten waren aber auch Statussymbole und Markierungen für die Geschlechtszugehörigkeit, da sie für Männer und Frauen wesentlich verschieden waren. In vielen ägyptischen Gedichten wird Größe und Beschaffenheit der Perücke der Angebeteten thematisiert – Haare waren vermutlich ein wichtiges Symbol für Fruchtbarkeit. Das Symbol für Osiris, den Gott der Reinkarnation, ist eine Perücke auf einem Ständer.
Loses Haar (Zöpfe, Locken) und Perücken findet man in ägyptischen Gräbern von ca. 2900 v. Chr. an. Das trockene Wüstenklima hat die Haare aus dieser Epoche (die vor dem so genannten „Alten Reich“ liegt) gut konserviert. In den Grabmälern aus der Zeit um 2000 v. Chr. findet man ebenfalls gut erhaltene Haare und aus dem Neuen Reich (1550-1070 v. Chr.) sogar eine größere Zahl von Perücken und losen Haaren.
Unter diesen Perücken des Neuen Reichs gibt es sehr komplizierte Varianten aus zwei Teilen mit einer dicken lockigen Haube, unter der auch Hunderte von langen Zöpfen und/oder gedrehten Haar-Strähnen befestigt sind. Zwei dieser Perücken sind in europäischen Museen konserviert: eine im British Museum in London und eine im Ägyptischen Museum in Berlin. Das Stück aus dem British Museum kommt aus Theben und wird der 18. Dynastie zugeordnet (um 1550 – 1300 v. Chr.). Die Berliner Perücke ist eins von 3000 Objekten, die der Königlich-Preußische Offizier von Minutoli von seinen Reisen durch Ägypten in den Jahren 1820-1821 mitbrachte. 1823 kaufte der Preußische König Friedrich Wilhelm III. die komplette Sammlung von Minutoli. Neben der Perücke waren das: Statuen, Sarkophage, Mumien, Skarabäen, Amulette, Instrumente und Papyrus-Rollen. Die Berliner Perücke ist wie die Londoner Perücke zweiteilig, der obere Teil besteht aus einer krausen filzigen Matte von Haaren, die mit kleinen Korkenzieher-Locken dekoriert ist. Die Locken wurden in Bienenwachs getränkt und dann an die filzige Matte geklebt. 74 der langen Haarsträhnen, die hinten herunterhängen, sind der Perücke heute geblieben, aber die ursprüngliche Perücke hatte wahrscheinlich Hunderte dieser Strähnen - so wie die Londoner Perücke.
Beide Perücken wurden aus menschlichem Haar hergestellt, das teilweise mit Bienenwachs überdeckt wurde. Das Wachs nutzte man, um die Locken, Zöpfe und gedrehten Strähnen in Form zu halten und um ihnen einen zusätzlichen Halt zu geben, wenn sie an dem darunter liegenden Netz befestigt wurden. Der innere Teil der Perücke ist ein Netz gewobener Haarbänder, das mit Bienenwachs ummantelt ist, und das über einer Kopf-Form angepasst wurde. Diese Art von Perücken wurde von adligen Männern und Staatsbeamten im Neuen Reich (um 1500 v. Chr.) getragen.
Peru
Auch im alten Peru trugen die Leute Perücken oder Teilperücken. Die konnten aus einer Vielzahl von Zöpfen (geflochten aus vier Strähnen) bestehen, die an einer wollenen Mütze oder einem Band befestigt waren. Am unteren Ende waren diese Zöpfe oft mit farbigen Wollfäden umwickelt. Die Perücken waren aus Menschenhaar oder aus Lama-/Alpakahaar gemacht, was man aber nur unter einem Mikroskop sehen kann.
Dazu muss man wissen, wie ein Haar aufgebaut ist. Im Zentrum besteht es aus der Medulla, dem Mark, geschützt durch das Kortex, der Zellschicht und darüber liegt ein dünnes Häutchen, die Kutikula, die eine schuppenartige Struktur hat. Mit einem Durchlicht-Mikroskop kann man diese Schuppenstruktur auf der Oberfläche des Haares betrachten. Sie ist verschieden von Mensch und Tier und von Tier zu Tier. Dazu kommen die verschiedenen Größen der Fasern. Wenn man viel Erfahrung und gutes Referenzmaterial hat, kann man bestimmen, welche Fasern man vor sich hat. Bei Museumsobjekten ist das oft sehr schwierig, da die Fasern alt (oft sehr alt) und abgebaut sind. Dann muss man einen Querschnitt von einer Faser machen. Wenn das nicht ausreicht kann man einen DNA-Test machen, mit dem man eine ganz eindeutige Antwort erhält.
Im alten Peru benutzte man aber auch Menschen- und/oder Alpacahaare als Textilfaser. Spezielle Kopftücher, gewebt in rot und dunkelbraun, waren der höchsten sozialen Klasse vorbehalten. Die dunkelbraunen Fäden sind aus sehr groben Lamahaaren gemacht, die optisch dem Menschenhaar sehr ähnlich sind. Lange Zeit gab es in Fachkreisen die Meinung, dass diese Kopftücher aus Menschenhaar angefertigt waren. Durch die Fadenquerschnitte unterm Mikroskop haben wir aber entdeckt, dass sie aus Lamahaar sind.
