Von Dagmar Schweitzer de Palacios
Ende Mai 2006 ging das Bild eines Shuar Schamanen durch die deutsche Presse. Seine Kleidung bestand aus einer Art Anzug aus Jaguarfell und einem Kopfband aus bunten Federn, nebst einer Kette aus Tierzähnen und einer Lanze aus Chontaholz. Er gehörte zum Begleitpersonal der ecuadorianischen Tourismusministerin, die im Vorfeld der WM nach Deutschland gekommen war. Unter dem Motto „Shaman on Tour“ besuchte die Delegation eine Reihe von deutschen Städten, um für das Land Ecuador eine touristische Werbekampagne ( promoción turística ) durchzuführen.
In Ecuador, wie andernorts auch, ist die Popularisierung schamanischer Rituale und ihrer Protagonisten Resultat komplexer gesellschaftlicher und politischer, nationaler und internationaler Prozesse, die nun im Auftritt des Shuar auf der globalen Weltbühne gipfelt.
Vom "brujo" zum "Schamanen "
Seit Beginn der spanischen Eroberung waren für die katholischen Missionare Persönlichkeiten, die vorgeblich mit den übernatürlichen Mächten in Verbindung standen und magische Praktiken durchführten, Ziel von Verfolgung und Bestrafung. Wie zahlreiche kolonialzeitliche Prozessakten zeigen, setzte eine legale Ausrottung des "Teufelswerks" ein, das in den Dokumenten als brujería (Hexerei) bezeichnet wurde. Ihre Akteure galten dementsprechend als brujos (Hexer). Dabei war die Haltung der Spanier diesen Personen gegenüber zwiespältig, denn gleichzeitig bediente man sich ihrer magischen Fähigkeiten, in der Hoffnung, sich soziale und politische Vorteile zu verschaffen. Besonders im Andenhochland, wo die Kontrolle für die spanische Verwaltung und die Kirche um ein vielfaches einfacher war, als in den unzugänglichen Tieflandgebieten, verlegte sich durch die Politik der Spanier die Ausübung der Praktiken ins Heimliche. Zwar galten sie offiziell als verpönt, doch man bediente sich ihrer für eigene Zwecke und so wurden sie schließlich stillschweigend geduldet.
Die Schamanen des Tieflandes erlangten als Anführer von Aufstandsbewegungen gegen die spanischen Kolonialherren Berühmtheit. Das viel zitierte Beispiel des Aufstands der Quijos im Jahre 1578 unter Anführung ihrer pende (Schamanen) zieht sich als Motiv durch die gesamte Kolonialzeit und macht gerade die verfolgte Figur des Schamanen zum Symbol des Widerstandes.
Damit waren bestimmte "Traditionen" über die Rezeption von Schamanen und Schamanismus innerhalb der späteren Nationalgesellschaft Ecuadors geschaffen, die sich fortsetzen und gegenwärtig auf die indigene Bewegung und populäre geistige Strömungen stoßen.
Im Zuge der indigenen Bewegung werden Schamanen durch die Politik der indigenen Organisationen zum Symbol der indianischen Identität schlechthin, gleichsam werden sie zu einer öffentliche Figur, die zu verschiedenen Anlässen und Motiven zum Auftreten engagiert wird. Ein Schamane figuriert als Anführer bei nationalen indigenen Aufständen gegen die staatliche Regierung (zum Beispiel im Februar 2001), als Protagonist indigener Feste wie das Inti Raymi und führt glücksbringende Rituale für indigene Funktionäre zur Amtseinführung durch. Nach dem Diskurs der indigenen Organisationen handelt es sich bei diesen Einsätzen des Schamanen um Wiederentdeckungen und Revitalisierungen uralter Traditionen, die sich auf Chronistenberichte oder auf Erinnerungen an die legendären Helden der Kolonialzeit stützen. Durch diese invented tradition werden Kontexte konstruiert, die unterschiedliche Räume auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene betreffen und die politisch und/oder kulturell besetzt sind.
