Von Dieter Kramer
"Ein Computer kann sich nicht freuen!" Mit diesem Hinweis begründete Johanna Agthe, warum sie dem persönlichen Gespräch mit dem Besucher den Vorzug vor allen interaktiven Computer-Spielereien gab.
Dass im Museum für Völkerkunde in Frankfurt am Main seit 1974 eine bedeutende Sammlung zeitgenössischer afrikanischer Kunst zustande kam, ist vor allem ihr zu verdanken. Sie begann sich mit dieser Kunst zu beschäftigen, „weil es nicht mehr gerechtfertigt schien, nur die klassische afrikanische Kunst und die der frühen Kolonialzeit auszustellen, zu behaupten, das sei die afrikanische Kunst, und danach ein Vakuum zu lassen und so zu tun, als käme nichts mehr.“ (Johanna Agthe: Zeitgenössische afrikanische Kunst im Museum für Völkerkunde und in dessen Galerie in Frankfurt a. M. In: Internationales Afrikaforum 34. Jg. 3/1998, S. 277-280, S. 277).
Anfangs waren ihre diesbezüglichen Aktivitäten nicht willkommen: Dass sie sich auf Kunst spezialisierte in einem Museum, das sich damals vor allem als eine sozio-politische Institution verstand, stieß nicht auf Zustimmung. Erst Jahrzehnte später wurde der selbstverständliche Zusammenhang von Kunst, Gesellschaft und Politik wieder stärker betont, und man kann sagen, dass Johanna Agthe in den 1970er Jahren ihrer Zeit diesbezüglich voraus war. Überzeugend ließ sich die Bedeutung der Kunst etwa in der Ausstellung „Tagewerke“ erkennen, in der 1999/2000 zeitgenössische Kunst aus Ostafrika in ihrer Verknüpfung mit dem Lebensprozess dieser Gesellschaften gezeigt wurde.
Sie verteidigte die zeitgenössische afrikanische Kunst gegen die Unkenntnis und die Vorurteile des Faches, wandte sich dabei immer auch an die Besucher der Ausstellungen, ihnen die Begegnung erleichternd durch direktes Zitieren der Künstler und immer wieder durch nach Frankfurt geholte Künstler. Häufig zusammen mit Christina Mundt-Beisel, auch mit der Designerin Bettina Kubanek, erarbeitete sie Ausstellungen, Kataloge und Begleithefte für Kinder: Der satirische Zeichner Oswaggo, der Maler Eric Ndlovu sind ihre Themen, daneben zahlreiche andere afrikanische Künstlerinnen und Künstler. Und schließlich ist es der ugandisch-kenianische Maler Jak Katarikawe, dem sie eine wunderbare Ausstellung und einen für heutige Verhältnisse opulenten Katalog widmete – ihr letztes, gleichsam krönendes Werk für das Museum. Jean-Christophe Ammann, der frühere Leiter des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, rühmt in seinem Beitrag für die Jubiläumspublikation des Museum der Weltkulturen Ansichtssachen (Frankfurt am Main 2004) Katarikawes intensivste Werke der 1970er Jahre als Bilder, „von denen man sagen kann: Sie gehen unter die Haut“.
Zahlreiche Reisen nach Afrika, vor allem Kenia, schaffen feste Verbindungen. Sie reiste dorthin auch noch in Zeiten der Krankheit, als sie die von ihr verlangte volle Arbeitstätigkeit im Museum nicht mehr leisten wollte und konnte. Dank ihrer sind mehr als 25 Jahre Kunstentwicklung in Kenia in der Frankfurter Sammlung zu verfolgen.
Neben der Kunst hat sie andere Bereiche nicht vernachlässigt. Den Übergang von den traditionellen Sammelobjekten zur Kunst bildet das Projekt „Kunst? Handwerk in Afrika im Wandel“ (Ausstellung und Publikation 1975). Ganz im Metier der Ethnologie ist das Projekt „Ehe die Gewehre kamen. Traditionelle Waffen in Afrika“ (Ausstellung und Publikation) und der große Sammlungskatalog „Waffen aus Zentral-Afrika“. Der Sammlungskatalog Luba Hemba von 1983 macht eine bedeutende Sammlung afrikanischer traditioneller Plastik, ein lange nicht gezeigtes Herzstück des Museums, der Öffentlichkeit bekannt. Als Mitherausgeberin der Museumszeitung „Der Stamm“ bewies sie die Fähigkeit, ethnologische Themen und Informationen aus den unterschiedlichen Abteilungen des Museums in einfacher und klarer Sprache einem nicht fachlich geschulten Leserkreis interessant wie auch vergnüglich zu vermitteln.
