WEIHNACHTEN IN DER STADT LAMBAYEQUE/PERU

Notizen einer Feldforschung

Von Bernd Schmelz

Weihnachten in der Stadt 1
Foto: Bernd Schmelz

Die Vorbereitungen für die weihnachtliche Gestaltung in den Häusern der peruanischen Stadt Lambayeque (Hauptstadt einer Provinz gleichen Namens an der Nordküste, etwa 40.000 Einwohner) begannen 1998 etwa ab dem 1. Dezember. Viele Familien hatten Anfang Dezember bereits einen Weihnachtsbaum und eine Krippe im Wohnzimmer stehen. Die Dekorationen waren aber zumeist noch nicht fertig. Manche bastelten ihren Schmuck selbst, die meisten kauften ihn aber fertig auf dem Markt. Die Dekorationen in den Straßen und Geschäften der Stadt waren erst Mitte Dezember weitestgehend installiert. Geschäfte und Restaurants legten auf eine schöne Weihnachtsatmosphäre besonderen Wert. Am beliebtesten waren in diesem Jahr elektrische Lichter mit Weihnachtsklängen und große Plastiknikoläuse. Restaurants, Banken und Geschäfte installierten wie die Privathäuser eine Krippe in ihren Räumlichkeiten.

Die Weihnachtsbäume waren wie der Baumschmuck aus Kunststoff. Sie spielen im Vergleich zu den Krippen eine untergeordnete Rolle und haben nur dekorativen Charakter, die angekommenen Geschenke und Weihnachtskarten werden darunter gelegt. Unmittelbar nach der Niederlegung des Gotteskindes um Mitternacht des Heiligen Abends betet jeder für sich vor der Krippe. Gemeinschaftliches Singen vor dem Weihnachtsbaum gibt es nicht. Der Schmuck des Baumes setzte sich 1998 vor allem aus roten Kugeln, die Äpfel symbolisieren sollten, und kleinen goldenen Bischofsstäben zusammen. Obligatorisch war eine elektrische Lichterkette, die oftmals weihnachtliche Klänge von sich gab. Der Ton war allerdings abstellbar. Weihnachtskarten wurden gerne geschrieben, und auch innerhalb der Stadt war es üblich, Karten an Verwandte, Freunde und Kollegen persönlich zu verteilen.

Am 24. Dezember, dem Heiligen Abend, war am Vormittag und auch noch am Nachmittag Hochbetrieb in den Geschäften von Lambayeque und Chiclayo, wohin ebenfalls viele Lambayecanos fuhren, um ihre Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Geschenke wurden vor allem für die Kinder als unverzichtbar angesehen. Die Verkaufshits waren in jenem Jahr sprechende Puppen, laufende und sprechende Roboter und anderes Fantasy-Spielzeug, das mit Batterie betrieben wurde. Viele der gefragtesten Modelle waren schon früh sowohl in Lambayeque als auch in Chiclayo ausverkauft.

Am Nachmittag brachten viele Familien ihren vorbereiteten Truthahn in eine Bäckerei, wo er - gebacken - gegen 23 Uhr wieder abgeholt werden konnte. Der Truthahn ist in der ganzen Region das obligatorische Weihnachtsfestessen.

Um 16 Uhr begann im Zentrum von Lambayeque der Auftritt der damals neuen Tanzgruppe der Chapetona. Den Anfang bildete die Figur des Bären, dargestellt von einem jungen Mann, der mit einer Maske aus Kalebasse und einem aus Fellstücken zusammengesetzten Gewand verkleidet war. Nach ihm folgte die Chapetona, ein als Frau verkleideter junger Mann, der ein rosafarbenes Kleid, eine Perücke und eine Sonnenbrille der Marke „Ray Ban“ trug. Weitere zentrale Figuren waren „Der Affe“, „Der Alte“ mit einer Perücke aus roten Haaren und „Die Alte“, ebenfalls mit einer roten Perücke. Daneben gab es noch weitere acht Fantasie-Figuren, die eine eher begleitende Funktion hatten. Die Gruppe trat in diesem Jahr erstmalig in dieser Zusammensetzung und unter der Bezeichnung Chapetona auf.