Zweifellos bedienen sich die indigenen Organisationen auch Potentialen, die den Schamanen von internationaler Seite her angetragen und zugeschrieben werden. So führen die Organisationen ihrerseits Öko- und Gemeindetourismus-Projekte durch, bei denen Schamanen eine tragende Rolle spielen. Ebenso integrieren sie Schamanen als Experten traditioneller Medizin in entwicklungspolitische Projekte, etwa um traditionelle Kenntnisse der Flora und Fauna nutzbar zu machen. In ähnlichem Sinne hatten bereits Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Schamanen für sich als "Hüter des Regenwaldes" entdeckt, Gedanken, den die indigenen Organisationen aufgegriffen haben und diskursiv wiederum als Revitalisierung vergessener Traditionen auslegen.
Diese Prozesse führten neben der Reduzierung des Schamanen auf ein einheitliches global gültiges Bild zu einer Vereinheitlichung des Begriffes. Eine übergreifende Bezeichnung für Schamanen war bei den verschiedenen indigenen Gruppen Ecuadors nicht gebräuchlich, sondern man benutzte Eigennamen. In der ethnologischen Literatur bezeichnete man sie im südamerikanischen Raum übergreifend zunächst eher als „Medizinmann“ denn als „Schamane“. Der Begriff Schamane setzte sich mit den ethnologischen Monographien über Ethnien der Tieflandregionen durch. Die Rituale, die auf Einnahme halluzinogener Drogen basieren, stufte man als vergleichbar der ekstatischen Seelenreise nordasiatischer Schamanen ein. Die entsprechenden Ritualisten des Hochlandes wurden dagegen in ethnomedizinische Kontexte gestellt und mit dem spanischen Wort curandero oder dem Quichua-Wort yachac bezeichnet.
Inzwischen hat sich im wissenschaftlichen wie im populären Sprachgebrauch der Begriff Schamane durchgesetzt. Für die einen ist es eine Frage nicht nachvollziehbarer Abgrenzung, denn auch die Quichua Gruppen des Tieflands benutzen diesen Namen für ihre magisch-religiösen Experten, treffen namentlich also keine Unterscheidung zwischen diesen Persönlichkeiten aus Hoch- und Tiefland. Für die anderen stellte sich die Problematik der Definition erst gar nicht, da die indigenen Organisationen selbst anfingen, sich der Begrifflichkeiten des öffentlichen Diskurses zu bedienen und ihre Heilexperten als Schamanen zu bezeichnen.
Wer heutzutage als Tourist (oder Anthropologe) nach Ecuador reist, begegnet auf Schritt und Tritt dem Hinweis, gegen entsprechendes Eintrittsgeld an so genannten Reinigungsritualen teilnehmen zu können. In Hoch- und Tieflandregionen bieten „traditionelle“ Heiler auf zahlreichen Plakaten in spanischer und englischer Sprache ihre Dienste dem Vorbeifahrenden an. Im Programm von Pauschalreisen tauchen schamanische Sessionen als ein sehenswürdiges und unvergessliches Erlebnis auf. Neben individueller Teilnahme an Ritualen rufen - wie bereits erwähnt - indigene Organisationen zur gemeinsamen Feier des indianischen Sonnenwendfestes Inti Raymi auf. Hauptattraktion bildet dabei die rituelle Waschung in heiligen pugyos (Quellen), die mehrere angestellte Schamanen am interessierten und zahlenden Publikum vollziehen.
