Von Ulrike Krasberg
Das Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main zeigt vom 24.11.2007 bis zum 4.5.2008 die Fotoausstellung „Das Ägypten des Nagib Machfus. Fotografien von Georg Kürzinger“. Kürzinger zeigt die zeitgenössische arabische Welt Ägyptens jenseits der Pyramiden, Mumien und Nilkreuzfahrten. Es geht dabei nicht um das offizielle Ägypten, wie es dem Westen gerne präsentiert wird, sondern um das Alltagsleben der Menschen, das der „kleinen Leute“. Georg Kürzinger hatte zahlreiche Ausstellungen im In- u. Ausland, in denen auch seine anderen fotografischen Projekte gezeigt wurden: "Jahre später - Menschen vor und nach dem Ende des Sozialismus" und "Heiligenparade - ungewöhnliche religiöse Riten in Bayern, der Heimat des Papstes".
U. K.: Wie sind Sie auf dies Ausstellungsprojekt gekommen?
Kürzinger: 1994 kam ich durch die Arbeit zu einem Bildband über den Nil zum ersten Mal nach Ägypten. Dabei ist mir aufgefallen, dass es neben dem westlich orientierten und dem touristischen Ägypten noch eine ganz andere Welt gibt: die arabisch-islamische Kultur, die mir sehr fremd war, aber immer wieder blitzte auch etwas auf, das mir vertraut erschien. Das hat mich so fasziniert, dass ich beschloss, mich mit dieser Fremdheit und Vertrautheit intensiver auseinander zu setzen. 1998 und 2001 bin ich dann für jeweils knapp 2 Monate nach Ägypten gekommen – nicht so sehr um dieses Land zu fotografieren, sondern eigentlich um das für mich Fremde mit der Kamera festzuhalten. Es ging mir um die Frage nach unserem westlichen Umgang damit und die dabei angestoßene Reflexion über das Eigene - wohl deshalb hab’ ich letztlich dieses Projekt gemacht, obwohl ich das anfangs nicht so hätte formulieren können.
U. K.: Wie meinen Sie das mit der „Reflexion über das Eigene“?
Kürzinger: Durch die Beschäftigung mit der arabischen Kultur und deren allgegenwärtige religiöse Praktiken entstand bei mir ein neues Interesse für unsere eigene Religion. Das führte zu meiner aktuellen Arbeit, einer Bildserie über Prozessionen, bei denen zum Beispiel Pferdewagen mitgeführt werden mit Laiendarstellern, die katholische Heilige „spielen“ – das gibt’s in Bayern, der (prägenden) Heimat des aktuellen Papstes.
U. K.: Zurück zur derzeitigen Ausstellung. Welche Rolle spielte dabei die Begegnung mit der Literatur von Nagib Machfus?
Kürzinger: Die Begegnung mit seiner Literatur war für mich wichtig, weil ich so einen - auf literarische Fiktion gestützten - Einblick in die arabische Welt bekam. Aber ich habe seine Bücher nach den ersten zwei Romanen erst mal weggelegt, um in meiner Fotografie nicht von Machfus beeinflusst zu sein, und las weitere Romane von ihm erst nach dem Ende meiner fotografischen Arbeit.
U. K.: Sie haben Nagib Machfus mehrere Male in Kairo getroffen. Wie war das, mit einem Nobelpreisträger zu tun zu haben?
Kürzinger: Werk und Bedeutung von Nagib Machfus sind ja wirklich enorm, und seine Freunde, in deren Kreis ich ihn einige Male antraf, brachten ihm Bewunderung und Respekt entgegen. Seine Ausstrahlung beeindruckte auch mich. Trotzdem war er bescheiden, freundlich und unkompliziert. Mit einer Zusammenarbeit war er gleich einverstanden, weil wir uns von Anfang an einig waren, dass der Zusammenhang zwischen seinen Texten und meinen Fotografien nur sehr lose und assoziativ sein sollte und eine Illustration seiner Romane durch meine Bilder nicht stattfinden würde – Machfus’ Texte sollten für mich nicht mehr sein als Wegweiser auf dem Weg zur anderen Kultur, die ich kennen lernen und in der ich meine eigenen Bilder und Geschichten finden wollte.