Die „Chapetona“ stellte nach Aussagen von Informanten eine eingebildete Frau dar, die sich übermäßig schminkt und großen Wert auf Markenartikel legt. Zum Ausdruck gebracht wurde dies durch eine übertriebene Bemalung von Lippen und Wangen. Bestimmte Produkte, wie zum Beispiel eine Sonnenbrille der Marke „Ray Ban“ oder Sportschuhe von „adidas“, sind in den Städten an der Nordküste in den letzten Jahren zu Statussymbolen geworden.

Weihnachten in der Stadt 2
Foto: Bernd Schmelz

Die Darsteller waren alle männlich, im Alter von 14 bis 20 Jahren. Nur ein Tänzer war bereits 50 („Der Alte“), was in den Darbietungen aber nicht weiter auffiel, da er dieselbe Kondition und Wendigkeit beim Tanzen zeigte wie die jüngeren Leute. Für diese Inszenierungen, die am 24., 25. und 26. Dezember jeweils viele Stunden dauern sollten, hatten die Teilnehmer ein ganzes Jahr lang trainiert. Das Training beinhaltete nicht nur das Einstudieren bestimmter Tanzbewegungen zur Musik, sondern auch ein Fitnessprogramm. Ihr Auftritt und die körperliche Anstrengung galten als besondere Ehrerweisung an das Gotteskind.

Auf diese Gruppe folgten zwölf Hirtenmädchen, die allerdings nicht in ihren typischen Gewändern, eher noch in Alltagskleidung, aber doch einigermaßen festlich gekleidet waren. Auf dem Rücken hatten sie ihren typischen Hut mit bunten Bändern und Spiegelchen geschnürt. Den Abschluss der beiden Gruppen bildete eine Musikkapelle. Beide Gruppen tanzten zum Klang der Musik, und so zog man durch die Straßen bis zum Haus, in dem der Präsident der Bruderschaft, der verantwortliche Organisator der Weihnachtsumzüge, wohnte. Dort warteten alle Teilnehmer vor dem Haus auf das Gotteskind, eine kleine Figur aus Gips, die in einer kleinen Tragesänfte arrangiert und geschmückt wurde. Sie befand sich im Haus des Präsidenten, wo sie das ganze Jahr über aufbewahrt wird. Die Tänzer hatten auf ihrem kurzen Weg schon eine Menge Zuschauer angelockt, die nun ebenfalls auf den Fortgang warteten.

Um 17.30 Uhr begann schließlich der Umzug mit dem Gotteskind und der gesamten Gruppe: Den Anfang bildete die Chapetona-Tanzgruppe, die praktisch als Wegbereiter diente. Dahinter kam die Hirtenmädchen-Tanzgruppe, deren Teilnehmer unmittelbar dem Gotteskind zugewandt tanzten, dann das Gotteskind in seiner Tragesänfte sowie als Abschluss die Musikkapelle. So zog man bis 18.30 Uhr durch die Straßen des Zentrums von Lambayeque. Schließlich gab es Abendessen für die Beteiligten, das die Bruderschaft organisiert hatte. Um 19.30 Uhr zog man wieder los, diesmal noch verstärkt durch zwei „Nachtwächter“ mit Laternen. Um 21.30 Uhr gelangten schließlich alle am Park der Venus, dem Hauptpark von Lambayeque, direkt neben der Kirche an. Dort hatten die beiden Tanzgruppen nun ihren größten Zulauf an Zuschauern.

Punkt 22 Uhr betrat schließlich das Gotteskind, getragen von zwei Funktionären der Bruderschaft, die Kirche. Mit seinem Erscheinen in der Kirche begann die Mitternachtsmette. Diese hatte früher in Lambayeque tatsächlich um Mitternacht stattgefunden, vor einigen Jahren ist sie auf 22 Uhr vorverlegt worden, damit die Familien um Mitternacht in Ruhe zu Hause essen können. Die Mitglieder des Tanzes der Chapetona blieben vor der Kirche und ruhten sich aus. Die Hirtenmädchen nahmen an der Messe teil. Der Gottesdienst in der übervollen Kirche endete um 23 Uhr.

Um 22.30 Uhr fand ein großes Feuerwerk im Park statt. Auch den Umzug mit dem Gotteskind hatte ein Feuerwerk begleitet. Bis kurz vor 24 Uhr war emsiges Treiben auf den Straßen von Lambayeque, besonders im Zentrum um den Hauptpark, zu beobachten. Sehr viele Kinder tollten noch durch die Straßen, und auch der Spielplatz im Zentrum war voll. Viele Geschäfte, vor allem die Lebensmittel- und Getränkeläden, hatten bis 24 Uhr geöffnet. Danach waren dann die meisten mit ihren Familien zu Hause.

