Von Pater Johannes Hämmerle, Gunung Sitoli, Nias
Vom 20. bis 31. März war ich auf Sumatra. Das Erdbeben erlebte ich in der Missionsstation Pangaribuan auf Sumatra um 23.09 Uhr Ortszeit, ca. 10 Minuten lang.
Vielleicht steht alles in einem großen Zusammenhang:
26. Dez. '04, zweiter Weihnachtstag, 8.oo Uhr, Erd- und Seebeben 7 Minuten lang. 118 Tote.
28. März '05, Ostermontag, Erdbeben mit einer Stärke von 8,7 auf der Richterskala.
31. März '05, Heimgang eines großen Papstes in der Osteroktav: Mane nobiscum Domine.
04. April '05, 40-jähriges Priesterjubiläum von P. Hadrian Hess; die Feier fällt aus.
Ende März 1955 kamen die ersten 6 Kapuzinermissionare der Rheinisch Westfälischen Provinz nach Nias. Das für diesen Monat geplante 50-jährige Jubiläum wird m.E. ausfallen.
Die Beben mit Epizentrum Banyak-Inseln
55 km von der Nordspitze der Insel Nias entfernt und in einer Tiefe von 35 km lag das Epizentrum. Das bzw. die Beben lösten keine Flutwellen aus, hatte aber eine verheerende Wirkung.
28. März '05 = 1. Tag : 29 spürbare Beben, max. Stärke 8,7 RS.
29. März '05 = 2. Tag : 18 spürbare Beben, max. Stärke 6,6 RS.
30. März '05 = 3. Tag : 17 spürbare Beben, max. Stärke 5,8 RS.
31. März '05 = 4. Tag : 08 spürbare Beben, max. Stärke 5,0 RS.
01. April '05 = 5. Tag : 04 spürbare Beben, max. Stärke 5,0 RS.
02. April '05 = 6. Tag : 04 spürbare Beben, max. Stärke 5,0 RS.
03. April '05 = 7. Tag : -- spürbare Beben, max. Stärke 5,0 RS.
04. April '05 = 8. Tag : 03 spürbare Beben, max. Stärke 4,8 RS.
Die Opfer auf Nias bis zum 05. April '05
Nias ist in zwei Länder/Landesregierungen aufgeteilt: Nias mit 14 Regierungsbezirken und Süd-Nias mit acht Regierungsbezirken. Nias mit 481 Todesopfern, Süd-Nias mit 141 Todesopfern; zusammen 622. Schwer Verwundete wurden mit Helikoptern nach Sibolga, nach Medan oder nach Singapore geflogen. Unser P. Barnabas Winkler, derzeit Administrator der Diözese Sibolga, war im nicht total eingestürzten neuen Pfarrhaus in Gunung Sitoli eine Stunde lang eingeschlossen, bevor man die Zimmerwand aufbrechen und ihn herausholen konnte. Er erlitt u.a. zwei Kopfwunden, die provisorisch genäht wurden. Dann wurde er ins Elisabeth-Krankenhaus nach Medan geflogen.
Gestern kam die Morrison, das große Lazarettschiff der US-Army, welches weit draußen im Meer vor Nias liegt. Verwundete könnten gratis per Hubschrauber aufs Schiff gebracht und dort behandelt werden. Vermutlich besteht aber dafür kein Bedarf mehr.
Als Opfer sind auch zu nennen die neun Helfer aus Australien, welche beim Absturz des Puma-Hubschraubers in Amandraya, Süd-Nias, ums Leben kamen.
Flüchtlinge
Die Zahl der Flüchtlinge wurde am 5. April mit 8.643 angegeben. In der ersten Woche nach dem Beben waren im Kloster unserer Klarissen 700 untergebracht und im angrenzenden Garten in Zelten 300. Die Franziskanerinnen (von Salzkotten) hatten 300 Flüchtlinge und im Kursushaus der Kapuziner, wo die beiden Schwestern Erminolda Zoller und Thoma Albrecht arbeiten, waren es 400. Insgesamt also 1.700 Flüchtlinge, die auch alle versorgt wurden.