Diese Rituale entsprechen in ihrem Ablauf und ihren Elementen in etwa "traditionellen" Heilritualen, wie sie nach wie vor in indigenen Gemeinden im Rahmen schamanischer und ethnomedizinischer Kontexte durchgeführt werden. Dabei weisen sie erhebliche regionale Unterschiede auf, die auf verschiedene kosmologische Vorstellungen und ihre jeweiligen schamanischen Schulen zurückgehen. Außerdem zeigen sie sich in unterschiedlichem Maße von internen und externen Elementen beeinflusst, bilden doch gerade Austauschbeziehungen innerhalb des Schamanismus eine bis in vorspanische Zeit zurückreichende Tradition im gesamten Andenraum.
Diese traditionellen interkulturellen Austauschbeziehungen, in denen Schamanen die Rolle als "Kulturvermittler" übernahmen, begünstigten die offene Haltung einiger Schamanen gegenüber den Entwicklungsprozessen der Globalisierung. Ihre Beziehungen erweiterten sich um Klientel und Publikum, und erlangten eine neue Qualität. Die Schamanen bedienen weiterhin als medizinische Experten ihre Klientel, führen daneben als Performance ihre Rituale in der Öffentlichkeit vor. Dabei passen sie sich jeweils den Bedürfnissen ihres Auftrags beziehungsweise ihrer Auftraggeber an und werden im Zuge ihrer Karriere zu ihren eigenen Vermarktungsexperten. Ihr Tätigkeitsfeld überschreitet inzwischen Landesgrenzen. Es finden individuelle Reisen zum beispiel in die Vereinigten Staaten statt, wo sie als Heilexperten südamerikanische Migranten behandeln. Sie nehmen als Vertreter indigener Organisationen an UN-Vollversammlungen teil, oder aber werden als Publikumsattraktion bei internationalen Messen und Weltausstellungen gehandelt.
Wie das Beispiel Fußballweltmeisterschaft zeigt, hat in letzter Instanz die Figur des Schamanen den Status eines nationalen Symbols erreicht, eine Figur, die als kulturelles Vermächtnis des multiethnischen und plurikulturellen Staates Ecuadors das Land international repräsentiert. Dabei entscheiden nicht schamanische Qualitäten über die Auswahl, welcher der Schamanen Ecuadors diese Stelle als Vertretung seines Landes übernimmt, sondern indianische Attribute und die Fähigkeit, diese darzustellen. Denn für die internationale Öffentlichkeit sind Tracht und Handlungsweise eines Schamanen Zeichen seiner Authentizität. Schamanismus ist in diesem Sinne als folkloristisches Element aufzufassen. Losgelöst vom schamanischen Kontext wird der Schamane als Ausdruck lokaler und nationaler Kultur in globale Zusammenhänge gestellt, wobei das Megaereignis Fußballweltmeisterschaft globaler nicht sein könnte. Der Shuar hat durch seine Auftritte und seine weiteren, vielfältigen Vermarktungsstrategien Karriere gemacht. Allerdings kommt es bei seinem Auftritt bei der WM zu einem Rückfall: Er löste Polemik aus, da er mit schwarzmagischen Praktiken assoziiert wurde. So hat es fünfhundert Jahre gedauert, bis Schamanen in Ecuador durch Prozesse nationaler und internationaler Entwicklungen ihre offizielle Anerkennung erhielten und zu einer mannigfaltigen Symbolfigur wurden; beim Fußball jedoch wird ein Schamane trotz aller Vermächtnisse auf der Weltbühne wieder zum brujo (Hexer).
Schweitzer de Palacios, Dagmar und Bernhard Wörrle (Hg.) (2003): Heiler zwischen den Welten. Transkulturelle Austauschprozesse im Schamanismus Ecuadors. (Reihe Curupira, Band 15) Marburg: Curupira
Dr. Dagmar Schweitzer de Palacios ist Ethnologin. Promotion 1994 an der FU Berlin. Feldforschungen 1990-92 und 2000-2001 in Ecuador zum Thema traditionelle Medizin und Austauschbeziehungen im Schamanismus. 2000-2001 und 2003-2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Völkerkundlichen Sammlung der Philipps-Universität Marburg.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008