ILÊ ASHÉ OYÁA: EIN CANDOMBLÉ-RAUM IN BERLIN

Von Sol Montoya Bonilla

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Candomblé-Zeremonie in Berlin 2008. Foto: S. Montoya Bonilla

Die Entwicklung von Religionen in neuen Kontexten ist das Thema eines Forschungsprojektes mit dem Titel „Santeria in Deutschland“, das am Institut für Vergleichende Kulturforschung - Religionswissenschaft und Völkerkunde der Philipps-Universität Marburg entstanden ist. Der folgende Text stellt einige einleitende Bemerkungen über die Religion des Candomblé in der Stadt Berlin dar und ist eine erste Beschreibung des Forschungsfelds.

„In der Mitte des Raumes, an einer Säule, stehen ein Teller mit Essen, eine Kerze und eine Schüssel mit Wasser. M. beginnt mit dem Gesang, und die Trommler fangen an zu spielen. Im Zentrum befinden sich M., J., C., und Z. und bilden ein Kreis. Sie beginnen, um die Säule zu tanzen. Dort konzentriere sich die Energie der orixas . Auf der linken Seite sitzen weitere vier Personen. C., J., M. und Z. bilden einen weiteren Kreis, der sich dem ersten anschließt. Sie begrüßen die Trommler, dann den pai de santo. Die erste Gruppe tanzt in Richtung Eingang und kehrt wieder zum Zentrum zurück.“ (Aus dem Forschungstagebuch)

Dies ist Teil einer Candomblé-Zeremonie, einer Religion mit Wurzeln in Afrika, genauer im heutigen Benin und Nigeria. Der Ort, an dem dies geschieht, liegt im Berliner Stadtviertel Kreuzberg. Der Raum befindet sich in einem Haus an einer ruhigen Straße, welche am Victoria-Park endet.

Von Mitte des 18. bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurden rund dreieinhalb Millionen Afrikaner als Sklaven nach Brasilien verschleppt. Mit ihnen sind unterschiedliche religiöse Glaubenvorstellungen und -praktiken aus den verschiedenen Gebieten Afrikas nach Brasilien gekommen. Sie vermischten sich dort und nahmen im neuen Kontext eine eigene Entwicklung. Jerôme Souty schlägt vor, mit dem Wort rizoma auf die unterschiedlichen Wurzeln der afrobrasilianischen Religion hinzuweisen. Heute ist der religiöse Pluralismus in der brasilianischen Verfassung anerkannt.

Der Candomblé besteht aus dem Kult der orixas , Gottheiten, die eng mit der Natur verbunden sind und sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Jeder Candomblé-Anhänger wird einer Gottheit zugeordnet; die individuelle Zugehörigkeit wird beim Werfen des Orakels durch den Candomblé-Priester bestimmt.

Der Raum, in dem der Candomblé praktiziert wird, heißt terreiro . In Brasilien sind dies meist große Häuser, die von einem Candomblé-Priester geleitet werden. Sie heißen pai de santo oder babalorixá , wenn es sich um einen Mann handelt, und mãe de sant oder ialorixá , wenn es eine Frau ist. Diese haben eine lange Unterweisung erhalten und sind, bevor sie Priester wurden, durch verschiedene Initiationsstufen gegangen, die wiederum verschiedene Phasen umfassen. Alle Zeremonien werden von Priestern geleitet, die unter anderem auch Initiationen durchführen und das Muschelorakel ( jogo de búzios ) befragen. Im terreiro leben der Priester und die von ihm initiierten Anhänger der Religion, fihos de santo (Kinder des Heiligen) genannt, wie in einer großen Familie. Es finden regelmäßig Zeremonien statt, von denen einige für die Öffentlichkeit zugänglich sind, andere nur für die Religionsanhänger, die Mitglieder des Hauses sind. Zu den Zeremonien werden auch Mitglieder anderer religiösen Häuser eingeladen.

Jedem Initiierten ist ein orixa zugeordnet; einige dieser Gottheiten sind während der Zeremonien durch einen ihrer filhos , der in Trance geht, anwesend. Durch Tanz, Musik, Gesänge und Speisen werden die orixas verehrt. Jeder Gottheit sind eigene Farben, Gestik, Musik, Tänze, Kleidung und Gesänge zugeordnet. In einem Ritualkalender sind für jeden orixa Tage der Verehrung festgelegt. Während der Zeremonie wird die ganze Energie darauf gerichtet, die Gegenwart der orixa und ihre Verkörperung durch den filho de santo, zu ermöglichen. Im Trance-Zustand handelt der filho de santo wie „seine“ Gottheit: Er spricht, bewegt sich, tanzt und isst wie sein orixa .

