Von Eveline Dürr
Der Südwesten zählt zu den beliebtesten touristischen Zielen in den USA und lockt jedes Jahr Millionen von Besuchern ins Land. Den besonderen Reiz machen neben dem bizarren, unverwechselbaren Landschaftsbild die dort lebenden, berühmten indianischen Kulturen aus. Die mystifizierte Geschichte und Gegenwart der Pueblo, Hopi, Zuni, Navajo (Diné) und Apache beflügeln die Fantasien der Touristen und schüren die Reiselust. Oft verbindet sich damit der Wunsch, die ursprüngliche, noch "unverfälschte" indianische Lebensweise kennen zu lernen und möglichst einem "echten Indianer" zu begegnen. In vielen Reiseprospekten werden gerade diese Wunschvorstellungen aufgegriffen und individuelle Kontaktmöglichkeiten auf indianischem Gebiet in Aussicht gestellt – was einen weitaus größeren Anreiz für eine Reise bietet als nur der Besuch ethnologischer Museen. Auch die Beobachtung oder gar Teilnahme an Zeremonien und Tänzen lassen auf eine direkte Kommunikation mit den Indianern hoffen und werden als unvergessliche Höhepunkte des Reiseerlebnisses angepriesen.
Das Verhältnis der indianischen Kulturen zum Tourismus ist keinesfalls unproblematisch und basiert auf einer langen, wechselvollen Geschichte. Sie begann bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert, als die Eisenbahn und damit auch der Veranstalter für exklusive Luxusreisen, die Fred Harvey Company , im Südwesten Einzug hielten. Der touristische Wunsch nach persönlichen Begegnungen wirkte sich schon damals besonders stark auf die Lebensumstände der lokalen Bevölkerung aus. Es mussten Interaktionsformen gefunden werden, die die Erwartungen der Besucher erfüllen und gleichzeitig die Interessen und Bedürfnisse der indianischen Gruppen wahren. Das bedeutet, dass heute zwar einerseits Kontaktmöglichkeiten angeboten werden, andererseits aber auch auf den Schutz der Privatsphäre in den Häusern und heiligen Stätten geachtet wird. Dennoch ist die zunehmende Kommerzialisierung und Inszenierung des indianischen Lebens innerhalb der betreffenden Gruppen teilweise umstritten - wenngleich der Tourismus für viele Haushalte eine lukrative Einkommensquelle darstellt.
Im Bundesstaat New Mexico ist der touristische Sektor der wichtigste Wirtschaftszweig. Gerade hier haben die indianischen Gruppen besondere Strategien entwickelt, um den Touristenstrom zu lenken und vorteilhaft in ihre Lebenswelten zu integrieren. Auf indianischem Land sorgen moderne Spielcasinos, Golfplätze und Skigebiete für ein abwechslungsreiches touristisches Progamm, während gleichzeitig das traditionelle Leben pittoresk in Szene gesetzt wird und strenge Verhaltensvorschriften die Besucher kontrollieren. Am Eingang der jeweiligen Pueblos und Reservationen informieren große Hinweisschilder detailliert über Verbote und Gebote sowie über weitere Regelungen, die die Schließ- und Öffnungszeiten betreffen. An manchen Tagen sind überhaupt keine Besuche möglich, wenn beispielsweise Zeremonien abgehalten werden, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. In einigen Pueblos müssen sich die Touristen persönlich im Verwaltungsbüro anmelden und erhalten dann, nachdem sie für den Eintritt bezahlt haben, ein Formblatt mit ausführlichen Hinweisen. Außerdem ist häufig die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, und nur ausgewählte Bereiche eines Dorfes oder eines Gebietes stehen Besuchern offen. In vielen Fällen gelten die Einschränkungen vor allem dem Schutz der Kiva, unterirdischer Zeremonialräume, die der Öffentlichkeit nur selten zugänglich gemacht werden. Fotografieren, Filmen, das Anfertigen von Skizzen oder auch das bloße Niederschreiben von Notizen ist entweder gänzlich verboten oder nur bedingt gegen einen beträchtlichen Aufpreis erlaubt. In manchen Pueblos, wie beispielsweise in Acoma, ist eine Besichtigung ausschließlich in einer geführten Gruppe möglich. Das historische Dorf, das ebenso wie Taos heute nur noch temporär bewohnt wird, eignet sich außerdem bestens als Kulisse für den Verkauf von Kunsthandwerk und Souvenirs.
