Von Dirk Schlottmann
Im Juli des Jahres 1937 marschierte die japanische Armee in China ein und besetzte ein Viertel des Landes. Der Einmarsch in China markierte den Beginn des Asien-Pazifik-Krieges, der erst im August 1945 beendet wurde und der annähernd 20 Millionen Menschen das Leben kostete. Der Beginn des japanischen Eroberungsfeldzuges durch Südostasien und den pazifischen Raum löste in der seit 1910 besetzten koreanischen Kolonie eine Generalmobilmachung aus, bei der das japanische Heeresministerium rund 1 Million Koreaner als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie und im Bergbau rekrutierte und fast ebenso viele Schüler und Studenten zum Wehrdienst zwang und an die Kriegsfronten verschickte. Bei dem Versuch, eine „neue Ordnung für Großostasien“ unter der Führung der japanischen „Herrenrasse“ zu etablieren, entstand im japanischen Heeresministerium auf höchster Ebene der Plan, in Militärbordellen, so genannten "Einrichtungen zur Krankheitsprävention und Hygiene“, Vergewaltigungen zu institutionalisierten. Die Militärbordelle entwickelten sich zu einem essentiellen Teil der japanischen Kriegsführung; Offiziere und einfache Mannschaftsmitglieder wurden mit Lebensmitteln, Munition und Frauen "versorgt".
Zwischen 1932 und 1945 zwang die japanische Armee mehr als 200.000 Asiatinnen aus den besetzten Ländern in die Prostitution. Ungefähr 80 % der Zwangsprostituierten stammten aus Korea. Bei den restlichen „Trostfrauen“ handelte es sich um Filipina, Taiwanerinnen, Malaysierinnen, Chinesinnen, Japanerinnen und Holländerinnen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien. Die verschleppten Frauen wurden misshandelt, gedemütigt und von bis zu 50 Soldaten am Tag vergewaltigt. Nur etwa ein Viertel der Frauen überlebte diese sexuelle Sklaverei. Diese Verbrechen des japanischen Militärs blieben bis heute ungesühnt. Nach Kriegsende waren die Misshandlungen, Vergewaltigungen, Folterungen und Morde an den comfort women beim internationalen Militärtribunal für Fernost in Tokio (1946 bis 1948) kein Thema. Viele Dokumente und Beweise wurden aus Angst, Beteiligte könnten als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen und vor eine kritische Weltöffentlichkeit gezerrt werden, vernichtet oder von der japanischen Regierung zurückgehalten. Bis heute ist historisches Material unter Verschluss, das über die staatlich organisierte sexuelle Versklavung von Frauen im Asien- Pazifik-Krieg Aufschluss geben könnte.
Jeden Mittwoch demonstrieren betroffene Frauen vor der japanischen Botschaft in Seoul. Sie verlangen eine sowohl eine Entschuldigung und als auch eine Entschädigung. Eine offizielle Entschuldigung Japans oder eine Wiedergutmachung stehen aber weiterhin aus.
Nach dem Ende des Krieges kehrten die überlebenden „Trostfrauen“ teilweise in ihre Heimat zurück, wo sie traumatisiert, meist schwer krank und häufig unfruchtbar, von den Mitmenschen verachtet oder verschämt versteckt, am Rande der Gesellschaft ihr Schicksal zu vergessen suchten. Das Schweigen der Regierung, der Gesellschaft und der eigenen Familie drängte die Frauen in Armut und Einsamkeit. Andere Frauen fanden nie den Mut, mit der „Schande“ in ihr Geburtsland zurückzukehren, und verharrten unter armseligen Umständen weiterhin im Ausland.