Ihr Lebensweg: Geboren am 7.9.1941, Tochter des Verlagsbuchhändlers Siegfried Agthe und seiner Frau Margarethe. Flüchtlingskind mit Flüchtlingsausweis A. Einmal hat sie uns für die Ausstellung Fremde. Die Herausforderung des Anderen (1995-97) jenen Koffer geliehen, den ihre Familie auf der Flucht dabei hatte.
Von Berlin zunächst ins Erzgebirge, dann ins Sauerland verschlagen. Gymnasium zunächst in Brilon, dann Abitur in Hamburg. Studium zunächst der Geschichte (1961f.), dann (ab 1963) Völkerkunde in Göttingen, 1964/65 Wien. Göttinger Dissertation „Die Abbildungen in Reiseberichten aus Ozeanien als Quelle für die Völkerkunde (16. bis 18. Jh.) (1967/4.8.1969).
Sie wollte einmal Journalistin werden, deswegen ist ihr Vermittlung immer besonders wichtig gewesen. Wissenschaftliche Hilfskraft in Göttingen 1.10.1966 - 31.12.1967, vom 1.2.1968 bis 31.12.1970 erst als Volontärin, dann als wissenschaftliche Angestellte in Berlin, Museum für Völkerkunde (SMPK), wo sie als Volontärin u.a. in der Abteilung Südasien indonesische Textilien bearbeitet und 1968 eine Ausstellung zu Kunsthandwerk aus Indonesien mit verantwortet. Dort ist sie die erste Leiterin des Junior-Museums, und auch damit ist sie bereits wegweisend und innovativ für die deutschen ethnologischen Museen. Als dann im Jahr 2000 im Frankfurter Museum für Völkerkunde (das dann Museum der Weltkulturen hieß) das IKAT (Interkulturelles Atelier) als pädagogische Abteilung eingerichtet wurde, hat sie die dafür notwendigen Umstrukturierungen tatkräftig unterstützt.
Neben Ostafrika war auch die Insel Sumatra (Indonesien) ihr Forschungsreiseziel und im Museum für Völkerkunde Frankfurt am Main Thema einer zweiten großen Ausstellungen ( Arm durch Reichtum 1979). In Berlin lernte sie auch die Abteilung Afrika kennen, realisierte dort 1970 die Ausstellung Fetisch, Amulett und Talisman und bearbeitete eine Sammlung ostafrikanischer Amulette. Seit dieser Zeit war Afrika Schwerpunkt ihrer Arbeit, und es war keine romantische Schwärmerei, wie bei manchen, denen schon in der Kindheit dieser Kontinent zum Thema wurde. Der eher nüchterne und sachliche Zugang erleichterte ihr vielleicht auch die Würdigung der zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten.
Am 1.2.1971 beginnt sie in Frankfurt am Main als Museumsangestellte, zum 1.9.1973 wird sie Kustodin, zum 1.1.1986 Oberkustodin und damit Stellvertretende Leiterin bis kurz vor ihrer vorzeitigen Pensionierung zum 28.02.2003, zu der sie sich veranlasst sah, weil sie nicht mehr voll arbeiten konnte. In diesen Jahren realisiert sie die genannten Projekte. Sie hat auch zur Geschichte des Museums recherchiert (an der Jubiläumsschrift von 2004 wollte sie sich nicht mehr beteiligen, weil das Museum sich zunehmend von ihr entfremdet hatte).
Als ich 1990 ins Museum für Völkerkunde kam, habe ich gerade auch durch die Lektüre ihrer Texte viel gelernt, und bei meinen eigenen Ausstellungen habe ich ihre Kenntnisse und Kooperationsbereitschaft schätzen gelernt. Ihre eher scheue Zurückhaltung und Bescheidenheit, entwickelt und fortgesetzt vielleicht als Schutz gegen Verletzungen in einem wenig rücksichtsvollen Betrieb, wurde oft missverstanden. Damit hat sie sich während ihres Berufslebens geschützt.
Gern hätte ich ihren Rat und ihr Interesse auch weiterhin mit der zeitgenössischen afrikanischen Kunst im Museum der Weltkulturen verbunden gesehen. Dass die große, bedeutende Katarikawe-Ausstellung von Frankfurt in die Lebenswelt des Künstlers nach Nairobi und Kampala gebracht wird, wurde durch mannigfaltige Hindernisse verzögert, und noch immer ist unsicher, ob es gelingen kann. Am 20. Februar 2005 verstorben, kann Johanna Agthe den Dank für Ihre Arbeit an der afrikanischen Kunstszene, der ihr dabei ausgesprochen worden wäre, nicht mehr entgegennehmen.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008