Auf die Einhaltung der Verhaltensregeln wird peinlich genau geachtet, und etwaige Übertretungen gelten als Respektlosigkeit, die strikt geahndet wird, sei es durch die Konfiszierung des Filmmaterials oder mit einem Bußgeld. Dies ist jedoch nur in wenigen Fällen tatsächlich nötig, denn die meisten Touristen befolgen nicht nur die geforderten Einschränkungen ohne Murren, sondern unterstützen sie sogar ausdrücklich. So wird dem indigenen Aufsichtspersonal Anerkennung für seine gewissenhafte Beobachtung und sein sofortiges Eingreifen gezollt. Viele Besucher sehen darin einen Beweis für die Authentizität des ihnen vorgeführten indianischen Lebens und gleichzeitig einen Schutz vor schnöder Vermarktung, sodass sie sich ohne belastende Schuldgefühle, die indianische Kultur durch ihre Anwesenheit weiter auszubeuten oder die traditionelle Lebensweise zu zerstören, den folkloristischen Inszenierungen widmen können. Selbst wenn sie wegen eines - vielleicht nur aus Unachtsamkeit geschehenen - Fehlverhaltens gerügt werden, empfinden sie diese Zurechtweisung nicht als übertriebene Bevormundung, sondern vielmehr als Beweis dafür, dass das indianische System intakt ist und die Schutzmechanismen zur Bewahrung des traditionellen Lebens gut funktionieren. Im Nachhinein interpretieren sie sogar diese Art der Begegnung als einen besonders bedeutungsvollen Moment, in dem sie der indianischen Welt beträchtlich nahe gekommen sind oder zumindest eine Grenze berührt haben - sonst hätten sie ja keine Zurechtweisung erfahren. Diese Form der Interaktion basiert auf einem funktionalen und innovativen System, das das Verhalten der Touristen streng kontrolliert und ihnen gerade dadurch das erwünschte Gefühl von Nähe und Echtheit vermittelt (Sweet 1990).
Doch nicht nur in den Pueblos und auf den Reservationen besteht die Möglichkeit der direkten Begegnung mit der indianischen Bevölkerung. Auch in der Hauptstadt Santa Fe sowie in Albuquerque, der größten Stadt New Mexicos, werden persönliche Kontakte mit „echten Indianern“ für die Touristen arrangiert. In diesen Städten verkaufen fliegende Händler, so genannte vendors , Kunsthandwerk in den altspanischen Stadtzentren, die als eine Art Themenpark restauriet sind. Auf Wolldecken breiten sie vor historischer Kulisse ihre Waren aus und inszenieren auf diese Weise ein farbenprächtiges, idyllisches Bild. In Santa Fe, das jährlich von etwa zweieinhalb Millionen Touristen besucht wird, dürfen ausschließlich American Indians , mehrheitlich Pueblo, aber auch Angehörige anderer Gruppen wie die Navajo, Jicarilla und Mescalero Apache ihre Produkte unter den Arkaden des ehemaligen Gouverneur-Palastes verkaufen, der heute ein staatliches Museum beherbergt.
Gegen diese Indians Only -Regelung wurde 1979 geklagt, allerdings ohne Erfolg. In der Urteilsbegründung wurden die American Indians mit dem Museum in Verbindung gebracht. Ihre Anwesenheit sollte dazu dienen, der Öffentlichkeit die indianische Kultur näher zu bringen – vergleichbar mit der Funktion des Museumsinventars. Durch diese fragwürdige Begründung konnte zwar die nichtindianische Konkurrenz ausgeschaltet werden, nicht aber der Wettbewerb zwischen den verschiedenen indianischen vendors selbst. Hinter der vermeintlichen Idylle in Santa Fe verbergen sich jahrelange, erbitterte Auseinandersetzungen um exklusive Verkaufsrechte, die nur durch ein strenges Regelwerk und ständige Kontrollen entschärft werden konnten. Es existieren zahlreiche, akribisch formulierte Vereinbarungen, die sowohl das Material als auch den Herstellungsprozess der Ware festlegen und sogar Verhaltensregeln definieren, die während der Verkaufszeit unter den Arkaden einzuhalten sind. Überwacht wird der Verkauf und die Beachtung der Regeln von einem eigens dafür gewählten Ausschuss, der mit dem Museum zusammenarbeitet und dessen Mitglieder aus dem Kreis der vendors stammen.