Die materiellen Schäden
Aufgrund der Zahl der Opfer wird schon ersichtlich, dass diesmal die Stadt Gunung Sitoli am stärksten betroffen wurde. Dies war bis vor gut einem Jahr die Hauptstadt für die gesamte Insel Nias und die umliegenden Inselgruppen. Ein Bauboom hatte eingesetzt. In den letzten 20 Jahren wurden viele meist zwei oder dreistöckige Häuser gebaut: Geschäfte, Schulen, Privathäuser, Regierungsgebäude usw. Oft geschah dies ohne gediegene Baupläne, ohne statische Berechnung, ohne genügende Fundamente, ohne die erforderliche Qualität von Betoneisen und Zementmischung. Die Gebäude sanken oft in sich zusammen und der dritte Stock wurde dann wie zum Parterre. Deshalb wurden die Leute in den oberen Stockwerken häufig gerettet. 80 Prozent der mehrstöckigen Häuser sind zerstört oder so schwer beschädigt, dass sie abgerissen werden müssen. Der Sekretär des Landeschefs sagte mir gestern, alle 80 Regierungsgebäude in Gunung Sitoli seien kaputt.
Der Chinese Johannes Bie als Beispiel
Er war mit seiner Familie im oberen Stockwerk eingeklemmt. Sie konnten sich aber befreien oder wurden befreit. Seine Frau starb. Er nannte mir € 25.000 als Wert seines Warenlagers, von dem nun die Hälfte kaputt sei. Er wohnt jetzt als Flüchtling bei Sr. Erminolda Zoller in unserm Kursushaus auf dem Laverna-Berg. Die restlichen Waren bringt er nun zu unserm Museum. Wir haben ihm dort zwei Räume als Zwischenlager gegeben. Tagsüber werden die eingestürzten Häuser von Militär bewacht. Aber in der Morgen- und Abenddämmerung wird viel gestohlen. Zudem ist es ein Wettlauf mit den großen Baggern, die immer näher kommen und dann alles topfeben abtragen: tabula rasa.
Mangelnde Infrastruktur
Bei der Springflut in Sirombu und an der West-Küste von Nias gab es in den beiden betroffenen Regierungsbezirken noch keine Telefonverbindung. Und nach dem Ostermontag-Beben waren nun viele Straßen unterbrochen oder sind es noch. Ein deutscher Geologe sagte mir vor kurzem, er kenne kein Gebiet in Deutschland, welches so schwierig sei für den Bau von Straßen oder Gebäuden wie Nias. Es fehlt an stabilem Untergrund, und hinzu kommen die tektonischen Verwerfungen und Brüche.
Die Hilfsorganisationen NGO/NON PBB
Im Nu verwandelte sich das Bild der zerstörten Stadt: Militärschiffe, Fährschiffe und andere in Mengen mit Leuten und Waren. Ein Verkehrschaos, Lärm, Staub und Verwesungsgeruch auf den Straßen. Das Haus des Landeschefs gleicht einem Zeltlager. Hilfsorganisationen aus 13 Ländern (soweit bekannt), u.a.: HELP, Malteser, HOPE, Johanniter aus Deutschland / Kanada; Caritas Österreich in Zusammenarbeit mit Caritas aus Deutschland, Süd-Tirol und Caritas International. - Frankreich, Holland, USA, Kroatien, China, Singapur, Malaysia, Japan, Korea, Russland, Türkei, Australien und Schweiz.
