Von Anke S. Weber
Die Sahara, die „Größte aller Wüsten“ erstreckt sich über knapp neun Millionen Quadratkilometer im Norden des afrikanischen Kontinents vom Atlantik im Westen bis zum Roten Meer im Osten. Historisch verbunden mit Entdeckertum und kolonialem Eroberungsdrang war und ist die Sahara ein Raum für Expeditionen und Forschungsreisen, aber auch ein beliebtes Ziel für Touristen, das Einsamkeit und Entspannung und neben grandiosen Landschaftserlebnissen auch einen Teil der Exotik des Orients verheißt. Derzeit sind weite Teile der Sahara nur mit pauschaltouristischen Angeboten zu bereisen. Für Individualreisende, die mit dem eigenen Fahrzeug beispielsweise den Grand Sud, die Sahara im Süden Algeriens, erleben oder nach Libyen einreisen wollen, besteht eine Führerpflicht bereits ab dem Grenzübertritt.
Zu den bekanntesten, und meist bereisten Touristenzielen in der Sahara zählen die von der Unesco zu Welterbestätten erklärten Felsmalereien des Tassili N’Ajjer im Süden Algeriens und die des Tadrart Acacus in Libyen. Diese dürfen bereits seit einigen Jahren nur noch in Begleitung von Tuareg-Führern besucht werden. Einer der offiziellen Gründe zur Etablierung neuer Führerregelungen direkt ab der Einreise ins Land war es, den unkontrollierten Zugang zum natürlichen und kulturellen Erbe der Sahara zu erschweren.
Neben den mit dem Unesco-Welterbeetikett versehenen Stätten findet sich überall in der Sahara materielles, natürliches oder kulturelles Erbe in Form scheinbar unzähliger Fossilien, Landschaftsformationen, prähistorischer Artefakte und Felsbilder, die als großräumig verteilte Oberflächenfunde leicht zugänglich sind. Gleichzeitig ist dieser Zugang kaum kontrollierbar und archäologische Fundstellen oder empfindliche Ökosysteme sind so nicht effektiv vor Zugriffen zu schützen.
In einem Bericht der Unep (United Nations Environmental Programme) von 2003 steht zu lesen: „Der Einfluss von Touristen macht Probleme, besonders hinsichtlich Müll und der Bedrohung archäologischer Relikte, die für Sammler attraktiv sind und Felsbilder, die beschädigt werden durch Erosion, Sammler und Vandalismus.“ Jährlich besuchen tausende Touristen die Sahara, von denen die meisten, teils angeleitet von Führern, auf „Schatzsuche“ gehen um wenigstens eine steinerne Pfeilspitze, einen Faustkeil, eine Reibschale oder Tonscherben zu finden. So wird ein Teil des materiellen Erbes der Sahara mobil und wird als Souvenir mit nach Hause genommen. Die wenigsten Besucher sehen in dieser Art der Objektaneignung ein Problem. So schreibt eine bekannte Reisebuchautorin: „Wer verübelt es einem, die selbst gefundene Pfeilspitze oder einen Faustkeil stolz zu Hause zu präsentieren? Pfeilspitzen finden sich gern in vom Wind ausgewehten Senken in der Nähe von Sanddünen.“
Die algerische Tageszeitung La Tribune zitierte – Bezug nehmend auf groß angelegte illegale Sammelaktivitäten - den englischen Kulturanthropologen Jeremy Keenan: „Les pilleurs allemands sont le mieux organisés et le plus dangereux” („Die deutschen Plünderer sind die am besten Organisierten und die Gefährlichsten“). Bekannt waren neben französischen und italienischen auch deutsche Reiseagenturen, die auf ihren Webseiten Artefakte und heraus gemeißelte Felsbilder aus der Sahara zum Kauf anboten und deren Menge auf wahre „Raubzüge“ schließen ließ.