Das Schweigen der offiziellen Stellen sowie der koreanischen comfort women selbst ist aber nicht als Ausdruck eines schleichenden Vergessens oder einer gesellschaftlichen Ignoranz zu verstehen, sondern vielmehr als Sprachlosigkeit und Scham einer patriarchalisch geprägten geschändeten Gesellschaft, der es nicht gelungen ist, die Demütigungen der Frauen aufzuarbeiten, ohne das Gesicht zu verlieren. Wie tief der Stachel der Demütigung in der koreanischen Seele sitzt, zeigen die Reaktionen auf die Bilder der Schauspielerin Lee Seung-yeong, die durch ein Nacktfotoprojekt in den Baracken der Zwangsprostituierten die Bevölkerung in Rage gebracht hatte. Die Empörung über dieses Fotoprojekt führte nicht nur dazu, dass der Fotograf mit kahl geschorenem Kopf in Seoul das originale Bildmaterial unter Ohrfeigen und Bespuckungen verbrennen musste, sondern veranlasste das Model Lee Seung-yeong nach mehrfachen öffentlichen Entschuldigungen bei den betroffenen Frauen das Land vorerst zu verlassen.
Der koreanische Fotograf Ahn Sehong, geboren 1970 in Kangwon-do (Südkorea), hat sich in Seoul bereits in frühen Jahren einen Namen als Fotograf gemacht, der sich insbesondere mit Kultur und Tradition des eigenen Landes auseinander setzte. Themen wie Gastarbeiter in Korea, Buddhismus, koreanische Schamanen und Tauchfrauen auf der Insel Jeju-do sind in mehreren Ausstellungen in Seoul präsentiert worden. Die sicherlich beeindruckendste fotografische Arbeit, die mit viel Resonanz in der Öffentlichkeit belohnt wurde, ist seine in einer Dekade entstandene sehr persönliche Arbeit zu den comfort women . Mit viel Feingefühl ist es dem jungen Fotografen gelungen, einen sensiblen Einblick in das schicksalhafte Leben der fast vergessenen Frauen zu geben. Das Interesse an den koreanischen „Trostfrauen“ führte ihn mehrere Male in die entlegensten Provinzen Chinas, wo er neben seinen fotografischen Interessen auch mit der Übergabe von Spenden und Geschenken der oft armseligen Situation der comfort women ein wenig Abhilfe leisten konnte. Seine dokumentarischen Fotos leben von einer sehr intimen Atmosphäre, die für einen Augenblick die traurigen Schicksale zu bannen versuchen. Die persönliche Nähe zu den betroffenen Frauen dokumentiert sich in einfühlsamen Porträts und rücksichtsvollen Aufnahmen privater Lebensräume, die vom heutigen Leben der ehemaligen Zwangsprostituierten Zeugnis ablegen.
Frage: Was bewegt einen jungen Mann im Alter von 20 Jahren, sich einem Thema zu verschreiben, das in Korea über mehrere Jahrzehnte versteckt und zur Seite gedrängt worden ist?
Ahn: Ich kann nicht von mir behaupten, dass meine fotografische Auseinandersetzung mit den koreanischen Trostfrauen eine Entscheidung gewesen ist, die ich sozusagen über Nacht getroffen habe. Eine meiner ersten journalistischen Arbeiten für das Korea-Chongshindae-Institut führte mich in ein Heim der comfort women . Die Gefühle, die mich während der ersten Gespräche beschlichen, kann ich heute genauso wenig in Worte fassen wie zum damaligen Zeitpunkt. Ich war traurig, entsetzt, und tief in mir spürte ich so etwas wie Schmerz und Scham. Mir saßen damals 13 Frauen gegenüber und erzählten von ihrem Leben. Es waren die einzigen Frauen, die sich wagten, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen und auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Ein unvorstellbares Schicksal von dem Tausende Frauen betroffen gewesen sind, die gedemütigt und gebrochen aus ihrer Sklaverei in ein Korea zurückkehrten, das nicht mit offenen und tröstenden Armen wartete, sondern am liebsten den Mantel des Schweigens über diese Menschen gelegt hätte. Ich war auf meinem Heimweg sehr aufgewühlt und wollte nach diesen ersten Gesprächen unbedingt mehr über die koreanischen comfort women erfahren. Diese Aufregung hat sich in den ganzen Jahren nie gelegt, und von daher ist es nicht verwunderlich, dass durch diesen ersten Kontakt eine Tür in meinem Leben geöffnet wurde, die mich auf neue Wege führte.
