Von Andrea Lauser
Im November 2002 erregten dramatische Nachrichten im Kontext des Miss-World-Schönheitswettbewerbes eine weltweite Medienöffentlichkeit. Im Norden Nigerias, in dessen Hauptstadt Abuja der internationale Schönheitswettbewerb 2002 stattfinden sollte, ließen gewaltsame Proteste gegen dieses Ereignis mehr als hundert Tote und einige hundert Verletzte zurück. Schon im Vorfeld der Austragung des Wettbewerbes, so war zu erfahren, hatten muslimische Organisationen Proteste angekündigt. Letzter Anstoß der gewalttätigen Ausschreitungen und Plünderungen war ein Artikel in der angesehenen Tageszeitung “This Day” aus Lagos. Dort hielt eine junge, in England aufgewachsene und mit heimischen Sensibilitäten offenbar wenig vertraute Journalistin der muslimischen Kritik entgegen: "Was würde der Prophet Muhammad denken? In Ehren, er würde sich wahrscheinlich eine Ehefrau unter den Teilnehmerinnen ausgesucht haben."
Der Schönheitswettbewerb zog aber auch Proteste aus ganz anderen Teilen der Welt auf sich: Mitstreiterinnen aus den verschiedensten Nationen boykottierten diese Veranstaltung. Sie wollten nicht in ein Land kommen, wo Scharia-Gerichte Frauen wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs und unehelich geborener Kinder zum Tode durch Steinigung verurteilt hatten.
Schönheitsschauen, so lässt sich feststellen, finden überall auf der Welt statt, ziehen lokales und internationales Publikum an und verbinden alle möglichen Interessengruppen und Themen. Spätestens ab den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts lassen sich Schönheitskonkurrenzen auch als Teil der Dekolonisierung und Nationalisierung in den so genannten Entwicklungsländern der Dritten Welt nachweisen - mit Südamerika, Südostasien und der Karibik als führenden Regionen. Heute geht man davon aus, dass ein „Miss Universe“-Wettbewerb in 87 Nationen von über 800 Millionen Menschen via Satellitenfernsehen zur Kenntnis genommen wird.
Schönheitswettbewerbe finden vor allem auf drei organisatorischen Ebenen statt, die sowohl voneinander unabhängig sein können als auch - als Vorentscheidung für die nächste Ebene - miteinander verwoben sind. Diese drei beziehungsweise vier Typen von Schönheitswettbewerben entstammen unterschiedlichen Traditionen von kolonialer und postkolonialer Aneignung.
Die Bewertung erfolgt nach einem Punktsystem, das in verschiedene Kategorien untergliedert ist: Es sind dies in der Regel ein off-stage-interview und ein "spontanes", öffentliches on-stage-interview , häufig verbunden mit einem Kurzvortrag über ein selbst gewähltes Thema. Es folgt die talent competition , das ist die Vorführung einer selbst gewählten Fertigkeit, die häufig aus der "Kultur" und "Tradition" der Kandidatin entstammt. Die folgende swimsuit competition - das Auftreten im Badeanzug - gilt als die Szene, die durch die Zurschaustellung des weiblichen Körpers am meisten Kontroversen hervorruft. Und gleichzeitig verlangt es von den Mitstreiterinnen ganz besondere Disziplin und Körperkontrolle. Meist schließt der Wettbewerb mit der evening gown competition , dem Auftreten im kreativen Galakostüm oder Abendkleid.
Auf lokaler Ebene finden Schönheitskonkurrenzen häufig in Zusammenhang mit ländlichen Dorffesten statt, fügen sich also in den tradierten Festkalender. Dabei wird die lokale Orientierung betont, die Repräsentation der eigenen spezifischen Tradition nach außen, die sich gerade abhebt von der standardisierten internationalen Form.
Auf regionaler Ebene repräsentieren Schönheitsschauen beispielsweise eine touristisch interessante Region oder eine Gegend mit spezifischer exportorientierter Landwirtschaft. Sie stehen für ein College oder eine Universität, für Unternehmen oder für politische Parteien. Häufig gehören zum Rahmenprogramm Ausstellungen und Messen von landwirtschaftlichen Produkten und lokalem Kunsthandwerk, Paraden, Jahrmärkte und Sportveranstaltungen.