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Foto: S. Montoya Bonilla

Die kurze Beschreibung am Anfang bezog sich auf eine für die Öffentlichkeit zugängliche Zeremonie. Daran nahmen Personen teil, die in Berlin leben und sich für die brasilianische Kultur, Tanz, Musik und Religion interessieren. So wie sich die Religionen Afrikas in Brasilien verändert haben, so geschieht dies auch mit dem Candomblé in Berlin. Der Raum, in dem die Zeremonie stattfand, gehört zum Foro Brasil, einem interkulturellen Zentrum, das seit März 2007 besteht und von dem Candomblé-Priester und Tänzer Murah Soares gegründet wurde. Religiöse Zeremonien werden hier regelmäßig durchgeführt. An der beschriebenen Zeremonie nahmen rund 50 Personen teil: Brasilianer, Deutsche und Angehörige anderer Nationalitäten. Die Mehrheit kam aus Berlin, aber auch aus Frankfurt und Hamburg. Das Erdgeschoss des Foro Brasil, gelegen in einem Hinterhof, ist für die mehr kulturellen Aktivitäten des Zentrums bestimmt: für Tanz- und Sprachunterricht, Treffen der Brasilianer, Vorträge und so weiter. Den ersten Stock hingegen stellt das Foro Brasil für Candomblé-Aktivitäten zur Verfügung, die den in die Religion Eingeweihten vorbehalten sind.

Die Zeremonien zur Verehrung der Gottheiten umfassen geschlossene und öffentliche Phasen. Nicht öffentlich sind die Reinigungszeremonien von Räumen und Menschen, die Zubereitung der Speisen für die entsprechende Gottheit und die Verpflegung der orixas . So sind die Speisen des geschlossenen Teils der Zeremonie vielfältiger als die des öffentlichen Teils. Nach den feierlichen Handlungen sitzen die Mitglieder des Hauses zusammen und beurteilen den Ablauf, reinigen die Räume und versorgen die orixas . Dies kann als eine Art zeremonieller Abschluss bezeichnet werden. Die Zeremonie hat mit Vor- und Nachbereitung insgesamt eine Dauer von zwei Wochen.

Murah Soares, Priester ( pai de santo ) und Leiter des Candomblé-Hauses Ilê Axé Oyá (Haus der Kraft der Oyá) ist Brasilianer und wurde in einem terreiro in Salvador de Bahia in die Religion initiiert. Er lebt seit 18 Jahren in Berlin. Die Gegenstände, die für die Ausübung der Religion notwendig sind, hat er im Laufe der Zeit aus Brasilien mitgebracht. Er möchte die Religion in Berlin bekannt machen und ein eigenes Candomblé-Haus gründen, das den Anhängern der Religion als Versammlungsraum dienen kann. Im Jahr 2002 hat er mit diesem Projekt begonnen; früher fanden die Zeremonien in einem kleineren Raum in einer Wohnung im Stadtteil Neukölln statt. Mit dem jetzigen Raum im Foro Brasil gibt es neue Entwicklungsmöglichkeiten.

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Candomblé-Zeremonie in Berlin 2008. Foto: S. Montoya Bonilla

Die Anhänger des Hauses
Etwa 10 Personen haben von Murah in Berlin schon die Einweihungen erhalten. Sie haben eine Vorinitiation erhalten und werden abiã genannt. Man kann sie als Mitglieder des Haus bezeichnen. Sie übernehmen Verantwortung für unterschiedliche religiöse Aktivitäten im Haus, die organisatorischer, finanzieller und geistlicher Natur sein können. Unter der Leitung des pai de santo treffen sie sich mindestens einmal in der Woche, versorgen die orixas und führen die rituelle Reinigung durch. Im Rahmen der Vorbereitungen zu öffentlichen Zeremonien finden die Treffen häufiger statt. Da es in Berlin keine von Murah initiierten gibt, übernehmen diese abiã Aufgaben, die in Brasilien Initiierten obliegen würden.

