Von Achim Sibeth
Westliche Musiker haben sich schon häufiger mit der Musik indonesischer Gamelan-Orchester auseinandergesetzt. In den 1930er Jahren schrieb Colin McPhee balinesische Gamelan-Musik für Klavier um, die Jazz-Musiker Albert Mangelsdorf und Eberhard Schoener versuchten sich mit großem Erfolg am Zusammenspiel mit indonesischen Gamelan-Orchestern. So ‚entdeckte’ Schoener das indonesische Gamelan für sich und trat am Frankfurter Jazzfestival 1976 zusammen mit einem balinesischen Orchester auf. Der Komponist und Leiter des minimal music-Orchesters In Process Ulrich Götte komponierte 1995 die Komposition „Mira“ für das Bremer Gamelan und drei gestimmte Synthesizer. Dabei versuchte er erstmalig die unterschiedlichen Stimmungssysteme von Gamelan und westlicher Musik aneinander anzupassen, in dem er die Temperierung seiner Synthesizer den Gamelan-Instrumenten anpasste und nicht umgekehrt.
Und am diesjährigen Frankfurter Jazz-Festivals (23.10.2004) begeisterte die HR Big-Band zusammen mit dem Münchner Gamelan-Orchester Cara Bali bei dem Konzert ‚Jazz meets Gamelan’. Auch die CD PATA JAVA ist ein faszinierendes Beispiel solch kulturübergreifender Zusammenarbeit. Allerdings sind die Vorgehensweisen der verschiedenen Protagonisten recht verschieden. Colin McPhee spielt traditionelle Gamelan-Weisen auf seinem Klavier ohne indonesische Begleitung, Schoener spielt zusammen mit einem klassischen Gamelan-Orchester aus Bali, Götte komponiert für ‚klassisches’ deutsches Gamelan und Synthesizer, wobei er letztere dem Gamelan anpasst, die HR Big-Band spielt ebenfalls mit einer rein deutschen Gruppe, die traditionelles balinesisches Gamelan spielt, dieses hingegen in Rhythmus, Tonfolge und Harmonie der Jazzband anzugleichen sucht. Anders die Gruppen Pata Masters und die Kua Etnika: Hier treffen eine deutsche Gruppe, die schon häufig nicht-europäischen Musikern musikalisch begegnete, und eine javanische Gruppe aufeinander, die nicht zu den klassischen traditionellen Gamelan-Orchestern gehört, sondern bestrebt ist, das Gamelan zu modernisieren.
Erste Überlegungen zu einer Zusammenarbeit und musikalische Kontakte der beiden Gruppen Pata Masters und Kua Etnika gab es bereits im Jahr 2001. Im Herbst 2003 schließlich trafen sich die beiden Gruppen mit Unterstützung von Goethe-Institut und Sponsoren zu gemeinsamer Arbeit und Tonaufnahmen in Yogyakarta, Zentral-Java. Das Ergebnis ihrer interkulturellen musikalischen Zusammenarbeit stellten sie auf einer sich anschließenden gemeinsamen Konzerttournee der Öffentlichkeit in den Städten Yogyakarta, Bandung und Jakarta auf der Hauptinsel Java vor. In Jakarta wurden ihre Musikstücke im Tonstudio aufgezeichnet und schließlich in Deutschland gemischt, gemastert und produziert.
Die Gamelan-Gruppe Kua Etnika stammt aus Zentral-Java, besteht aus acht Musikern und wird von Djaduk Ferianto geleitet. Die Gruppe hat sich der Entwicklung neuer Ausdrucksformen in der Tradition des Gamelan gewidmet. Sie spielen auf traditionellen Instrumenten und begleiten manche Stücke auch vokal. Kua Etnika ist jedoch kein traditionelles Gamelan-Orchester, das aus bis zu 30 Spielern und mehr bestehen kann. Das Besondere an Kua Etnika ist die Verbindung von verschiedenen Musiktraditionen aus Java, Bali, Kalimantan und Sumatra, die mit westlichen Jazzklängen verbinden. Die Instrumente werden in freien Improvisationen und dem westlichen Jazz nahestehenden Kompositionen gespielt. Unter Leitung von Ferianto spielen Purwanto, Suwarjiyo, Suharjono, Fredy Pardiman, Wardoyo, Sukoco und Sony Suprapto. Im Jahr 2000 erhielt die Gruppe den UNESCO Musikpreis. Im April/Mai 2004 trat Kua Etnika mit ihrer audiovisuellen Komposition „Everlasting Kretek Heritage“ in sieben europäischen Städten auf: in Budapest, Krakau, Graz, Wien, Utrecht, Amsterdam und Prag sowie auch in Panama. Für dieses Konzert erhielt Ferianto seine Inspiration von den Geräuschen einer Zigaretten-Fabrik (kretek sind die indonesischen Gewürznelken-Zigaretten) auf Java. Die Klangwelten griffen die Geräusche auf beim Abbrennen von Tabak und Nelken, vom Auf- und Zuschlagen von Fabriktüren, von Maschinengeräuschen und der Geräusche und Stimmen der beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen.
