WEISSER FLECK AFRODEUTSCHLAND

Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. lässt afrodeutsche Kinder und Jugendliche zu Wort kommen

Von Julia Rajkovic-Kamara

Weißer Fleck Afrodeutschland

„Wie ist das, wenn man keinen passenden Abdeckstift für die Pickel findet oder beim Friseur nur in ratlose Gesichter blickt? Wenn man als Kind „Braunie“ genannt wird und als Jugendlicher hört: „Du sprichst aber gut Deutsch!“ – Einstiegsfragen in die Lektüre von „Sichtbar anders“, mit denen der herausgebende Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e. V. auf den Lebensalltag afrodeutscher Kinder und Jugendlicher einstimmt.

Wenn man weiter liest, mögen kosmetische Probleme trivial erscheinen angesichts ausgrenzender Erfahrungen ganz anderer Art, die in den zahlreichen Interviews mit betroffenen Kindern und Jugendlichen immer wieder als Regel und nicht als Ausnahme thematisiert werden: Da ist die Lehrerin, die sich nicht vorstellen kann, dass jemand, „der so aussieht“, dem Unterrichtsstoff folgen kann, da sind distanzlose Zeitgenossen, die mal schnell durch die Afrokrause wuscheln, und da sind immer wieder Klischees und Stereotypen, mit denen Afrodeutsche (und andere Binationale, die sichtbar anders sind) konfrontiert werden: dass Deutschtum und dunkle Haut sich ausschließen, dass dunkelhäutige männliche Jugendliche alle kriminelle Absichten hegen ... Wir befinden uns im Reich der Vorurteile. Ein sozialwissenschaftlich gut erforschtes Kapitel. Doch was nützt das dem afrodeutschen Jugendlichen, der sich täglich aufs Neue damit konfrontiert sieht, der vielleicht gerne einfach mal unpolitisch, unkämpferisch und ganz „normal“ seinen Alltag leben würde? Doch sichtbar anders zu sein macht es schwer, nicht aufzufallen. „Wo wir auch hinkamen, immer sah ich anders aus“, singt Joy Denalane aus Afrodeutschland.

Aber „Sichtbar anders“ bringt auch humorvolle und selbstbewusste Töne der Jugendlichen zu Gehör, die auch schon mal mit ihrem Anders-Sein kokettieren, wenn es gerade angesagt ist, einen dunkelhäutigen Freund zu haben. Der Sammelband mit vielen kleineren Beiträgen ist so etwas wie eine wichtige erste Bestandsaufnahme. Betroffenheitsberichte vermitteln die Einsicht „Ich bin nicht alleine mit meinen Erfahrungen“; konkrete Informationen zu Initiativen, Vereinen und Selbsthilfegruppen oder auch eine Auswahl von Websites und Links zeigen die Inseln im weißen Mainstream und helfen bei der Vernetzung. Immerhin leben in Deutschland laut Schätzungen der iaf mehr als 300.000 schwarze Deutsche. Vernetzung, aber auch ein neues Geschichtsbewusstsein spielen für diese Bevölkerungsgruppe eine zentrale Rolle, was auch in den weißen Mainstream einfließen sollte. Hierzu ist das einführende Kapitel „Schon immer da gewesen – ein ganz kurzer Abriss der Geschichte afrodeutscher Beziehungen“ sicherlich ein guter Anfang, auf dem es sich lohnt, weiter aufzubauen. Wahrscheinlich wäre es schon sehr aufschlussreich, am eigenen Wohnort nach verschütteten afrodeutschen „roots“ zu suchen. So mag für die Mainzer mit etwas Geschichtsbewusstsein bekannt sein, dass zu Zeiten der Französischen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert Mainz einige Monate als „Republik“ von der französischen Besatzungsmacht belagert wurde (oder befreit, je nach politischer Perspektive). Aber wer weiß schon, dass unter den französischen Soldaten etliche aus den afrikanischen Kolonien stammten und aus ihren Verbindungen mit deutschen Frauen „sichtbar andere“ Kinder entsprangen? Solche Geschichtsfacetten umfassender und systematischer zusammenzufügen, könnte zu einer neuen Erinnerungskultur beitragen (wie es der Ethnologe Henning Melber mit der Frage „Wer gedenkt wem (nicht)?“ für Namibias Vergangenheitsbewältigung getan hat).

Ein Baustein neuerer Geschichte, der vielleicht vielen in Westdeutschland wenig bewusst ist, betrifft das Abkommen der ehemaligen DDR mit der damals noch sozialistisch ausgerichteten Republik Mosambik zur Ausbildung junger Mosambikaner in Ostdeutschland. Die meisten – es waren ca. 18.000 - kamen Anfang der 80er-Jahre. Von ihnen sind rund 3.500 in Deutschland geblieben, haben Familien gegründet, und deren Kinder stellen das Gros der afrodeutschen Kinder im Osten.

Ein neues Geschichtsbild freizulegen, das einmal mehr die Gleichung deutsch = weiß ad absurdum führt, ist dabei genauso wichtig wie der nicht mehr aufzuhaltende Wandel durch die hier porträtierte neue Generation, die sich über Kontinente und Kulturen hinweg vernetzt. Identitätsbildend für diese Generation wird es sein, wenn auch in den deutschen Medien und in der deutschen Öffentlichkeit „sichtbar anders aussehende“ Deutsche in prominenten Positionen - nicht nur in der Sport- und Musikbranche – zum selbstverständlichen Anblick werden.

Sichtbar anders – aus dem Leben afrodeutscher Kinder und Jugendlicher. Hg. v. Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e. V.. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel: 2005; Preis 12,90 Euro


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008