U.K.: Inwiefern ist ihr Blick auf ägyptische Realität ein ähnlicher wie der von Machfus in seinen Romanen?
Kürzinger: Eine Gemeinsamkeit ist sicherlich das Genre, mit dem wir uns hier auseinander gesetzt haben: die Alltagswelt der eher einfachen Leute. Ähnlich ist auch die Konzentration auf die Menschen, und vielleicht auch der Versuch, möglichst offen und wohlwollend auf diese zuzugehen.
U. K.: Literatur lässt sich nicht bebildern. Würden Sie das auch sagen?
Kürzinger: Ob das generell möglich ist oder nicht, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sagen, dass es von Anfang an nicht meine Absicht war, Literatur zu bebildern, und ich habe auch nicht die Figuren, Schauplätze oder die „Atmosphäre“ der Romane von Machfus fotografiert oder abzubilden versucht. Für mich sind Literatur und Fotografie einfach zwei ganz verschiedene Herangehensweisen an Lebensrealitäten. Sie bestehen nebeneinander, können sich aber gegenseitig anregen.
U. K.: Wie haben Sie die Menschen kennen gelernt, die Sie dann fotografiert haben?
Kürzinger: Für meine Auseinandersetzung mit dieser fremden Kultur wollte ich den Menschen räumlich und emotional nahe kommen, um auch intime Bilder zu schaffen.. Das geht besser, wenn man miteinander sprechen kann. Deshalb suchte ich erst mal nach Leuten, die für mich übersetzten konnten. Sie brachten mich dann auch zu ihren Freunden und ich lernte nach und nach Menschen kennen. Was ich dabei einbringen konnte, war viel Zeit, Behutsamkeit, Offenheit und möglichst viel Aufrichtigkeit. Das war dann wohl so vertrauensbildend, dass einige Ägypter mich näher an sich heran gelassen haben, jedenfalls so weit, dass die Bilder entstehen konnten – dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
U. K.: Wie sind einzelne Fotos entstanden? Das Portrait mit der Verschleierten, Schenuda III. und andere?
Kürzinger: Manche Bilder existierten vorher schon irgendwie in meinem Kopf, andere haben sich erst ergeben. Zum Beispiel war ich einige Tage mit dem selben Taxifahrer in Kairo unterwegs, und er hatte bemerkt, das ich total fasziniert war von den verhüllten Frauen, die wir immer mal wieder auf der Straße sahen. Also fuhr er mit mir zu seinem Cousin, einem Muslimbruder. Der war sehr freundlich und lies uns durch seine Frau mit Tee und Plätzchen bewirteten. Nach einer Weile fragte ich, ob ich ihn portraitieren dürfe, und wieder nach einer Weile holte er seine voll verschleierte Frau (sie war kurz herein gekommen, um neuen Tee zu bringen) dazu. Er sah es wohl als eine Ehre an portraitiert zu werden, wollte aber nicht ohne seine Frau auf dem Foto erscheinen – daraus entstand dann dieses irritierende Doppelportrait mit seiner verschleierten Frau. Und einmal streifte ich in Kairo herum, als ich plötzlich eine Gruppe von Pressefotografen sah, die in ein Haus neben der koptischen Kathedrale gingen. Neugierig geworden ging ich einfach mit, und weil ich mir einen ägyptischen Presseausweis hatte ausstellen lassen, wurde auch ich eingelassen. Die Fotografen gingen schließlich in die Kathedrale, wo eine Audienz von Papst Schenuda III. mit seinen Bischöfen stattfand: Lauter alte Männer mit schwarzem Habit und weißen Bärten – eine Szene wie bei Rembrandt! Da ich nicht wusste, dass man die Fotografenplätze nicht verlassen sollte, rückte ich im Verlauf der Audienz immer näher an Papst Schenuda heran, bis sich eine gute Komposition ergab.