Nationale Schönheitswettbewerbe orientieren sich an internationalen und "westlichen" Standards, da die Qualifizierung für eine Beteiligung auf der internationalen Wettbewerbsebene angestrebt wird. Unterstützt wird dies durch die zunehmende Einflussnahme von privaten Sponsoren, die an die Interessen der internationalen Modeindustrie geknüpft sind. Die Festlegung der Beurteilungskriterien der Jury kann zu öffentlichen Debatten führen, die sich bisweilen in heftige Auseinandersetzungen um die Frage nach nationalen, ethnischen und lokalen Identitäten, nach Moralvorstellungen und ästhetischen Bewertungen entzünden können. Auch wenn die Streitfragen trivial erscheinen, berühren sie dennoch vitale Aspekte:
So empörte sich beispielsweise ein Großteil des malischen Publikums im Jahr 1994 beim "missi-Preis von Bamako", einem Schönheitswettbewerb, der von der regierungsnahen Radio- und Fernsehstadion organisiert wurde, über die Wahl einer selbstbewussten, hellhäutigen und dünnen Kandidatin, die alles andere als die ideale Frau nationalen Stolzes verkörpere. Dabei war der auslösende Stein des Anstoßes der Kommentar der frisch gekrönten Königin, sie sei über den Sieg alles andere als überrascht, im Gegenteil, sie hätte ihn erwartet. Wochenlang diskutierten die Menschen über die Tatsache, dass eine metisse , eine Mestiza, die ja gerade keine typische malinesische Frau repräsentiere, den Schönheitswettbewerb gewonnen habe. Im Übrigen, so wurde argumentiert, wären die südlichen, der Hauptstadt nahen Regionen Malis überrepräsentiert gewesen, im Gegensatz zu den nördlichen Regionen, die nur von einer einzigen - dafür aber richtigen, "üppigen" Frau vertreten waren. Diese Bewerberin wurde allerdings als plump und als eine "Frau vom Busch" lächerlich gemacht.
Die Miss-Italien-Wahlen im September 1996 führten zu einer nationalen Selbstreflexion, als Denny Mendez, eine dunkelhäutige karibische Immigrantin, inmitten heftiger Kontroversen bezüglich nationaler Identität zur Miss Italien gekrönt wurde. Kommentare in allen italienischen Zeitungen interpretierten Mendez Sieg als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz einer multikulturellen Nation. Man räsonierte über die Relativität von Schönheit und die Frage, was es heißt, Italienerin zu sein. Hier wird deutlich, dass Weiblichkeit, Schönheit und kulturelle Identität immer an - meist undefinierbaren Kategorien - wie Rasse und Klasse gebunden sind.
Auf internationaler Ebene führen die Miss-World-Wettbewerbe - wie nicht anders erwartet - die Dramen eines westlichen kulturellen Imperialismus vor, in denen die Körper nicht westlicher Frauen auftreten, um das internationale Ansehen und die Modernisierung ihrer Länder zu repräsentieren.
Belize zum Beispiel ist ein multiethnisches Land in Zentralamerika, das aufgrund der kolonialen Geschichte zur Karibik gerechnet wird. Im Jahr 1981 erhielt es die vollständige Unabhängigkeit vom Britischen Empire.
Der Beginn von Schönheitswettbewerben in Belize lässt sich auf das Jahr 1946 zurückverfolgen, als im Kontext einer antibritischen Unzufriedenheit zwei politische Parteien entstanden: eine gewerkschaftlich orientierte Peoples United Party (PUP) und eine loyalistische Bewegung kolonialer Funktionäre Loyal and Patriotic Order of the Baymen (LPOB). Letztere organisierte über eine Gruppe junger weiblicher Anhängerinnen die erste Wahl der Queen of the Bay . Ihre Queen sollte all die Charakteristika repräsentieren, die mit den Werten der “Respektabilität” verbunden sind, nämlich aus einer “angesehenen”, das heißt kleinen, religiösen Familie stammen und bescheiden, gebildet und jungfräulich sein. Entsprechend wurden die Wettbewerbskategorien “Erziehung und Herkunft” betont. Die Präsentationen fanden ausschließlich in formaler Kleidung statt, und die Bewerberinnen marschierten zu patriotischer Musik, tanzten Hoftänze, beantworteten historische Fragen und betonten ihre Loyalität zum Empire. Zu den Schiedsrichtern zählte der britische Gouverneur.
Im selben Jahr, 1946, organisierte die ethnische Gruppe der Garifuna, die ihr Erbe als eine Mischung aus Afrika und Karibik ansehen, im Süden der Kolonie ihren eigenen Schönheitswettbewerb. Sie wählten im Kontext ihrer jährlichen Feierlichkeiten anlässlich ihrer Ankunft die Queen of the Settlement . Diese Qualifikation umfasste das Sprechen von garifuna , Kenntnisse der Volkskultur und das Tanzen zur Trommelmusik.