Norbert Stein studierte von 1973 – 1979 Saxophon am Konservatorium in Köln; er war Mitbegründer und von 1978 – 1992 Mitglied Musiker-Vereinigung Kölner Jazzhaus; 1986 gründete er das selbständige Label PATA MUSIC, das mittlerweile 16 CD herausgebracht hat. Norbert Stein spielt neben dem Ensemble Pata Masters auch in anderen Besetzungen: Pata Horns, Pata Trio, Pata Orchester und Pata Blue Chip. Neben der neuesten CD PATA JAVA setzten sich die PATA Musiker auch mit der traditionellen Musik von Australien, Marokko, Brasilien auseinander. Konzerttouren führten die PATA Ensembles auch nach Afrika und Singapur, immer in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Zu den Pata Masters gehören: Norbert Stein (ts), Michael Heupel (fl, bfl), Klaus Mages (dr), Matthias von Welck (dr, perc) sowie Christoph Hillmann (electr.).
Peggy Thiele charakterisierte (in www.jazzdimensions.de ) das Zusammenspiel der beiden Gruppen mit folgenden Worten: „Zwei gänzlich konträre Klangwelten prallen aufeinander. Doch das bleibt nicht so, denn die harmonischen, streckenweise auch etwas schrägen Jazzmelodien verschmelzen mit den furiosen Trommelklängen schon bald zu etwas Neuem, einer womöglich wirklich grenzüberschreitenden ‚Weltmusik’ des 21. Jahrhunderts.“ Perkussion, Blasinstrumente, elektronische Klangerzeugung und die verschiedenen Gamelan-Instrumente (demung, saruon, gender, bonang, suling, kendang und rebab) gehen in diesem musikalischen Experiment eine innovative Verbindung ein. Auf der Basis von Jazzimprovisation und Gamelan-Improvisation entsteht überraschend Neues und Erregendes. Im interaktiven Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Musikerpersönlichkeiten, Musikformen und Klangwelten sind die gemeinsam erarbeiteten Kompositionen von kraftvollen Rhythmen und lebendigen und sehr individuellen Soli geprägt.
Die Bandbreite der neun Spielstücke spiegelt die Tiefe der beiden Musiktraditionen. In manchen Stücken dominiert das deutsche Quintett, in anderen die javanische Gruppe. Letzteres ist z.B. der Fall in der Musiktheaterperformance „Sound theatre of Tukang Pijad“, bei der Stein für die Musik und Ferianto für die dramatische Struktur und Text zuständig waren. Eine überwiegend javanische Annäherung an westliche Musik, bei der das Saxophon den Charakter des Gamelan aufzugreifen sucht, ist das Stück von Ferianto „Juzzla Juzzli“. In manchen Stücken, wie z.B. „Speak yomm“, wurde beim Mischen die javanische Gruppe etwas zu stark in den Hintergrund gedrückt, sonst erscheint jedoch die Mischung recht ausgewogen. Für alle Freunde indonesischen Gamelans aber auch für Jazzfreunde ist die CD ausgesprochen amüsant, anregend und begeisternd. Eine CD, die man gerne öfters hört.
Angaben zur CD
PATA JAVA. Norbert Stein PATA MASTERS meets Djaduk Ferianto KUA ETNIKA. (PATA Nr. 16) PATA MUSIC, Rösrath 2004 www.patamusic.de
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008