Festzustellen sind zwei Dimensionen dieser „Plünderungen“. Zum ersten der gezielte, organisierte Raub einer großen Anzahl von Artefakten durch wenige Einzelne oder Gruppen aus ökonomischem Interesse. Zum zweiten das eher zufällige Sammeln geringer Mengen von Artefakten durch eine große Anzahl von Touristen. Ein Nebeneffekt ist das Deplazieren von Objekten über weite Distanzen, die gesammelt und mitgenommen werden, um mehrere hundert Kilometer weiter entfernt zugunsten schönerer Objekte sozusagen "ausgesetzt" zu werden. Letztlich summiert sich die Zahl der deplazierten und entfernten Objekte zu einem gewaltigen Ausmaß, Schätzungen der Unep zufolge beträgt die Zahl der allein aus der Hoggar-Region Algeriens entfernten archäologischen Artefakte etwa zwei Millionen.
Meine eigenen Feldforschungen in der algerischen Sahara bestätigten diesen allmählichen Schwund. Beispielsweise traf ich Manfred, der in der Lage war, bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 Kilometern in der Stunde aus dem Fenster seines Allradfahrzeugs ein Tongefäß zu entdecken und sofort anzuhalten um es an sich zu nehmen. An einer Stelle habe er einmal 78 Faustkeile in einer Stunde gefunden. Was er mit denen getan habe, fragte ich. Ein paar habe er mit nach Hause genommen. Keines der Stücke würde er verkaufen wollen, erklärte Manfred. Warum er sie mit nach Hause nehme? Weil er - wie viele andere auch erklären - davon fasziniert und vom „Jagdfieber“ oder vom „Schatzsuchen“ erfasst war und die Objekte unwiderstehlich schön fand. Von einheimischen Agenturen geführte Pauschaltouristen zeigen dieses Verhalten ebenfalls.
Viele Objekte des natürlichen und kulturellen Erbes werden aus Profitgründen, aber auch aus nicht profitgesteuerter Sammelleidenschaft entfernt, zum Teil aus anderen Gründen beschädigt. An der Zerstörung beteiligt sind eine Reihe von nationalen und internationalen Akteuren: Einheimische Touristen und Touristen aus dem Ausland (pauschal oder individuell reisend), Forscher wie Ethnologen und Archäologen, einheimisches Militär, vor allem aber die internationale Erdölindustrie.
Diese Problematik ist nicht neu, erhält aber durch die politischen und gesellschaftlichen Diskussionen um das schwindende „Erbe der Welt“ erhöhte Aufmerksamkeit. Seit ihrer Entdeckung wurden beispielsweise Felsmalereien bis in die jüngste Vergangenheit hinein für Fotoaufnahmen wiederholt mit Flüssigkeiten übergossen, um die Farben intensiver erscheinen zu lassen – Resultat davon sind Farbenschwund und letztendlich das Verschwinden der Bilder. Gravierte oder gemalte Felsbilder wurden zu kommerziellen Zwecken herausgemeißelt oder solche mit Darstellungen entblößter Geschlechtsteile - sehr wahrscheinlich aus religiösen Gründen - zerkratzt. Sogar zwischen den Felsbildern des welterbegeschützten Tassili N’Ajjer finden sich Kritzeleien und Graffiti auf Arabisch und einer Vielzahl anderer Sprachen. Ähnliches gilt für die Felsbildkunst der ägyptischen Wüste, deren Orte von Reiseunternehmen als attraktives Ziel angeboten, von einer steigenden Zahl von Touristen besucht wird.
Das Welterbe wird als eine schwindende Ressource betrachtet, die für verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen ist. Beispielsweise konkurriert die touristische Praxis des Aufsammelns prähistorischer Artefakte oder Fossilien wie auch das eigenständige Erfahrenwollen der Sahara mit den Anliegen des Bewahrens und Erhaltens anderer Gruppen wie Ethnologen, Archäologen und einheimische Landschaftsschützer.