Schon von Anfang an inszenierten belizische Schönheitswettbewerbe also sowohl die Werte der Kolonisatoren, interpretiert durch eine lokale Elite, als auch die einer ausgeschlossenen lokalen Minderheit, die um Anerkennung und Identität kämpfte.
Im Jahr 1952 reagierte die nationalistische Partei PUP mit der ersten Miss British Honduras , die ab 1973 mit der Namensänderung des Landes in Miss Belize umbenannt wurde. Im Gegensatz zur loyalistischen Queen of the Bay wurde weniger Respektabilität und mehr körperliche Schönheit betont. Es wurde Mode vorgeführt, populäre Musik gespielt, und die Interviews zielten deutlicher auf politische Themen und auf lokale und nordamerikanische Kunst und Kultur.
Die Rivalität zwischen den beiden Parteien spiegelte sich wider in der Rivalität der beiden Schönheitsschauen, bis die konservative Partei im Jahr 1984 die nationale Wahl gewann und beide Schönheitsschauen, Miss Belize und Miss Queen of the Bay , als nationale Ereignisse ausrichtete. Allerdings übernahm die PUP im Jahr 1989 wieder die Regierungsmacht, und die parteipolitischen Funktionäre verdrängten auch wieder die politischen Gegner aus den verschiedenen Komitees der Miss Belize .
So stand der Schönheitswettbewerb um Miss Belize von Beginn an unter dem Zeichen einer ambivalenten Spannung: Im Prozess der Vereinheitlichung von Ansprüchen an die Nation bewirkte die Schönheitsschau genau das Gegenteil, indem sie beharrlich Trennlinien und Uneinigkeit vorführte. Das System der Schönheitskonkurrenzen breitete sich rasch bis auf die dörfliche Ebene aus und überzog das Land mit einem Netz von Schönheitsschauen - in Rivalität zu den anderen.
Familiäre, regionale, ethnische und politische Trennlinien werden regelmäßig unter den Mitstreiterinnen, den Organisatoren und dem Publikum als auch in den Tagespressen leidenschaftlich verhandelt und moniert. Wie ein beständiger Refrain werden die unterschiedlichen Standards von Schönheit zum Konflikt und die Favorisierung internationaler Maßstäbe wird beklagt. Organisatoren nationaler Schönheitskonkurrenzen quält der Umstand, dass die Bewerberin, die dem belizischen Publikum gefällt, niemals auf der Miss World wird gewinnen können. "Wir könnten ein großes, dünnes Mädchen hier finden, das die Miss-World-Wahl gewinnen könnte ", berichtet ein Organisator dem Ethnologen Wilk, "aber es würde an den lokalen Vorwahlen scheitern ... wo Mädchen bevorzugt werden mit üppigen Körpern, kurz und schmal oben herum, an Po, Hüften und Oberschenkeln aber kräftig."
Über Schönheit kann nicht objektiv geurteilt werden. Sie kann nicht präzise definiert werden, und genau deswegen führen Debatten über Schönheit zu Debatten über wesentliche Werte. Daher ist die Beurteilung von Schönheit eine Angelegenheit, die Menschen gleichzeitig trennt und zusammenbringt. Während sie in ihren Definitionen von Schönheit und Geschlecht nie vollständig übereinstimmen werden, können sie oft über die Bedingungen ihrer Uneinigkeit einer Meinung sein.
Schönheitskonkurrenzen erlauben den Zuschauern verschiedene Positionen einzunehmen, zwischen Stadt und Land, zwischen Norden und Süden, zwischen "authentischer" eigener Kultur und westlichen, fremden Einflüssen.
Gekürzte Version aus: Was sucht die Ethnologie auf dem Laufsteg? Lokale Schönheitskonkurrenzen als „Riten der Modernisierung“, in: Anthropos, 99.2004: 469-480
Cohen, Colleen Ballerino; Richard Wilk, and Beverly Stoeltje (eds.) (1996): Beauty Queens on the Global Stage. Gender, Contests, and Power. New York/London: Routledge
Schulz, Dorothea E. (2000): Mesmerizing Missis, National Musings. Beauty Pageants and the Public Controversy over ‘Malian’ Womanhood. Paideuma 46: 111-135
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Wilk, Richard (1998): Miss World Belize. Globalism, Localism and the Political Economy of Beauty
(Internet:
26.3.2003)
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008