U. K.: In der Ausstellungen hängen zwischen den Bildern kurze Textfragmente aus Romanen von Nagib Machfus. Welche Rolle spielen diese Romanpassagen in der Ausstellung? Warum hängen sie dort?
Kürzinger: Die acht kurzen Machfus-Texte haben zwei Funktionen: Sie sollen dem Ausstellungsbesucher das sein, was sie für mich waren, nämlich assoziative Wegweiser auf dem Weg zur uns fremden arabischen Kultur. Gleichzeitig stehen sie in diesem Projekt für die eigene, innere Stimme dieser Kultur. Ich habe ja als Außenstehender aus der Sicht eines Europäers fotografiert. Dadurch ergibt sich, wie Machfus schreibt, ein Dialog „zwischen zwei verschiedenen Kulturen mit ihren jeweiligen eigenen Ausdrucksmitteln“, also der europäischen Kunst des „Bildermachens“ und der orientalischen Kunst des Erzählens.
U. K.: Was bedeutet es, ihre Fotos in einem ethnologischen Museum zu zeigen?
Kürzinger: Die jeweilige Ausstellungs-Institution mit ihrer thematischen Ausrichtung und ihrem spezifischen Umgang mit Bildern spielt immer eine Rolle. So hingen zum Beispiel bei der Ausstellung dieses Projekts im Ägyptischen Museum Berlin einige andere Bilder als hier, auch wurde in Berlin vor allem die künstlerische Dimension gezeigt, also nur Bilder und Textfragmente, während es jetzt in Frankfurt auch den kulturellen Hintergrund erklärende Texte und Bildunterschriften gibt. Einem ethnologischen Museum geht es eben auch um die Vermittlung von kulturellem Wissen.
U. K.: Ist dieses Projekt für Sie „visuelle Anthropologie“?
Kürzinger: Es ist von mir nicht so gemeint, aber wenn man das so sehen kann, finde ich das sehr interessant. Wer das so interpretiert, sollte nur bedenken: Ich bin nicht wissenschaftlich, sondern künstlerisch, und damit auch sehr subjektiv an die andere Kultur herangegangen. Außerdem sind die Fragen, mit denen ich bei meiner Arbeit zu tun habe, nicht ethnologische, sondern gestalterische: welche Farben gehen zusammen, wie ergibt sich eine grafische Komposition usw.
U. K.: Beinhaltet das eine neue Interpretation der Bilder für Sie?
Kürzinger: Der ethnologische Kontext gibt mir mehr Verständnis und Sachwissen, eine neue Interpretation der Bilder hat sich daraus nicht für mich ergeben.
U. K.: War ihnen beim Fotografieren ihr „europäischer Blick“ bewusst?
Kürzinger: Mir war zwar rational klar, dass ich von außen auf diese Kultur blicke und dass das dann natürlich ein europäischer Blick ist, das Fotografieren selbst ist aber bei mir ein intuitiver Prozess, während dem ich nicht über meinen Blick nachdenke. Klar war mir, dass für mein Projekt neben meiner kulturellen Außensicht noch eine kulturelle Innensicht wichtig ist, und die kommt durch die Textfragmente von Nagib Machfus in das Projekt und die Ausstellung.
U. K.: Wie haben Sie sich die arabische Welt erschlossen?
Kürzinger: Ich habe mich so gut wie möglich vorbereitet, das heißt allerhand Wissen angeeignet. Seit ich 1994 von meinem ersten Ägypten-Aufenthalt zurück war, interessierte ich mich für Berichte über die arabische Welt in allen Medien. Ich las über den Islam und das koptische Christentum. Und bin natürlich auch bald auf das Werk von Machfus gestoßen.
U. K.: Herr Kürzinger ich danke ihnen für dies Gespräch!
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008