Die Mitglieder des Hauses bilden keine homogene Gruppe. In der Mehrheit sind es Brasilianer, die in Brasilien zum Teil auch andere Religionen praktiziert haben. Es sind Krankenschwestern, Tänzer, Schauspieler, Journalisten und Studenten, die meist schon fünf oder mehr Jahre in Deutschland leben. Viele von ihnen betonen, dass ihnen die Religion als Energiequelle sehr wichtig ist, dass sie aber auch auf sie rekurrierten, wenn es gilt konkrete Probleme zu lösen, wie zum Beispiel Arbeit zu finden.

Für einige der Mitglieder des Hauses ist das, was sie im Ilê Axé Oyá erlebt und gelernt haben, ihre erste Candomblé-Erfahrung. Als sie dann in Brasilien zu Besuch waren und dortigen Zeremonien beiwohnten, merkten sie, dass es dem sehr ähnelte, was sie aus Berlin kannten. Die Schwierigkeiten bei der Ausübung des Candomblé in Deutschland bestehen im Fehlen von religiösen Gegenständen oder Zutaten, im Verbot von Tieropfern oder im Verbot, in der Nacht Lärm zu machen, wie er beim Trommeln entsteht. Für die Mitglieder des Hauses, die in Brasilien keinen Kontakt mit dem Candomblé hatten, sind die Erfahrungen, die sie einzig in Berlin in einer kleinen Wohnung sammelten, die wichtigsten Bezüge. Aus diesem Grund kann man nicht behaupten, dass der Candomblé notwendigerweise eine Verbindung mit Brasilien herstellt. Ein Mann sagte, sein Candomblé sei aus Berlin, dort, wo er die Religion kennengelernt habe.

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Foto: S. Montoya Bonilla

Während der Zeremonien sind Verantwortung und Zuständigkeiten ganz klar definiert. Der pai de santo lernt die filhos an, damit diese die unterschiedlichen Aufgaben bei den religiösen Praktiken übernehmen. Die Köchin des Hauses ( iabaré ) zum Beispiel muss lernen, wie die Lebensmittel vorbereitet werden und welches die Speisen für die unterschiedlichen Zeremonien und die jeweiligen orixas sind. Sie erklärt: “Bevor ich anfange zu kochen, muss ich mich vorbereiten, indem ich ein Kräuterbad nehme; ich ziehe mich ganz in Weiß an und bedecke meinen Kopf. Wenn ich beginne, die Zwiebeln zu schneiden, beginnt mein Kontakt mit den orixas . Wenn man mit Lebensmitteln zu tun hat, soll man konzentriert arbeiten. Ich vermeide dabei das Reden, man braucht Ruhe.“

Unter den Teilnehmern der Zeremonien befinden sich auch die ekede. Das sind Frauen, die initiiert sind, aber nicht in Trance fallen. Sie sind für die Begleitung der Personen während der Trance zuständig. Die Trommeln und die Gesänge spielen eine führende Rolle beim Herstellen der Trance, ohne sie kann die Zeremonie nicht stattfinden, denn die Musik ordnet und strukturiert den Verlauf der Zeremonie. Es gibt drei Trommler mit ihren Instrumenten den atabaques. Die wichtigste ist die größte Trommel, die rum. Zuständig dafür ist der alabê , ein erfahrener Musiker, der initiiert ist und tiefgehende Kenntnisse der Candombé-Liturgie besitzt.

Anpassungen
„Wir müssen uns anpassen. Bei der Zeremonie zur Verehrung der orixa iemanjá im Februar zum Beispiel, als wir die Opfergaben ins Wasser bringen wollten, war es zugefroren und wir mussten mit einem Pickel das Eis aufbrechen. Man kann die Sachen nicht genau wie in Brasilien machen, wir müssen flexibel sein.“ Aus einem Interwiew.

Die Praktiken in Berlin werden nicht als Veränderung angesehen, sondern als Anpassung an die Gegebenheiten und der pai de santo besteht auf diesem Unterschied. Das Wetter, die sozialen Normen und die Umgebung sind jeweils anders als in Brasilien. Im Fall der Kräuter gibt es viele, die auch in Berlin vorhanden sind. Optimal wäre jedoch, einen grösseren Garten zu besitzen, um die für die Zeremonien notwendigen Pflanzen zu züchten. Ein geeigneter Raum dafür scheint aber zu teuer, und die Pflanzen können im hiesigen Klima auch nicht wie in Brasilien gedeihen. In Brasilien gibt es in den terreiros einen eigenen Raum für jeden orixa, in dem sich sein Altar befindet. Dies ist in Berlin noch nicht möglich. Die erforderlichen Anpassungen hängen mit dem Kontext zusammen und mit der geringen Verbreitung der Religion hierzulande. In Brasilien hat jedes Haus eigene initiierte Musiker. In Berlin ist das nicht der Fall, so dass in einigen Zeremonien Musiker spielen, die nicht zum Candomblé gehören.