Die Perspektiven von Touristen, Wissenschaftlern und der einheimischen Bevölkerung auf das Erbe der Vergangenheit, sowie ihr jeweiliges Selbstverständnis, unterscheiden sich stark voneinander. Für die einen gilt, die Dinge möglichst intakt zu halten, zu konservieren und zu bewahren, für die anderen, sie besuchen und erleben zu können und für wieder andere sie auch ökonomisch zu nutzen und sei es in der Reiseindustrie. So stellt sich immer wieder die Frage, wem Welterbe, besonders in seiner materiellen Form, gehört und wer die Entscheidungsmacht darüber erhält.
Die Tuareg der Zentralsahara betrifft dies in besonderer Weise. Nicht die materielle Vergangenheit als solche birgt hier Identität stiftende Elemente, sondern das – zum Teil verstärkt in den letzten Jahren entstandene - Selbstverständnis als Hüter und Bewahrer dieses Erbes und der Natur. Sowohl die Landschaften der Sahara als auch steinzeitliche Artefakte und Felsbilder erhalten im Kontext der touristischen Nutzung einen materiellen Wert, der umso höher ist, je unversehrter dieses Erbe bleibt. Viele Tuareg betrachten den Tourismus als Grundstein für einen Entwicklungsprozess, der auf lange Sicht eine Selbstbestimmung und Kontrolle der Region und ihrer Ressourcen herbeiführt und eine Teilhabe an der globalen Ökonomie ermöglicht. Sowohl die Natur wie auch das Erbe der Vergangenheit können auch ohne das Etikett "Welterbe" von Bewohnern der Sahara, die vom Tourismus leben, der von einem intakten natürlichen und kulturellen Erbe abhängt, als eine überlebenswichtige Ressource betrachtet werden, die von anderen Agenten bedroht wird.
Daher sind auch die Neuregelungen in Algerien, die auf Empfehlung der Tourismuskonferenzen in Djanet und Ghardaia im Jahr 2003 zu einer nachhaltigen Entwicklung und zur Bekämpfung der Armut in der Zentralsahara eingeführt wurden, nicht als ein kompromissloses Konzept zum Ressourcenschutz sondern als eines zur selektiven Ressourcennutzung zu verstehen.
Festzuhalten bleibt, dass, auch wenn Gebiete und darin enthaltene Objekte als Welterbe deklariert werden, welches der gesamten Menschheit gehört, sich daraus nicht ableiten darf, dass diejenigen, die sich zu Besuch in diesen Regionen aufhalten, „ihren Anteil“ an sich nehmen. Und dass, auch wenn teils drakonische anmutenden Regelungen zur unerlaubten Ausfuhr von Kulturgütern - wie zum Beispiel aus der Türkei - etwas zu bewirken scheinen, ein erfolgreicher und nachhaltiger Kulturgüterschutz auf touristischer Ebene nur mit verbesserten Konzepten zu Information und Wissenstransfer erfolgen kann.
Weiterführende Literatur
Heinrich-Barth-Institut (1989): One Word Before You Start into the Desert. Köln,
Friedl, Harald (2002): Tourismusethik, Theorie und Praxis des umwelt- und sozialverträglichen Fernreisens. Schriftenreihe Tourismus und Entwicklung Bd. 3, Profil Verlag, München
Keenan, Jeremy u.a. (2003): Contested Terrain. Tourism, environment and security in Algeria’s extreme south. In: Journal of North African Studies (Special Issue), Vol. 8/3-4. S. 226-265
Kröpelin, Stefan (2002): Damage to Natural and Cultural Heritage by Petroleum Exploration and Desert Tourism in the Messak Settafet (Central Sahara, Southwest Libya). In: Tides of the Desert, Africa Praehistorica 14, Heinrich-Barth-Institut Köln. S. 405-426
UNEP (2003): Protected Areas Programme.
UNESCO (2003): The Sahara of Cultures and People.
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Weber, Anke S. (2004): Wüste(n) Reisende. Individualtourismus in der Sahara. Der andere Verlag, Marburg, 128 Seiten
Zur Autorin
Anke S. Weber, M. A., Kulturanthropologin und Ethnologin, hat zu Individualtourismus in der Sahara und zum Umgang mit Welterbe geforscht.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008