Um Punkt 24 Uhr wünschte man sich fröhliche Weihnachten und stieß mit Sekt an. Nachdem die Figur des Gotteskindes in die Krippe gelegt und ihr stille Gebete dargebracht worden waren, wurden die Geschenke geöffnet, die unter dem Weihnachtsbaum lagen. Beschenkt wurden vor allem die Kinder, auch von Verwandten, die nicht im Haus wohnten und von Freunden der Familie. Anschließend wurde gemeinsam der Truthahn gegessen. Dazu wurde traditionellerweise Ananas/Paprika-Soße und Apfelbrei serviert. Als Nachspeise gab es das Gebäck Panetón und die so genannten Empanaditas de Pascua, ein für die Region von Lambayeque besonders typisches Weihnachtsgebäck, das im Gegensatz zum abgepackten Panetón frisch vom Bäcker kam. Vorzugsweise wurde hierzu Kakao, wahlweise aber auch Kaffee serviert. Danach rief man Verwandte und Freunde an, ging auf die Straße und wünschte sich gegenseitig fröhliche Weihnachten. In manchen Häusern versammelten sich auch Männer, zumeist Verwandte, um gemeinsam zu trinken. Auch Feuerwerkskörper hörte man noch lange knallen. Bis drei Uhr war noch ziemlich viel Bewegung auf den Straßen von Lambayeque.

Am 25. Dezember wurde um neun Uhr die Messe gefeiert und im Anschluss daran eine Prozession mit dem Gotteskind veranstaltet, die viele Gläubige begleiteten. Wegbereiter war der Tanz der Chapetona, diesmal zur Überraschung aller ohne die Figur der Chapetona. Ihr Darsteller war erkrankt und so geschwächt, dass man sich entschloss, die übrigen Auftritte ohne die namensgebende Rolle durchzuführen. Die Hirtenmädchen hatten an diesem Tag ihre traditionellen Gewänder, bestehend aus schwarzen Röcken und gelben Blusen, an. Das Ende bildete die Musikkapelle aus Mórrope, die man für alle Auftritte engagiert hatte. Und wieder zog man durch die Straßen von Lambayeque, diesmal aber nicht nur durch das Zentrum, sondern auch durch das weitere Umfeld.

Nach dem Mittagessen, das wieder von der Bruderschaft spendiert worden war, verabschiedeten sich die Hirtenmädchen, und nur die Gruppe der Chapetona zog gemeinsam mit der Musikkapelle durch den Stadtteil Santa Rosa, wo schwungvoll getanzt, getrunken und gefeiert wurde. Am Abend konzentrierte sich das Feiern und Tanzen auf eine Straßenecke, wo viele Leute mit den maskierten Figuren tanzten. Diesen wurden immer wieder alkoholische Getränke eingeschenkt, die sie tanzend zu sich nahmen. Es kam eine Feststimmung auf, die viele Menschen anzog. Zum offiziellen Abschluss gab es um 22 Uhr ein Feuerwerk, viele feierten aber bis tief in die Nacht hinein weiter.

Am 26. Dezember fand ab zehn Uhr der letzte Umzug mit dem Gotteskind, dem Tanz der Chapetona, den Hirtenmädchen und der Musikkapelle aus Mórrope statt. Am Vormittag wurde ein Krankenhaus besucht, der Nachmittag und Abend war dem Stadtteil San Martín gewidmet, wo ebenfalls eine große Feststimmung aufkam. Den Abschluss bildete wieder ein großes Feuerwerk.

In Lambayeque ist Weihnachten neben Ostern das bedeutendste Fest des Jahres. Als Fest der Familie steht es ohne Zweifel an erster Stelle. Viele Bräuche lassen sich auf eine lange Tradition zurückführen. Es entstehen aber auch immer wieder neue Festelemente, die manchmal nur einmalige Modeerscheinungen sind, manchmal aber auch selbst wieder zu einer Tradition werden. Die Mischung aus Tradition und dynamischen neuen Entwicklungen macht die große Vitalität dieses Festes aus.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008