Frage: Wie haben die Frauen auf den Besuch eines jungen Mannes reagiert, der in einer Generation groß geworden ist, die kaum etwas über ihre Schicksale wusste?
Ahn : Ehrlich gesagt, waren diese Frauen in ihrer Art, über die Vergangenheit zu reden, sehr professionell. Sie hatten sich der Öffentlichkeit gestellt und wurden dadurch regelmäßig von Wissenschaftlern, Journalisten und anderen interessierten Menschen besucht. Es war eher so, dass ich aus meiner Zurückhaltung herausgeholt werden musste und meine Berührungsängste, die darin bestanden, das Falsche zu sagen, alte Wunden durch meine Fragen oder Antworten zu öffnen oder gar ungewollt eine Beleidigung auszusprechen, mich lähmten. Diese Befangenheit legte sich erst nach einigen Besuchen.
Frage: Ihre Arbeit hat insbesondere dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass ein wesentlicher Teil der Ausstellung koreanische comfort women zeigt, die bis heute in China leben. Wie ist es Ihnen gelungen, diese „Trostfrauen“ zu finden und ihr Vertrauen zu gewinnen?
Ahn: Die in China verbliebenen „Trostfrauen“ zu finden war durch die Mithilfe der koreanischen comfort women möglich, die teilweise noch Kontakte pflegten oder aber zumindest davon wussten, dass in einer bestimmten Provinz Chinas noch eine Leidensgenossin zurückgeblieben war. Wir, d. h. zwei Studenten, die zu diesem Thema forschten, und ich, hatten vor Beginn der Reise eine Route erstellt, mit dem Ziel und der Hoffnung, auf unserem Weg Zeitzeugen der koreanischen Vergangenheit zu finden. In unserem Fall war der Weg wirklich das Ziel. In der Provinz Jilin trafen wir eine koreanische Frau, die als Zwangsprostituierte für die Japaner hatte arbeiten müssen. Sie wusste von einigen anderen Frauen, die in China verblieben waren, die Adressen oder aber die Dörfer, in denen sie lebten.
Der erste Kontakt gestaltete sich trotzdem viel komplizierter als erwartet. Natürlich war die ältere Dame erfreut, Besucher aus ihrer Heimat empfangen zu können. Aber bereits nach wenigen Minuten wurde mir klar, wie peinlich ihr die eigene dürftige Behausung und die ärmliche Lebenslage waren. Unsere Geschenke wurden freundlich entgegengenommen und brachten sie doch gleichzeitig in Verlegenheit.
Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt ist der Entschluss in mir gereift, ein großes Fotoprojekt zu starten, mit dem Ziel, diese verlorenen Koreanerinnen in das Bewusstsein meines Landes zurückzutragen. Mit drei Personen hatten wir eine alte Frau überrumpelt und wollten ihr die Geheimnisse der Vergangenheit entlocken. Drei Personen waren zwei zu viel. Mir war klar, wenn ich wirklich mehr erfahren wollte über die Geschichte und die persönlichen Schicksale, musste ich mit Geduld, viel Zeit und vor allen Dingen allein nach China zurückkehren. So wurde diese erste Fahrt nach China der Anfang einer langen Reise, bei der ich erste Eindrücke und Erkenntnisse sammeln konnte und gleichzeitig die Bekanntschaften schloss, mit denen es mir auf meinen weiteren Reisen gelang, einige der comfort women wieder zu finden.
Frage: Können Sie mir beschreiben, inwieweit sich die weiteren Reisen von ihrem ersten Besuch unterschieden haben? Wie hat sich das Verhältnis zu den in China verbliebenen "Trostfrauen" im Verlauf ihrer mehrmaligen Besuche entwickelt?
