KOPTEN UND MUSLIME IN ÄGYPTEN

Alltagsbeziehungen zwischen Religionen

Von Christiane Paulus

Kopten und Muslime in Ägypten
Die Mohamed-Ali-Moschee in Kairo. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Die koptische Kirche versteht sich als die älteste Kirche des Christentums, zurückgehend auf Markus den Märtyrer. Zur Zeit der Römer und der Alten Kirche war sie zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt. Als Amr Ibn El Aas 642 Ägypten eroberte, war dies für die Kopten zunächst positiv, denn sie bekamen den Status der Dhimmi (Schutzbefohlene) zugestanden. Für diesen Schutz mussten sie eine Kopfsteuer zahlen, giziah. Ihre religiöse Gemeinschaft wurde anerkannt mit Rechtsautonomie im kirchlichen Bereich und persönlichem Zivilrecht. Die koptischen Männer waren allerdings von der Militärpflicht entbunden. Es kam im Laufe der Jahrhunderte auch zu Verfolgung und Ausbeutung von Kopten aufgrund der Willkür einiger muslimischer Herrscher. Sie hatten sich aber zugleich als ständiges Verwaltungspersonal der muslimischen Herrscher, vor allem im Finanzwesen, etabliert.

Mohamed Ali modernisierte Ägypten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im Zuge dessen bekamen die Kopten den gleichen Bürgerstatus wie alle anderen zugestanden und entwickelten ihre ökonomischen und finanziellen Möglichkeiten in der Landwirtschaft, im Handwerk und in der beginnenden Industrie. Wenn sich auch die Kopten äußert kritisch gegenüber den westlichen Missionsgesellschaften verhielten, die versuchten, Proselyten unter den Kopten zu machen, nahmen sie doch, wie auch einige Muslime, die Möglichkeiten der neuen Missionsschulen wahr, die das Wissen für die sich entwickelnden Arbeitsmöglichkeiten in den Bereichen (Eisenbahn-)Verwaltung, Banken, Post und Handel anboten. In Bezug auf die englische Kolonialmacht nahmen die Kopten eine ambivalente Haltung ein, was unter den Muslimen zu Skepsis führte. Insgesamt beteiligten sich die Kopten erst relativ spät an dem Diskurs um die Gestaltung des Nationalstaats Ende des 19. Jahrhunderts. Während des Nasserregimes emigrierten viele Kopten ins Ausland, vor allem wegen drohender Enteignungen. Heute stellen die Kopten circa sechs bis sieben Prozent der Bevölkerung. Es wird eine Politik des Ausgleichs und des Friedens von oben betrieben. Zum ersten Mal in diesem Jahr war das koptische Weihnachten am sechsten Januar ein staatlicher Feiertag.

Die koptische Kirche erlebte ab Mitte des letzten Jahrhunderts eine Laienbewegung und eine enorme Renaissance, die sich als Intensivierung der bestehenden Formen begreifen lässt. Die Theologie hat sich nicht verändert, die Bibel steht unangetastet im Zentrum, daneben gibt es zahlreiche Wunder und eine ausgeprägte Ikonographie. Die täglichen Gottesdienste sind stark frequentiert, die Klöster sind voll, eine starke Jugendbewegung, die über das rein kirchliche Engagement (koptische Sprache, Liturgie, Katechese) hinausgeht, wird durch die Gemeinde organisiert.

Koptische Jugendliche verbringen bis zu drei Viertel ihrer Freizeit in der Kirche. Dadurch sind Orte und Zeiten der Begegnungen von christlichen und muslimischen Jugendlichen begrenzt. Erfahrungen mit den jeweils anderen wurden in meinen Interviews nicht in Bezug auf den Freizeitbereich thematisiert, sondern in Bezug auf Schule, Arbeitsplatz und Nachbarschaft. Zudem nimmt man an gegenseitigen Hochzeiten und Trauerfeiern teil. Erwachsene Kopten und Muslime erzählen aus ihrer Kindheit, dass die Beziehungen zum jeweils andren ausschließlich positiv erlebt und empfunden wurden, obwohl man auch wusste, dass es einen Unterschied zwischen beiden Religionen gibt. Eine muslimische Studentin aus M.:
„ ... Ich konnte damals nicht beurteilen, dass es solche Unterschiede in der Religion gibt. Ich wußte, dass sie Christen sind und das ich Muslima bin, ich sage: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohamed ist sein Prophet. Und sie sagen: Jesus ist der Sohn Gottes. Okay. Ich habe den Unterschied natürlich erst bemerkt, als ich diese christliche Schule beendetet hatte und in eine islamische Schule ging. Dort hat man mir bewiesen, dass es gewaltige Unterschiede gibt, die ich mir nicht vorgestellt hatte. Ich hatte ein ganz normales Gefühl gehabt, als ob meine Schwester mit mir in der Schule sei. Sie liebten mich sehr. Bis heute rufen wir uns an, bis heute telefonieren wir miteinander und haben gute Kontakte...“

Die freundschaftlichen Beziehungen waren oft gleichzeitig nachbarschaftlich. Man wohnte nebeneinander, spielte zusammen und ging zusammen zur Schule. Beim Wechsel auf die höheren Schulen wurden die Beziehungen distanzierter, es scheint, als würden nun die religiösen Unterschiede bewusster. Ein koptischer Computerspezialist:
„ ..... meine ganzen Freunde in der Schule waren mehrheitlich Muslime, ich hatte nur einen christlichen Freund, und der Rest waren alle Muslime bis zur dritten Klasse der Vorbereitungsstufe. In der Sekundarstufe haben wir uns ein wenig voneinander entfernt, aber das ist normal, nun, bis heute sind wir Freunde, da ist nichts. Und an der Uni waren meine Freunde, ja nicht nur Christen, ich kannte auch Muslime. Nun, und jetzt an der Arbeit gibt es Muslime und Christen, und wir sind alle Freunde, da ist nichts...“