Da in Brasilien die filhos de santo oft im terreiro leben, werden die unterschiedlichen Alltagspflichten unter ihnen wie in einer Familie verteilt. In Berlin ist es für die Anhänger, die in ganz unterschiedlichen Stadtteilen leben, nicht immer möglich, den alltäglichen Verrichtungen in den Candomblé-Räumen nachzugehen.

Die Verantwortlichkeiten sind im terreiro abhängig vom Grad der Initiation verteilt. Auch dies ist in Berlin anders, da dort, wie gesagt, Aufgaben von Leuten übernommen werden, die aus unterschiedlichen Gründen noch nicht initiiert sind, aber großes Engagement für die Religion zeigen. Manchmal bereiten auch die hohen Kosten Schwierigkeiten bei der Durchführung der Zeremonien. Alle Anpassungen haben auch ihre Grenzen. So kann zum Beispiel kein orixa kommen, wenn kein Initiierter zugegen ist, der ihn verkörpern kann. Deshalb wurde die Gegenwart und die Kraft der orixas bei einigen Zeremonien durch die ihm entsprechende Speise repräsentiert. Dies ist eines der neuen Elemente, die der pai de santo in Absprache mit seiner mãe de santo in Brasilien neu eingeführt hat. Auch bietet Murah vor den öffentlichen Zeremonien Workshops an mit dem Titel „Kraft der Götter - Rituelle Tänze und Gesänge“, um eine Einführung in die Welt des Candomblé zu geben, was in Brasilien so nicht gibt.

Vor 18 Jahren kam es anlässlich einer großen Kulturveranstaltung in Berlin zur Begegnung von Murah und einem kubanischen Tänzer und Priester der Santería, einer dem Candomblé verwandten Religion, die auch in Afrika ihre Wurzeln hat. Seitdem führen die Priester einige Festlichkeiten gemeinsam durch: Der kubanische santero nimmt an Zeremonien von Ilê-Asché-Oyá teil, und der pai de santo wirkt an Feiern des santero mit. Auf diese Weise entsteht in Berlin ein Austausch zwischen Personen, die Anhänger zweier unterschiedlicher afroamerikanischer Religionen sind.

Zum Ilé Axé Oyá gehen auch Personen, die in Brasilien in den Candomblé initiiert worden sind, also nicht zu Murahs Haus gehören. Sie nehmen regelmäßig an den Zeremonien des Hauses teil und stellen eine Unterstützung für Murah dar. Selbst wenn sie zu terreiros in Brasilien gehören, die anderen Traditionen folgen als Murah, richten sie sich nach seinen Regeln, solange sie in seinem Hause sind. Die wichtigsten Unterteilungen des Candomblé sind Jejé, Ketu und Angola. Diese entsprechen verschiedenen Traditionen von Ethnien in Afrika. Zwischen ihnen bestehen Unterschiede, was die Initiationsdauer betrifft, die Lieder oder die Sprache, in der gesungen wird.

Die Existenz eines eigenen Raums in Berlin, in dem ein Austausch zwischen Anhängern des Candomblé möglich ist, hilft Prozesse in Gang zu setzen, die für die Unterweisung neuer Mitglieder wichtig sind, aber auch für den Aufbau des Candomblé-Hauses selbst.

Weiterführende Literatur
South, Jérôme (2007): Pierre Fatumbi Verger. Du regard détaché à la connaissance initiatique. Paris: Maisonneuve & Larose
Vatin, Xavier (2005): Rites et musiques de possesion à Bahia. Paris: Harmattan

Zur Autorin
Dr. Sol Montoya Bonilla kolumbianische Ethnologin. Feldforschungen in Kolumbien, Nicaragua und Deutschland. Zurzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Völkerkunde der Philipps-Universität Marburg. Arbeitsschwerpunkte: Religions-Ethnologie, Migration, mündliche Überlieferungen, Amazonas-Gebiet.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008