In Albuquerque gestaltet sich die Situation ähnlich, wenngleich mit einem entscheidenden Unterschied. Hier wurde die Indians Only -Regelung ebenfalls infrage gestellt, allerdings mit Erfolg. Denn im Gegensatz zu Santa Fe verkaufen die American Indians hier nicht vor einem Museum, sondern vor einem Restaurant, weshalb sie nicht in eine Ausstellung eingebunden sind und nicht als Teil eines musealen Programms betrachtet werden können - obwohl auch hier mit dem Schutz der indianischen Traditionen argumentiert wurde. In den 1970er-Jahren mischten sich anglostämmige Verkäufer unter die indianischen vendors , um ebenfalls Souvenirs feilzubieten. Diese Konkurrenz wurde weder von den indianischen vendors noch von den übrigen Geschäftsbesitzern im Altstadtkern gern gesehen, da sie dadurch den indianischen Flair des historischen Stadtviertels beeinträchtigt sahen. Eine heftige Kontroverse war die Folge, die die städtischen Behörden und gerichtlichen Instanzen über mehrere Jahre hinweg beschäftigen sollte.
Um ihre Verkaufsrechte durchzusetzen und das Urteil aus Santa Fe zu untergraben, zeigten sich nun die anglostämmigen vendors empört darüber, die American Indians als Objekte für touristische Attraktionen zu degradieren und als Art menschlichen Zoo zu missbrauchen. Die betroffenen American Indians hingegen machten in diesem Fall nicht die geringsten Anstalten, sich gegen die Kommerzialisierung ihrer Kultur zu wehren. Im Gegenteil, sie beteuerten, nichts dagegen zu haben, als “lebende Ausstellung” bezeichnet zu werden. Außerdem stigmatisierten sie ihre Arbeit sogar selbst als eine Tätigkeit für eher ungebildete Personen, für deren Ausübung man sich als Anglo eigentlich schämen sollte (Klein 1989). Hier wird deutlich, dass sich jeweils die andere Seite die gängigen Stereotypen der betroffenen Gruppe aneignete und diese geschickt zu nutzen wusste. Die Beteuerung der American Indians , gerne angestarrt zu werden und als Publikumsmagnet zu fungieren, widerspricht ihrer sonstigen Einstellung zum Tourismus, was durch die strengen Regeln in den Pueblos und auf den Reservationen zum Ausdruck kommt. Ebenso fragwürdig erscheint das vehemente Eintreten der anglostämmigen vendors für die Würde und Ethik der American Indians , für die sie sich in der Vergangenheit nicht sonderlich stark gemacht hatten. Dennoch entschied das Gericht schlussendlich, die Indians Only -Regelung aufzuheben. Heute ist zwar die Mehrzahl der vendors indianischer Abstammung, äußert jedoch immer noch Vorbehalte gegen die Kollegen aus Anglo -Familien, die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigterweise in “ihren” Raum eingedrungen sind.
Diese verschiedenen kulturellen Strategien, die von der indianischen Bevölkerung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entwickelt wurden, verdeutlichen nicht nur den kreativen Umgang mit den zahlreichen Facetten des Tourismus und mit kulturellen Stereotypen. Sie zeigen auch, dass der Tourismus nicht mehr von ihrer Lebenswelt zu trennen ist und als dynamisches Element Eingang in ihre gegenwärtigen Kulturen gefunden hat.
Dürr, Eveline (2000): Perzeption und Funktion von städtischem Raum im multikulturellen Kontext. Waltraud Kokot, Thomas Hengartner und Kathrin Wildner (Hg.): Kulturwissenschaftliche Stadtforschung. Eine Bestandsaufnahme. Berlin: Dietrich Reimer, S. 301-321.
Klein, Julie (1989): Indians Win Sole Rights to Sell Jewelry Under Portal. Albuquerque Tribune, August 8, 1989:A3.
Sweet, Jill D. (1990): The Portals of Tradition: Tourism in the American Southwest. Cultural Survival 14 (2).
PD Dr. Eveline Dürr, School of Social Sciences, Auckland University of Technology, Auckland, Neuseeland. Feldforschungen in Mexiko, in den USA, in Deutschland und Neuseeland.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008