Ahn: Sie müssen sich vorstellen, dass diese Frauen meist keinen koreanischen Pass mehr besitzen, sondern mit chinesischen oder nordkoreanischen Papieren leben. Die Chance, nach Korea zurückzukehren, unabhängig von der finanziellen Situation, ist fast unmöglich. Kontakte in die Heimat existieren in den meisten Fällen gar nicht mehr. Es gibt keine Familie, die wartet, und Freunde aus der Vergangenheit sind bereits verstorben oder vergessen. Mit dem Ende des Asien-Pazifik-Krieges hatte das Leiden der Frauen ein Ende, aber an den Folgen der Misshandlungen leiden die Frauen bis heute. Sie leben isoliert in einem fremden Land, oft gar nicht weit entfernt von den ehemaligen Soldatenbaracken als Bittstellerinnen und warten auf das Ende ihrer Tage. Meine Besuche haben diese Isolation für kurze Zeit durchbrochen. Mit Anfang zwanzig war ich zudem in einem Alter, in dem ich als Enkelkindersatz die Sehnsüchte nach einer eigenen Familie ungewollt erfüllte. Ich konnte von dem modernen Korea in der lange nicht gehörten Heimatsprache erzählen und davon berichten, dass es Menschen gibt, welche die Schicksale der koreanischen Frauen in China nicht vergessen haben. In vielen bewegenden Stunden, die wir zusammen verbrachten, bekam ich dann Stück für Stück Einblicke in das Leben der Frauen. Unter Tränen und bewegt von den unterschiedlichsten Emotionen erzählten mir die ehemaligen Zwangsprostituierten ihre Lebensgeschichte, froh einen Menschen gefunden zu haben, der ihnen zuhört. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich behaupte, dass diese Erzählungen einen kathartischen Effekt hatten. Es waren aufwühlende und sehr intime Momente.
Frage: Ist es nicht sehr schwer, in diesen außergewöhnlichen Lebenssituationen eine Kamera auszupacken und zu fotografieren?
Ahn: Da haben Sie sicherlich Recht. Obwohl ich mein Projekt selbstverständlich vorher mit den Frauen besprochen hatte, ist es oft ein peinliches Gefühl gewesen, in aufgewühlten oder tränenreichen Momenten auf den Auslöser zu drücken. Als erster Fotograf, der sich um die chinesischen "Trostfrauen" bemühte, war es mir auch besonders wichtig, diesen Grenzgang zwischen fotografischem Interesse und der Würde der Person nicht zu Lasten der comfort women zu überschreiten. Sie haben auf meinen Ausstellungen in Seoul kein Bild gesehen, das eine ehemalige "Trostfrau" entstellt oder unwürdig zeigt.
Frage: Zum Thema „unwürdige Darstellung“: Was sagen Sie zu dem Fotoprojekt von Lee Seung-yeong?
Ahn: Dazu möchte ich gar nicht viel Worte machen. Die Idee und die Motivation waren beschämend. Sollte man dieser Aktion etwas Positives abgewinnen wollen, dann ausschließlich die Tatsache, dass das Interesse an den comfort women in der Öffentlichkeit kurzfristig sehr hoch war.
Frage: Ist Ihr fotografisches Projekt mit der Realisation von Ausstellungen beendet?
Ahn: Meine fotografische Arbeit zu diesem Thema ist nach 10 Jahren beendet. Es ist notwendig, einen Punkt zu machen und sich wieder anderen Themen in Korea zu widmen. Meine persönlichen Kontakte zu den Frauen nach China pflege ich aber weiterhin so gut wie möglich.
Frage: Ihre erste Ausstellung in Seoul hat sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. War die Ausstellung ein Erfolg?
Ahn: Ja, natürlich. Es wurde sehr viel über das Fotoprojekt geschrieben, und somit ist es mir gelungen, vom Schicksal der betroffenen Frauen in der Öffentlichkeit zu berichten. Mehr wollte ich mit meiner Arbeit nicht erreichen.
Frage: Haben Sie die Ausstellung den comfort women in China zeigen können?
Ahn: Die Bilder haben Sie schon lange vor meiner ersten Präsentation gesehen. Viel wichtiger war es ihnen, von den Reaktionen und den Erlebnissen während der Ausstellung zu hören. Sie haben sich über das Interesse gefreut und diese sehr neue Nähe zur Heimat genossen.
Herr Ahn, ich bedanke mich für das Gespräch!
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008