EDITORIAL

Weibliche Genitalbeschneidung

Weibliche Genitalbeschneidung ist ein Thema, das in der europäischen Öffentlichkeit in den späten 1970er-Jahren aktuell wurde, als die leidenschaftlichen Bücher der ägyptischen Ärztin und Schriftstellerin Nawal el-Saadawi gegen die Mädchenbeschneidung in Ägypten und anderen muslimischen Ländern auch in Europa bekannt wurden. Aber erst heute, auch nachdem auf der ganzen Welt prominente Afrikanerinnen dem Kampf gegen die weibliche Beschneidung ihr Gesicht und ihre Stimme gegeben haben, setzt allmählich ein Umdenken bei den betroffenen Frauen, den Müttern von Mädchen und den Beschneiderinnen ein. In Europa beschränkten sich Aktivistinnen der Frauenbewegung lange Zeit darauf, Migrantinnen einen hygienischen Ort zur Beschneidung zur Verfügung zu stellen - wenn sie darum gebeten wurden. Das galt als besser, als wenn Frauen die Operation in der heimischen unsterilen Küche durchführten.

Zwei Aspekte haben dazu geführt, dass die Ächtung der weiblichen Genitalverstümmelung heute erfolgreicher ist als in der Vergangenheit. Zum einen kommt es durch die zunehmende Globalisierung häufiger zum Kontakt zwischen beschnittenen und unbeschnittenen Frauen. Das Bewußtsein, dass die traditionell als "richtig" empfundene Beschneidung eine folgenschwere Verstümmelung ist, konnte sich erst in der Auseinandersetzung mit Gesellschaften entwickeln, die diesen Brauch nicht kannten. Dabei war es wichtig, dass die westlichen Aktivistinnen im Kontakt mit den betroffenen Frauen sensibel genug waren, nicht nur die medizinischen Fakten zu sehen, sondern auch kulturelle Identitäten.

Zum anderen war ein entscheidender Schritt, dass die offiziell anerkannten Hüter der Tradition - die muslimischen Männer - in die Aufklärungskampagnen einbezogen wurden. Das Verbot der weiblichen Beschneidung, ausgesprochen aus den Reihen höchster muslimischer Autoritäten, ist außerordentlich wirkungsvoll. Aber auch die Erkenntnis der betroffenen Frauen, dass ein erfülltes Frauenleben die Intaktheit des Genitale braucht und seine Beschneidung eine im umfassenden sozialen Sinn inhumane "Beschneidung" der Frau ist, ist für die Abschaffung dieser Tradition von Bedeutung.

Im Kampf gegen die weibliche Beschneidung hat sich mittlerweile der Begriff "Verstümmelung" (female genital mutilation, FGM) durchgesetzt. Die Autorinnen der Beiträge verwenden nur im Gegenüber betroffener Frauen den Begriff "Beschneidung" beziehungsweise das Äquivalent in der jeweiligen Sprache. Untereinander, und wenn sie für die Öffentlichkeit schreiben, gebrauchen sie "Verstümmelung" oder "FGM". Während "Beschneidung" noch angelehnt scheint an die Vorhautbeschneidung der Jungen (ein vergleichsweise harmloser Eingriff) und in Verbindung gebracht werden kann mit Tradition, welche Identität und Zugehörigkeit signalisiert, verweist "Verstümmelung" auf die nackte brutale Tatsache als solche. Der Begriff "Verstümmelung" läßt erahnen, welchen Schock - nach der Beschneidung selber - viele Frauen im Rahmen der Aufklärung noch einmal mental durchleiden müssen.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008