Medizinische Versorgung wurde und wird geleistet von UNICEF, Rotes Kreuz von Spanien und Frankreich, den Organisationen WHO, USAID, IFBC, IBI, IMC, PSB, Mercy (Malaysia & Singapur). Viele Krankenschwestern von kath. Krankenhäusern und Polykliniken sind im Einsatz. Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. Die Diözese Sibolga arbeitet eng zusammen mit der Caritas, koordiniert durch Herrn Christian Zeininger, Pastor Rantinus Manalu und P. Raymond La'ia OFM Cap. In Sibolga wurde ein kleines Schiff gechartert, das nun zwei Wochen lang Nahrungsmittel und andere Dinge von Sibolga nach Gunung Sitoli bringt.
Journalisten und Kameraleute
Ebenso wie die großen Hilfsorganisationen waren auch die Journalisten und Kameraleute zur Zeit des Erdbebens nicht allzu weit von Nias entfernt. Sie kamen schnell von Sri Lanka, Thailand oder Aceh nach Nias. Ausgerüstet mit den modernsten Geräten können sie überall sofort den Kontakt mit ihren Agenturen herstellen, während unser Telefon im Kloster Laverna in Gunung Sitoli bis heute noch nicht funktioniert. Bei uns im Museum waren außer verschiedenen indonesischen Reportern auch schon Reporter von Le Parisien und ein französisches Fernsehteam untergebracht. Letztere kamen am 1. April, wurden aber sofort wieder abgerufen um in Rom präsent zu sein. Sie waren nur eine Nacht hier.
Durch die Journalisten und Kameraleute wird nun unsere Insel in der Öffentlichkeit bekannt. Doch nach einiger Zeit wird die Insel dann wieder in Vergessenheit geraten. Hoffen wir, dass bis dahin ein Teil des Wiederaufbaues schon geleistet ist.
Die Gerüchte
Infolge von des Tsunami am 26. Dezember '04 und der Beben vom 28. März '05 und in den Tagen danach entwickelte sich eine Panik unter der Bevölkerung, welche durch die Gerüchteküche noch verstärkt wurde: „Nächste Woche wird die Insel Nias untergehen“. Viele Leute strömten zum Hafen, um sich auf Schiffen nach Sumatra in Sicherheit zu bringen. Ich lief am Sonntag, 3. April, mit einem Plakat im Hafen herum. Kurz der schriftliche und mündliche Inhalt meiner Botschaft: "Gott hat unsere geliebte Insel geschaffen. Sie geht nicht unter. Geht zurück in Eure Dörfer, betet und arbeitet! Glaubt an Gott und nicht an die Gerüchte!"
Das Pusaka Nias-Museum
Unsere Ordensleitung hatte geplant, das Museum am 18. April '05 einzuweihen. Ich hatte schon gegen Ende letzten Jahres aus verschiedenen Gründen abgesagt. Von Erdbeben war damals noch keine Rede. Es trifft sich also gut. - Die vier großen und zusammenhängenden Pavillons haben Gott sei Dank das Beben gut überstanden. Doch im Innern gibt es beträchtliche Schäden. Unter anderem gingen elf große Glasvitrinen kaputt und einiges mehr. Der Fernsehapparat, den wir für Schulklassen gebrauchen zum Vorführen von Kulturfilmen, fiel herab ebenso auch Computer, Figuren usw. Im Garten fielen 100 m Grenzmauern um. Mit den Reparaturen werden wir einige Zeit beschäftigt sein.
Zuvor aber haben wir hier die Hilfsorganisation der Johanniter aufgenommen. Ihre Lastwagen fahren ein und aus. Sodann die Journalisten u.a. mehr.
Dank allen!
Es ist ein erhebendes Gefühl, diese plötzliche weltweite Solidarität, Mitmenschlichkeit und Hilfe zu erleben, wie sich Leute aus aller Welt auf dieser kleinen Insel treffen und zusammenarbeiten, um den Menschen hier zu helfen. Ich weiß es wirklich zu schätzen. Dank allen, die in der Nähe oder aus der Ferne mithelfen!
Mit herzlichen Grüßen aus Nias
P. Johannes M. Hämmerle OFM Cap
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008