Das Bewusstwerden religiöser Unterschiede zieht auch eine räumliche Distanz nach sich, der Umgang mit der eigenen Gruppe wird bevorzugt, die Beziehungen zu den anderen bekommen einen allgemeineren Charakter, sie werden reduziert auf "Nachbarschaft" oder "Kollegialität". Eine koptische Lehrerin aus T.:
„Ich komme nicht und teile dir meine intimsten Geheimnisse mit, nein, die sage ich einer Christin, denn zwischen uns gibt es volles Vertrauen. Aber zu ihnen (den Muslimen) sage ich: Guten Morgen, wie geht es euch? Wir nehmen an Hochzeiten und an ihrer Trauer teil und so. Aber Geheimnisse zu erzählen ist eine schwierige Sache.... Man kann es bei den Muslimen gemütlich haben, viele von ihnen sind sehr lieb und zuvorkommend, aber dennoch nicht wie bei den Christen. Wir lieben es, miteinander zu sein, Seite an Seite.“

Besonders gute Beziehungen sind nun nur zu Menschen der gleichen Gruppe typisch. Die Christen „lieben sich untereinander“, wie es eine Muslima durchaus anerkennend formulierte.

Im Kontrast zu diesen Aussagen von Jüngeren stehen die der älteren Generation, Muslime wie Christen. Beide sehen die Beziehungen zu Mitgliedern der jeweils anderen Gruppe äußerst positiv und erzählen offen über ihre Erfahrungen miteinander als Nachbarn oder Arbeitskollegen, die über die Bereiche, in denen man sowieso miteinander zu tun hat, hinausgehen. Auffällig ist bei dieser älteren Generation, dass die Beziehungen zueinander ausschließlich durch gegenseitige Treue und Hilfsbereitschaft charakterisiert werden. Eine Generationstypik liegt hier nahe: Es scheint, als spürte und spüre die ältere Generation in den Beziehungen zu Angehörigen der jeweils anderen Religionsgruppe den Unterschied zwischen Freundschaft und dem formaleren Verhalten Nachbarn und Arbeitskollegen gegenüber. Die jüngere Generation hingegen, die in einem Prozess fortschreitender Modernisierung erzogen und sozialisiert wurde, spürt den Unterschied nur noch, wenn sie sich an ihre Kindheit erinnert, die diesem Prozess der Formalisierung noch nicht so ausgesetzt war. Sie empfindet den Unterschied als „furchtbaren Widerspruch“.

Als Momente fortschreitender Modernisierung im religiösen Bereich lassen sich die Islamisierungstendenzen fassen: So schneidet zum Beispiel die Einrichtung islamischer Schulen den Kindern die Begegnungsmöglichkeiten ab. Auf der anderen Seite wird durch die Renaissance der Kirche zunehmend mehr fast der gesamte Freizeitbereich der koptischen Kinder und Jugendlichen organisiert. Beides hat eine Distanzierung voneinander zur Folge. Das ist den Teilnehmenden nicht bewusst. Aufgrund der zunehmenden modernen Zeitorganisation im Bereich der Religion scheinen die Begegnungen und Kontakte zwischen den Kindern, die Erfahrungen des Zusammenspielens, die die Basis für die „normalen“ nachbarschaftlichen und kollegialen Beziehungen darstellen, immer weniger zu werden.

Gespräche über Religion, auch interreligiöser Dialog genannt, wurden in traditionellen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Religionsangehörigen ausgeschlossen, um Streit zu vermeiden und die bestehenden (Freundschafts-)Beziehungen nicht aufs Spiel zu setzen. Beide Seiten verstehen dies als Respekt vor der Religiosität des anderen. Dazu kommt, dass das "Ertragen von Leiden" ein starker Wert der koptischen theologischen Ethik ist. Das erleichtert den Umgang mit eventuellen Diskriminierungen. Ein koptischer Student:
„Papst Schenuda sagte ihm: Das Christentum ist, dass man erträgt, wer Christ sein will, muss ertragen. Der Christ erträgt, wer Christ sein will, muss ertragen. Aber Verfolgung gibt es keine in Ägypten. Es ist nicht gesagt, dass wenn dein Chef auf der Arbeit dich schlecht behandelt, also bist du unterdrückt. Es kann sein, dass er so mit dir umgeht und dass er mit deinem muslimischen Kollegen genauso umgeht. Dass mich mein Prof an der Uni oder in der Schule ärgert, heißt auch nicht, dass er mich unterdrückt. Papst Schenuda hat gesagt: Das Christentum ist Ertragen. Ärger kann im normalen Leben jeden Tag passieren. Ich bin sehr stolz auf dieses Wort: Wer Christ sein will, muss ertragen. Nun, es kann sein, dass einer deiner Kollegen, mit dem du zusammen bist, dich ärgert, obwohl er Christ ist, genau wie du. Man muss ertragen, das ist das Christentum. Wenn du ein Christ sein willst, musst du ertragen, das ist meine Meinung.“

Diese Art von Hermeneutik, die Akzeptanz des Leidens und der sich daraus ergebende symbolische Rückzug, der aus der Distanz heraus eine Erkenntnis der Wirklichkeit ermöglicht, hat für die Alltagsbeziehungen zwischen den beiden Religionsgruppen eine positive Funktion. Diese unterscheidet sich qualitativ von westlichen Dialogkonzepten. Der gegenseitige Respekt bedarf gemeinsamer Alltagserfahrungen von Muslimen und Christen, vor allem in der Kindheit, die aber durch gewisse Modernisierungstendenzen Gefahr laufen, „wegrationalisiert“ zu werden.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008