Grobe Netze wurden oft aus Menschenhaar geflochten und mit Baumwollfäden oder Lama-/Alpacafäden zusammengezwirnt. Mein Interesse an Haarobjekten stammt eigentlich von diesen Objekten. Ich habe mich gefragt, warum Menschenhaar, was man eigentlich für wertvoller als andere Fasern halten sollte, in solch „groben“ Objekten benutzt wurde? Da ich etliche dieser Netze in meinem Magazin gefunden habe, gehe ich davon aus, dass diese Verwendung keine Besonderheit darstellt. Von einer Kollegin, die sich mit archäologischen mittelalterlichen Textilien aus Kopenhagen beschäftigt, habe ich später erfahren, dass in vielen alten Socken in Zehen und Fersen Menschenhaar zur Verstärkung eingewirkt war. Menschenhaare sind relativ dick, lang und strapazierfähig, und sind deshalb offensichtlich nicht nur in europäischen Kulturen als Verstärkung in Textilien benutzt worden.
Hawaii
In der Hawaiianischen Gesellschaft spielten zurzeit der ersten Kontakte mit Europa (Captain Cook, 1772) die Mana/Kapu -Regeln eine bedeutende Rolle. Kapu ist alles, was verboten (tabu) ist, und Mana ist Kraft. Mana sitzt im Kopf und wird genealogisch vererbt. Bedeutende Häuptlinge haben sehr viel davon, Angehörige niederer Klassen weniger, bis hin zu den Sklaven, die überhaupt kein Mana haben.
Häuptlinge in Hawaii trugen bis Anfang des 19. Jahrhunderts ein Halsband, das “ Lei Palaoa “ genannt wurde. Die Lei Palaoa besteht aus vielen Haarzöpfen, in die in der Mitte ein zungenförmiges Ornament aus Wahlzahn oder Holz eingepasst ist. Die Lei Palaoa enthält sehr viel Mana . Die Zöpfe sind aus dem Haar junger Frauen geflochten, und das Mittelteil, aus Walzahn oder Holz, symbolisiert eine Zunge. Die Zunge herauszustrecken war ein Zeichen von viel Mana . Die Göttin Papa hatte eine Zunge als Symbol, und die genealogische Zugehörigkeit zur dieser Göttin wurde durch die Lei Palaoa symbolisiert. 1819 löste der König Kamehamea das Mana/Kapu -System auf, und die Lei Palaoa als Status-Symbol wurde für jedermann erreichbar. Nun wurde es kommerziell hergestellt und auch an Europäer verschenkt oder verkauft.
In Korea wurden im 19. Jahrhundert von Adeligen und Beamten Netz-Hüte getragen. Jeder soziale Rang hatte eine bestimmte Hutform. Die Hüte sind aus Pferdehaar in der Technik des Makramé geknotet und mit einem bestimmten Lack übergezogen, so dass sie steif werden, und ihre Form behalten
In Nagaland, im Nordosten Indiens gelegen, gab es bis Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts Kopfjäger. Hatte ein Mann einen Kopf (oder auch mehrere) von im Kampf getöteten Angehörigen feindlicher Nachbarstämme erbeutet, so galt er in seinem Stamm als Respektsperson. Es hieß ein Kopfjäger absorbiere die Kraft des niedergeschlagenen Feindes. Als Zeichen seines erhöhten Status durfte er besonderen Schmuck tragen, zum Beispiel feine Ohrringe, angefertigt aus dem Haar des erschlagenen Feindes. Heutzutage benutzen die Naga Bärenhaar oder rot gefärbtes Ziegenhaar für ihren Schmuck.
Auf der Insel Taquile im Titicaca See zwischen Peru und Bolivia werden Gürtel aus Menschenhaar gewebt. Sie werden von Männern und Frauen als Untergürtel sowohl bei zeremoniellen Gelegenheiten, als auch bei gemeinschaftlichen Arbeitsprojekten, innerhalb der Inselgemeinde getragen. Bei dieser harten Arbeit dient der steif gewebte Gürtel als Rückenstütze. Diese Gürtel werden hergestellt, indem der Webrahmen mit einer Kette von S-gesponnenen und Z-gedrehtem Haar bespannt wird, mit einem ununterbrochenen Faden. Die Haarfäden werden nur als Kette benutzt, der Schuss ist aus weisser und schwarzer Schafswolle und wird durch einfaches Wickeln (wie soumak) eingearbeitet. Das Haar für die Gürtel ist das Haar der Frauen der Familie.
Vogelsang-Eastwood, Gillian (1995): Die Kleider des Pharaos. Kestner-Museum/Batavian Lion. Hannover/Amsterdam
Bjerregaard, Lena (2002): Pre-Columbian woven treasures in the National Museum of Denmark. National Museum of Denmark, Kopenhagen
Bjerregaard, Lena (2006): Chachapoya Textiles. Museum Tusculanum, Kopenhagen
Sowell, Teri L. (1992): The Hawaiian Lei Palaoa: A Reinterpretation. (Submitted for the Master of Fine Arts Degree, in Hope School of Fine Arts, Indiana University, USA)
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Stirn, Aglaja; Peter van Ham (2003): The hidden world of the Naga. Prestel Verlag, München und Berlin
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Lena Bjerregaard hat ihren M.A. in Restaurierung von Konservatorskolen in Kopenhagen. Sie har viele Jahren in Nationalmuseet, Kopenhagen, gearbeitet und ist seit 2000 in Ethnologisches Museum, Berlin beschäftigt, wo sie sich um die archäologischen Peruanische Textilien kümmert.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008